Der Österreicher#
Den Menschen einer Landschaft, einer Gesellschaft, eines Staates zu
schildern, ist eine Aufgabe, die immer wieder den Denker anzieht,
wiewohl sie exakt wissenschaftlich kaum zu lösen ist. Sind doch der
Elemente, welche die Art eines beseelten Wesens aufbauen helfen,
unzählige, kaum enträtselbare, wenn es sich auch um die eigene Person
oder die eines Nächsten handelt. Nun aber soll man von der Seele „des"
Menschen sprechen, der in irgend einer Landschaft lebt, von einem
Typus, von etwas Abstraktem, dessen lebendige Fülle doch lediglich in
der Wirklichkeit fassbar ist, wo immer nur einmalige, unwiederholbare
und unvergleichbare persönlichkeitsgeformte Lebenskräfte auf- und
niederfluten. Wie kann man also zum Beispiel „den" Österreicher
schildern, da doch Leben in Österreich so unendlich mannigfaltig ist wie
in aller Welt? Und dennoch: nie geben wir das Bestreben preis, das
Allgemeine jenseits alles Besonderen, ein Ideales, Geschautes, Gedachtes
als erhoben über dem Einmaligen, Zufälligen, Verschwindenden zu
erfahren. Der einzelne verleiht zwar der Erde Sinn und Ziel; aber er stirbt,
stirbt millionen mal und lässt nichts zurück als die Erinnerung in den
Nachfahren, die mit diesen wieder stirbt. Aus dem dauernden Tod
lebendigen persönlichen Daseins befreit sich nur der Geist von den
Fesseln der Vergänglichkeit und sucht in einer umfassenderen Form das
zu halten, was lebt und sterben muss.
Eine Stufe dem Ziel entgegen, die Erhaltung des Ganzen vor der Vernichtung
zu bewahren, der immer der Teil, das Individuelle verfallen ist, betritt der
Philosoph, wenn er den Menschen einer Landschaft schildern will. Hier
hilft ihm die Natur selbst, die in unablässigem Generationenwechsel das
allem Aufflutenden und Verebbenden Gemeinsame erhält, die Seele und
die Art, von der sie alle die Vielen geprägt werden, welche in den
Städten, Tälern und auf den Höhen eines Landes leben.
Österreich — das ist der Name für eine sonderbare Tatsache, die
ihresgleichen kaum hat, und seine Inwohner, ihr Schicksal und ihre
Wesensart mitbestimmen half. Österreich ist ein Name für eine bestimmte
Landschaft, die sich vom Marchfeld bis an den Bodensee erstreckt.
Gleichzeitig benennt es auch etwas viel Größeres, ungleich
Mannigfaltigeres und völlig von diesem Österreich Verschiedenes, das
einst von Russland und der Türkei bis nach Sachsen, Bayern und die
Schweiz reichte. Auch das war Österreich und in ihm sind ja die
Menschen dieser Zeit geboren und herangewachsen, für sie ist noch vieles
davon Erinnerung und als solche Gegenwart. Wer von uns heute etwa
nach Böhmen oder Istrien reist, dem wird ein Stück der Jugend lebendig,
er hat für sich auf dieser Reise Österreich nicht verlassen. Diese
geographische und politische Tatsache ist nicht gleichgültig, will man
von unserem Menschen etwas aussagen, das seine Eigenart wiedergibt...
Hinweis:
Dies ist der Anfang des Essays. Den gesamten Text finden Sie im Buch "Ewiges Österreich - ein Spiegel seiner Kultur", herausgegeben von Erwin Rieger, Wien, Verlag Manz, 1928.
Der vollständige Text kann auch von Tatjana Popovic´(der Enkelin von Hans Prager) gegen eine geringe Gebühr erworben werden