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Der ewige Journalist: Hugo Portisch ist gestorben #

Der Mann, der ein ganzes Land Geschichtsbewusstsein und politisches Verständnis lehrte: Hugo Portisch starb im 95. Lebensjahr.#


Von der Wiener Zeitung (1. April 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Christina Böck


Hugo Portisch am 18. Dezember 2019 anlässlich der Überreichung des Großen Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.
Hugo Portisch am 18. Dezember 2019 anlässlich der Überreichung des Großen Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich. - © APA / Helmut Fohringer

Noch vor wenigen Tagen hat sich Hugo Portisch ein letztes Mal in den Dienst der Information der Allgemeinheit gestellt. In Fernsehspots war er zu sehen, wie er sich gegen Corona impfen lässt. Er lasse sich impfen, weil er wisse, was es bedeute, für sich und für die Gesellschaft. Portisch als Testimonial zu gewinnen, war ein geschickter Clou. Denn wahrscheinlich hat Österreich nie jemandem mehr vertraut als diesem Mann.

Er war ein Kaliber des Journalismus, wie es sie nur selten gibt und wie es sie heute nicht mehr gibt. Einer, der das Erklären und das Vermitteln von Wissen zur Mission hatte und der dabei das Verbindende eher im Auge hatte als das Trennende. Ein Journalist von solcher Seriosität, dass er – wie in seinem letzten Interview mit der "Wiener Zeitung" – gar nichts damit anfangen konnte, dass der Trend zur schnellen Aufregermeldung oft auch im Qualitätsmedienbereich durchschlage. Das sei dann einfach unehrlicher Journalismus, denn: "Es ist Aufgabe des Journalisten, die Wahrheit zu erforschen." Bis ins hohe Alter ist Portisch nicht nur für dieses Ethos gestanden, er hat es auch noch selbst praktiziert. Nun ist der wohl berühmteste Journalist des Landes mit 94 Jahren gestorben.

Mindestens zwei Generationen Österreicher hat Portisch als Fernsehgeschichtslehrer geprägt. Kaum jemand, der nicht unwillkürlich auch seine prägnante Stimme im Ohr und seine "sprechenden" Hände vor dem geistigen Auge hat, wenn plötzlich historische Fernsehbilder etwa von der Unterzeichnung des Staatsvertrags oder von Hitler am Heldenplatz in ihrem geschichtsträchtigen Schwarzweiß über den Bildschirm laufen. Seine Fernsehserien "Österreich II" und "Österreich I" brachten TV-Zusehern in den 80ern und frühen 90ern Geschichtsbewusstsein bei – zusammen mit Sepp Riff beackerte Portisch erst die Entstehung der Zweiten Republik, dann die Erste. Lange bevor Information im Fernsehen zu Infotainment mutieren musste, verschränkten die Dokumentarfilme die Ernsthaftigkeit der Inhalte mit einer jedermann zugänglichen Erklärung. Ideologieverbrämung lag ihm mehr als fern, er überließ die moralische Interpretation dem Gegenüber. So viel Respekt gegenüber dem Nachrichtenkonsumenten und Vertrauen in dessen selbstständige Denkfähigkeit hatte er. Und schulte so nebenbei dessen Kompetenz, Politik und Geschichte zu verstehen. Portisch nützte dabei das Medium TV im besten öffentlich-rechtlichen Sinn.

Der ORF verdankt Hugo Portisch nicht wenig. Nicht nur war er jahrzehntelang ein treuer Kommentator, der auch die komplexesten Wirrungen der Tagespolitik noch dem schläfrigsten Nachrichtenkonsumenten nahebringen konnte. Und das mit viel Körpereinsatz, denn die ausladende Gestik von Hugo Portisch war so berühmt wie er selbst. Nein, auch als einer der Initiatoren des Rundfunkvolksbegehrens ist Portisch auf ewig mit der Geschichte des ORF verbunden. 1964 als erstes Volksbegehren in Österreich organisiert, sollte es die Unabhängigkeit des ORF von jeweils herrschenden politischen Verhältnissen sichern. "Es gab die Machtergreifung des totalen Proporzes in Radio und Fernsehen", erinnerte sich Portisch in seiner Autobiografie. Die mehr als 800.000 Unterschriften führten in weiterer Folge zur Rundfunkreform – und für Portisch zum Chefkommentatorsessel. In dem man ihn übrigens auch immer wieder gern sieht, wenn sogenannte ORF-Hoppalas aus dem Archiv gekramt werden und der legendäre Welterklärer jovial um den großen Monitor bittet, damit er sich mit dem Kamm präsentierbar macht, bevor er aufgibt, weil " es schaut immer aus wie eine Perücke, was soll ich machen".

Geboren wurde Hugo Portisch 1927 in Preßburg, er studierte in Rekordzeit Geschichte, Germanistik, Anglistik und Publizistik. Bereits 1948 begann er als Redaktionsaspirant der "Wiener Tageszeitung", zwei Jahre später wurde er Leiter der Außenpolitik. Als einer von wenigen österreichischen Journalisten dieser Ära machte er ein Praktikum bei der "New York Times" und bei der "Washington Post". Nach einer Zwischenstation als Leiter des Österreichischen Informationsdienstes in New York begleitete Portisch in einem kurzen, aber historisch bedeutsamen Zeitraum Bundeskanzler Julius Raab als Pressesprecher bei Staatsbesuchen in den USA. 1955 holte ihn Hans Dichand, damals Chefredakteur, als Stellvertreter in den neugegründeten "Kurier". In seiner Autobiografie "Aufregend war es immer" schildert Portisch den Telegramm-Verkehr zwischen Wien und den USA: "Bin Chefredakteur des ‚Neuen Kurier‘ und lade Dich ein, mir zu helfen. Schon die Türken fanden, dass es sich lohnt, von weit her zu kommen, um Wien zu erobern", schrieb Dichand. Portischs Antwort: "Bin Türke, komme! Hugo." In der Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit "lehrten" sich Dichand und Portisch Journalismus gegenseitig. Nach Dichands Abgang aus der damals größten Tageszeitung wurde Portisch 1958 Chefredakteur. Von dort ging er dann schließlich zum ORF.

Auch in vielen Büchern hat Portisch sein Wissen weitergegeben – übrigens nicht nur über Politik, sondern auch übers Pilzesammeln. Zuletzt bewies er vor vier Jahren sein politisches Gespür bei einer Bewertung von Donald Trump, die den Umbruch in den USA und das folgende Chaos schon treffsicher vorhersagte.

Durch seine USA-Aufenthalte war Portisch vom angelsächsischen Anspruch des Journalismus geprägt: Check, Re-Check, Double-Check waren da die Stichworte und die Pflicht, auch die andere Seite anzuhören. Verhaberung mit Politikern war Tabu – und auch ein Grund dafür, dass er erst mit 92 Jahren nach vorheriger standhafter Weigerung das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich angenommen hat. "Weil er sich mit seiner konsequenten Distanz zu Orden, Titeln und Huldigungen die Freiheit und Unabhängigkeit seines Denkens, Redens und Schreibens keinesfalls einengen lassen wollte. Eine Haltung, die gerade in einem so kleinen Land wie Österreich mit ihrer vielfachen Nähe von Politik und Medien sinnvoll und durchaus mutig war", erklärte damals sein Freund und Kollege Heinz Nussbaumer.

Bundespräsident hätte Portisch auch werden können – allein, auch das goutierte er nicht. Wieder war die Antwort einfach: "Freiheit. Und dass Journalismus der freiste Beruf der Welt ist. Jedenfalls in einer freien, demokratischen Welt. Von keinem Protokoll beschränkt, zu keiner Rücksichtnahme gezwungen."

Wie er kommentiert hätte, dass sich aktuelle Innenpolitik mitunter in Chat-Emoji-Exegese erschöpft? Selbst das wäre nicht unter seiner Würde gewesen. Wir werden ihn nicht mehr fragen können. Leider. Noch zu seinem 90. Geburtstag fragte ihn die "Wiener Zeitung", ob er froh sei, nicht mehr das politische Geschehen kommentieren zu müssen. Er antwortete mit seinem gewinnenden Lachen: "Ich bin generell froh, nicht mehr belästigt zu werden. Aber es war immer richtig, sich einzumischen." Danke dafür.

Wiener Zeitung, 1. April 2021