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Thomas Mann und die Wiener Freunde#

Der Literaturnobelpreisträger hielt sich oft und gern in Österreich auf - und interessierte sich auch für die österreichische Staatsbürgerschaft.#


Von der Wiener Zeitung (17. August 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Gerhard Strejcek


Thomas Mann
Thomas Mann im Hotel Adlon in Berlin 1929 vor der Weiterreise nach Stockholm zur Entgegennahme des Nobelpreises.
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 3.0

Wer in Wien nach einem Thomas-Mann-Platz oder einer sonstigen Erinnerungsstätte an den großartigen Lübecker Prosa-Autor sucht, wird nicht fündig. Die Mann-Straße in Liesing ist nach jenem Bäcker benannt, dessen Nachfahren immer noch zahlreiche Filialen betreiben. Thomas Mann hat es nicht auf die Straßenschilder geschafft, er konnte die Herzen der Wiener Gemeinderatsabgeordneten nicht rühren, wogegen er es mit einem einzigen Besuch auf eine Plakette an der Mauer der Gasteiner Wasserfallbrücke schaffte.

Man gewinnt daher prima vista den Eindruck, dass nur die Bücher, von den "Buddenbrooks" bis zum "Zauberberg", in großer Zahl stellvertretend für den Autor bis nach Wien, in die Bücherregale und in die Bibliotheken, heute auch auf die Bildschirme, gereist wären, nicht aber der weltgewandte Schriftsteller - doch das ist nicht zutreffend.

Im Gegenteil, Thomas Mann war, beginnend mit einem Sondierungsbesuch im "Central" im Juli 1896, mehrmals in Wien zu Gast, er hielt Lesungen und zitterte als Dramenautor (!), als sein einziges Theaterstück "Fiorenza" 1919 hier aufgeführt wurde. Er besuchte Jakob Wassermann in Grinzing und Arthur Schnitzler in der Sternwartestraße, im Januar 1922 war er mit Gattin Katia im Salon des bereits recht schwerhörigen Autors der "Liebelei" anwesend, wo sich auch Alma Mahler-Werfel stellvertretend für die geschiedene Gattin Olga Schnitzler einfand.

Insgesamt zog es Thomas Mann in einer Spanne von 54 Jahren ganze zweiundzwanzig Mal nach Österreich, und darunter finden sich ein Dutzend Wien-Besuche, bei denen er oft im "Imperial" abstieg und Hof hielt. Dem Ego des eleganten Autors schmeichelten auch Freunde und Anhänger, darunter Verehrer wie der Unternehmer Oswald Brüll, der eine frühe Mann-Biografie in der Lebensmitte des Autors verfasste.

Morbides Wien#

Als Thomas Mann im Jahr 1925 seinen 50er feierte, widmete ihm die "Neue Freie Presse" eine eigene Beilage, die allerdings erst einen Tag nach dem runden Geburtstag erschien (7.6.1925). Einige Tage davor hatte Thomas Mann vor dem Wiener P.E.N.-Club referiert und markante Sätze über die Stadt gesagt, der er exotische und pikante Züge attestierte. Wien habe eine Neigung zur Krankheit, "seine Seele weiß vom Tod", so der Autor in einer Tischrede.

Der österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler. Photographie. 1922
Der österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler. Photographie. 1922
Foto: IMAGNO/Archiv Setzer-Tschiedel

In der erwähnten Zeitungsbeilage versicherte Arthur Schnitzler, der neben Hermann Bahr und Jakob Wassermann zu Wort kam, wie sehr er Thomas Mann und sein Werk liebe, indem er dem Jubilar einige Aphorismen über das Thema "Humor in der Literatur" widmete. Diese auf den Lübecker gemünzten Bonmots erschienen einige Jahre später in Schnitzlers "Buch der Sprüche und Bedenken" und wurden auch in einen Auswahlband aufgenommen, der - lange vor Corona - den sinnigen Titel "Ohne Maske" trägt.

Die von Schnitzler gewählte "Pars-pro-toto"-Charakteristik des Patriziersohnes war gewiss zutreffend, finden sich doch verschiedene Aspekte des Humors in Thomas Manns Werk, vom morbid-ironischen bis makabren Beigeschmack der Erzählung "Der Tod in Venedig" und des monumentalen Romans "Der Zauberberg" über die skurrilen Szenen im "Felix Krull" bis zum zarten Anklang biblischen Humors im reifen Josefs-Roman ("Josef und seine Brüder").

Dass sich Thomas Mann dem Thema "Krankheit und Tod" im Kontext mit Wien verschrieb, hatte mehrere greifbare Ursachen. Als der Autor seinen Freund aus gemeinsamen Münchener Tagen beim "Simplicissimus", Jakob Wassermann, am 25. November 1908 besuchte, hatte sich im Haus Speyer Fürchterliches ereignet. Eine der fünf Schwestern von Wassermanns Gattin Julie Speyer, nämlich die zweitälteste namens Sofie (verehelichte Knepler), hatte drei Wochen zuvor Selbstmord begangen. Die Schwestern, welche den Autoren bekannt waren, darunter die bildende Künstlerin Agnes Ulmann, Paula Schmidl, Emmy Sgal und die in Berlin wohnende Dora Michaelis, die häufig mit Schnitzler korrespondierte und ihn mit ihrem Gatten, dem Patentanwalt Karl Michaelis, vor Ort betreute, sowie Bruder Hermann waren schockiert. Dennoch gab es ein anregendes Mittagessen in der damals in der Feilergasse gelegenen Wassermann-Wohnung, an dem auch das Ehepaar Schnitzler teilnahm.

Katia Mann neben ihrem Mann Thomas 1929
Katia Mann neben ihrem Mann Thomas 1929.
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Tags darauf traf die Runde einander im Hotel "Meissl&Schadn" am Neuen Markt wieder, diesmal auch mit Hugo von Hofmannsthal und dem Philosophen Arthur Kaufmann. Man sprach weniger über die ansteigende Selbstmordrate als über den aufkeimenden Antisemitismus, ein Thema, das Thomas Mann zeit seines Lebens beschäftigte.

Tiefe Spuren bei den Manns hinterließ die brutalste und rassistische Ausprägung des Antijudaismus dann in der NS-Zeit, als die kosmopolitische Familie seiner Gattin Katia, geborene Pringsheim, vertrieben und ausgeplündert wurde. Thomas Mann, der bereits in einem Interview im Jahr 1932, das er der "Wiener Allgemeinen Zeitung" gab, Hitler als "Nichtösterreicher" und dessen Tun als verbrecherisch bezeichnete, kehrte dann nach der Machtübernahme der NSDAP von einer Lesereise nicht mehr nach Deutschland zurück, sondern blieb zunächst im Schweizer Exil, ehe er in die USA emigrierte.

Österreicher h.c.#

Doch auch diese Phase der späten 1930er Jahre ist mit Wien verbunden, wie Thomas Manns Sondierungen zeigen, österreichischer Staatsbürger zu werden. Dass Thomas Mann sich als eine Art "Österreicher honoris causa" sah, ist ein geflügeltes Wort, das sein Sohn Michael, der seinem Vater sogar "Austromanie" attestierte, befeuert und der Grazer Mann-Experte Franz Zeder in mehreren Publikationen behutsam zurechtgerückt hat.

Heinrich Mann
Heinrich Mann.
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Einen Höhepunkt erreichte die Bewunderung für Thomas Mann in Budapest und Wien Mitte der 1930er Jahre. Aus Sicht der Wiener Autoren bestand längere Zeit freilich mehr Interesse an Heinrich Mann als an Thomas, die Briefwechsel mit Bahr, Hofmannsthal und Schnitzler blieben höflich-distanziert. Der Autor blieb zunächst konservativ und trat auch noch in Ablösung von der monarchistischen und wenig demokratischen Weltanschauung in den "Betrachtungen eines Unpolitischen" gegen seinen Bruder Heinrich auf, mit dem er sich nach dem Ersten Weltkrieg versöhnte.

Der vermeintlich "unpolitische" Lübecker und Wahl-Münchener engagierte sich sodann lange vor seinen amerikanischen Rundfunkreden während des Zweiten Weltkrieges. Er hielt 1932 eine Rede vor Arbeitern in Ottakring und gewann den Ruf eines "Edel-Sozialisten". Dennoch sondierte Thomas Mann bei Kanzler Kurt Schuschnigg anlässlich einer von Alma Mahler-Werfel initiierten Audienz im Jahr 1936, ob er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten könnte. Schlussendlich nahm er die tschechoslowakische an, nicht zuletzt, weil die Staatspolizei in Wien eifrig Material gegen ihn gesammelt hatte.

Für Thomas Mann, der nach einem längeren Aufenthalt in Pacific Palisades die US-Staatsbürgerschaft erhielt, sollte das kein Nachteil sein, denn ein Wiener Wohnsitz wäre für seine Familie fatal geworden. Im Ständestaat hatten seine Kinder Klaus und Erika bereits Auftrittsverbot. Ein schöner Dank für die Austrophilie der Manns!

Als der in Europa wieder Fuß fassende Autor in den Fünfzigerjahren Wien besuchte, sah er sich einer polemischen und gehässigen Opposition gegenüber, diesmal von Seiten prowestlicher Journalisten, die ihn - nach Vorbild des amerikanischen Politikers McCarthy - in die Nähe der "Kommunistenfreunde"zu rücken versuchten. Dieser hatte Thomas Mann Undankbarkeit gegenüber den USA attestiert. Österreich war nicht mehr sonderlich nett zum Autor, der in Zürich Ruhe suchte; zudem schadete die Novemberreise 1952 seiner Gesundheit, wie Gattin Katia besorgt registrierte.

Thomas Mann hat in Österreich Urlaube verbracht und Spuren hinterlassen, wenn auch nicht in literarischer Form. Der "Magic Mountain" am Semmering, der sich als "Zauberberg" vermarktet, obwohl dieser in Graubünden liegt, kann sich zwischen Gondelbahn und Südbahnhotel auf zwei Thomas-Mann-Besuche berufen (1908/1923), von Unterach am Attersee, Bad Gastein und anderen Kurorten ganz zu schweigen. Am Attersee verkehrte Thomas Mann im Haus seines Verlegers Samuel Fischer, den er schon auf seiner allerersten Reise nach Wien 1896 auf dem Rückweg nach München besuchte. Damals lebte noch Gustav Mahler, der in emotionaler Sichtweite, wenn auch im "Komponierhäuschen" verborgen, an seiner zweiten und dritten Symphonie arbeitete.

Gustav Mahlers 'Komponierhäuschen' am Attersee
Gustav Mahlers "Komponierhäuschen" am Attersee.
Foto: Furukama

Festspielrummel#

In Republikszeiten konnte sich Thomas Mann dem Festspielglanz von Salzburg nicht entziehen, wenngleich seine Gattin Katia die oberflächliche Gesellschaft von Schloss Leopoldskron bei Max Reinhardt ablehnte. Für den Lübecker waren die Festspiele rund um Hofmannsthals "Jedermann" etwas für angloamerikanische Gäste. Mit Stefan Zweig wurde er, wie Katrin Bedenig und Franz Zeder jüngst darlegten, nie freundschaftlich, trotz aller Ähnlichkeiten in Gestus und Stil.

Wer sich mit dem Thema "Mann und Österreich" befasst, ist gut beraten, die Korrespondenz durchzusehen, aus der sich schöne Anklänge ergeben. So schrieben Katia und Thomas Mann im Mai 1926 eine gemeinsame Ansichtskarte aus Arosa an Arthur Schnitzler, worin sie ihm ihre ehrliche Begeisterung für die "Traumnovelle" kundtaten. Aus solchen kleinen Zeugnissen wird wechselseitige Sympathie erkennbar. In anderen Briefen tritt uns ein ferienmäßig entspannter und gar nicht streitlustiger Thomas Mann entgegen, der eingesteht, dass er seine Post immer an die Sternwartestraße richtet, weil er Schnitzlers Kryptogramme, in denen dieser seine Urlaubsadressen in Altaussee und anderswo bekannt gibt, schlicht und einfach nicht entziffern kann.

Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Ao. Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Literaturhinweis:#

  • Katrin Bedenig/Franz Zeder (Hg.): "Thomas Mann - Stefan Zweig. Briefwechsel, Dokumente und Schnittpunkte". Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt/M. 2018, 464 Seiten, 41,- Euro.
Wiener Zeitung, 17. August 2020