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Die Ingenieurskunst im Reagenzglas #

Bionik zwischen Ökologie und Posthumanismus: Im Feld der neuen Technologien schwinden die Unterschiede zwischen Natur und Technik. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 25. Februar 2016)

Von

Bernhard Irrgang


Maschinenmenschen. Menschen machen die Natur – und sich selbst – zum Objekt der technologischen Entwicklung. Philosoph Bernhard Irrgang beleuchtete in seinem Buch „Posthumanes Menschsein?“ (2005) zentrale Fragen, die damit einhergehen.
Maschinenmenschen. Menschen machen die Natur – und sich selbst – zum Objekt der technologischen Entwicklung. Philosoph Bernhard Irrgang beleuchtete in seinem Buch „Posthumanes Menschsein?“ (2005) zentrale Fragen, die damit einhergehen.
Foto: © Shutterstock

Bislang konnte Gentechnik in bestehendes Leben verändernd eingreifen. Die synthetische Biologie, eine Weiterführung früherer Arten von Bionik, aber möchte nun die molekularen Grundlagen der Stoffwechsel- und Fortpflanzungsfunktion einfacher einzelliger Organismen so vollständig verstehen, dass sie nachgebaut werden können. Ihr Ziel: lebensfähige Organismen zu synthetisieren mit einem für das Überleben geringstmöglichem Erbgut (Genom). An diese könnten weitere Biobricks (Module) angefügt werden, die Bio-Prozesse steuern oder völlig neuartige Kunststoffe hervorbringen sollen. Der US-amerikanische Gentechnik-Pionier Craig Venter bemüht sich seit zehn Jahren um dieses Projekt. Vielleicht war die erste Gruppe aus seinem Umkreis kürzlich hier erfolgreich.

Eine völlig neuartige Verschmelzung von Technologien auf der Basis belebter und unbelebter Materie könnte ein neues Zeitalter einläuten und auch ökologische Probleme lösen helfen, die uns heute bedrängen. Ethische Herausforderungen freilich ergeben sich bei der Verschiebung von der Manipulation hin zur Kreation – und bei der Freisetzung von neuen Organismen.

Weg zur Hyper-Technologie #

Auf dem Weg zur Hyper-Technologie von morgen zeichnen sich grundlegende Trends ab: Bionik und synthetische Biologie, Nano- und Biotechnologie, Robotik, Biomedizin und „Green Technology“ greifen ineinander. Die Molekularbiologie ist mit dem funktionellen Molekül-Design bei denselben kleinen Strukturen angekommen wie die Physik. Zugleich eröffnen sich damit neue Wege zur Funktionalisierung. Nicht zu verwechseln ist diese Entwicklung mit der Diskussion um die Bionik in den 1970er-Jahren: In Ermangelung genauerer Kenntnisse über die molekularen Ursachen biologischer Prozesse trachtete man damals noch danach, Erkenntnisse aus der Natur auf die Technik eher mechanistisch zu übertragen.

Der englische Begriff „Bionics“ wurde vom US-Luftwaffenmajor Jack E. Steele im Jahr 1960 auf einer Konferenz in der Wright- Patterson Air-Force Base in Dayton, Ohio, geprägt. Das deutsche Wort „Bionik“ setzt sich aus Biologie und Technik zusammen und bringt damit zum Ausdruck, wie für technische Anwendungen Prinzipien verwendet werden können, die aus der Biologie abgeleitet werden. Im englischen Sprachraum beschränkt sich die Bedeutung von Bionik häufig auf eine Kombination von Biologie und Elektronik. Die deutschen Ansätze entsprechen eher den Begriffen „Biomimetik“ und „Biomimikry“, also der Nachahmung von Strukturen der belebten Natur.

Kunststoffe gemäß Kompost-Modell #

Heute hingegen geht es um ein Zusammenwachsen der gestalterischen Möglichkeiten aller Life-Sciences und der Transformation des klassischen Ingenieurswesens durch umfassende Digitalisierung aller technologischer Prozesse. Es gibt Parallelen zwischen dem genetisch fixierten Bauplan eines Organismus und dem Bauplan eines technischen Konstrukts, das sich nach dem Vorbild der Natur selbst zusammenbaut. Bionik beschäftigt sich mit der Entschlüsselung von Erfindungen der belebten Natur und ihrer innovativen Umsetzung in der Technik. Bioingenieurskunst ist nun gerichtete Evolution, und die gibt es nur im Reagenzglas. Bionik kann somit auch als „Evolutionstechnik“ verstanden werden. Kurzum: Der Unterschied zwischen Natur und Technik verringert sich immer mehr.

Klassische Technik und Technologie basierend auf Physik und Chemie konnten den Kreislauf von Konstruktion, Produktion, Gebrauch, Entsorgung nicht abfallfrei gestalten. Bionisch-intelligentes Design von Technologie basiert auf biotischem Material (neue Kunststoffe), das gemäß dem Modell des Kompostierens Wertstoffe für weitere technologische Entwicklungen hinterlässt und keinen Giftmüll. Aufgrund des wachsenden Einflusses der biotechnologischen Verfahren in der Technologie kommt es nun zunehmend zum Ko-Design von Naturwissenschaft und Technik im Bereich von „Techno-Research“, der Verknüpfung von naturwissenschaftlicher Forschung mit technologischer Entwicklung. So nutzt die biologische Grundlagenforschung die moderne Technik zu einem tieferen Verständnis der biologischen Funktionen. Die Bionik wiederum beinhaltet den Transfer biologischer Erkenntnisse in die Technik.

Im bionischen Zeitalter hypermoderner Technologie werden nun biologisch-funktionale Mechanismen in technologische Abläufe übertragen. Dieser Transfer ist keine direkte Übertragung im Sinne des Kopierens, sondern ein eigenständiger, kreativer Forschungs- und Entwicklungsprozess – ein durch die Natur angeregtes technologisches Neuerfinden. Bis zur Anwendung läuft es üblicherweise über mehrere Stufen der Abstraktion und Modifikation ab.

So wurde zum Beispiel bei Studien zur Systematik pflanzlicher Oberflächen entdeckt, dass die Blätter der Lotospflanze über erstaunliche selbstreinigende Eigenschaften verfügen. Neuere Trends betreffen etwa das klebfreie Haften. Biomechatronik und Robotik befassen sich mit intelligenten Mikro- und Nanomaschinen, Miniaturfluggeräten, einer großen Vielfalt von Lauf- und Schwimmrobotern, bionischen Greifer-Systemen und Manipulatoren bis hin zu künstlichen Gliedmaßen und Organprothesen. Die Konstruktions-Bionik möchte die von der Natur hervorgebrachten Strukturen kopieren; in der Verfahrens-Bionik spielen Prinzipien der Entwicklung und Informationsübertragung eine Rolle.

Fortpflanzung mit und ohne Sex #

Bionik bietet somit zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: von der Medizin- und Verfahrenstechnik, dem Anlagenbau und Umweltschutz über die Bau-, Pharma-, Chemie- oder Auto-Industrie bis hin zur Energiewirtschaft. Die Schnittstelle zwischen Biologie und Materialforschung führt zum bionischen Werkstoffansatz. Beispiele sind bio-funktionalisierte Oberflächen (Korrosionsschutz), biomorphe Strukturen in synthetischen Werkstoffen wie etwa dem Holz nachempfundene Keramiken oder biohybride Werkstoffe nach dem Vorbild der Muschelschale. Die Natur ist schließlich ein Meister der nachhaltigen Produktion: Produkte werden ökonomisch mit einem Minimum an Energie und Ressourcen hergestellt, und die Abfälle immer vollständig in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt.

Andererseits könnte eine allzu technikgläubige Anwendung dieses Ansatzes auf das Designen von Menschen, das „Erzeugen“ von Menschen in der Retorte oder von Mensch-Maschinen (Cyborgs) tatsächlich Horror-Szenarien erzeugen. Dieses neue Ideal von technisch erzeugten Übermenschen wird im Film „Elementarteilchen“ (2006) von Bernd Eichinger und Oliver Berber im Hinblick auf menschliche Fortpflanzung mit und ohne Sex visionär gestaltet, ebenso wie im Film „Transcendence“ (2014) unter der Regie von Wally Pfister als Zukunftsvision für die Bionik basierend auf einer umfassenden Regenerationsfähigkeit der neuen Technologien. Heute geht es darum, dass der evolutionär sich entwickelnde leibliche Mensch von der neuen Technologie nicht aufgefressen wird, sondern mit ihr einer nachhaltigen Zukunft entgegengeht.

Der Autor ist Prof. für Technikphilosophie am Inst. für Philosophie der TU Dresden

DIE FURCHE, Donnerstag, 25. Februar 2016


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