Gefühle des Glücks #
Unglaublich: Am Sonntag feiert Hugo Portisch seinen 85. Geburtstag. Der Journalist, Buchautor und Volksbildner gilt seit Jahrzehnten als Maßstab für Kompetenz und Weltoffenheit. #
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: DIE FURCHE (16. Februar 2012).
Das Gespräch führte
Heinz Nußbaumer
Seinen Geburtstag wird er weitab von Wien in seinem toskanischen Tusculum begehen, um so der öffentlichen Aufmerksamkeit möglichst zu entfliehen. Trotzdem ist Journalisten-Legende Hugo Portisch auch in diesen Wochen unglaublich präsent – in seinem neuesten Buch „Was jetzt“, das derzeit alle Verkaufsrekorde schlägt. Mit FURCHE–Herausgeber Heinz Nußbaumer, seit Jahrzehnten ein vertrauter Freund, sprach Portisch über wichtige Erfahrungen seines Lebens.
Die Furche: Wir alle müssen länger arbeiten, heißt es. Bald schon bis 72, sagt die EU. Was aber verleitet einen Hugo Portisch dazu, sich mit 85 Jahren noch immer so engagiert zu Wort zu melden, wenn es um Österreich und Europa geht?
Hugo Portisch: Weil mich alles beschäftigt, ja aufregt, was mit Österreich und dem gemeinsamen Europa zu tun hat. Und weil ich die Chance und das Glück hatte, viele Jahrzehnte lang die Entwicklungen unmittelbar mitzuerleben. Daraus wächst auch eine Verpflichtung, Erfahrungen weiterzugeben. Jetzt, in dieser großen europäischen Krise, heißt das: Den Österreichern zu sagen, wie viel wir durch eigene Leistung geschafft haben – wie viel wir aber auch der Solidarität anderer Länder verdanken, nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben also jetzt allen Grund, mit anderen solidarisch zu sein. Übrigens zeigt die Erfahrung: Solidarität nützt immer beiden, den Gebern und den Nehmern. Das war schon 1948 so, bei der Wiederaufbauhilfe für unser bettelarmes Land. Und das gilt auch heute für Länder wie Griechenland.
Die Furche: Von Deinem neuen Buch „Was jetzt“ sind, so heißt es, schon mehr als 90.000 Stück verkauft worden. Wieso dieser Riesenerfolg gerade in Österreich, das sich mit Europa offenkundig schwerer tut als andere Länder? Wieso greifen so viele Landsleute nach Deinem leidenschaftlichen Plädoyer für die EU, wo ihnen die Union doch noch immer ziemlich fremd ist – und manchmal auch zuwider?
Portisch: Ich glaube, sehr viele Leute haben das Gefühl, dass sie nicht genug erfahren und wissen – über die EU und über das, was derzeit auf sie zurollt. Für diese Defizite gibt es viele „Schuldige“, allen voran die Union selbst und ihre Informationspolitik. Aber auch viele Europa-Abgeordnete leisten im EU-Parlament durchaus gute Arbeit, nur ihre Kommunikation mit der Bevölkerung zuhause lässt zu wünschen übrig. Auch aus dem Parlament, das die EU-Beschlüsse in nationalstaatliche Gesetze und Verordnungen umzugießen hat, kommen zu wenig Informationen. Die Abgeordneten müssten weit mehr zu ihren Wählern hinausgehen. Wie viele von uns kennen etwa den „Lissabonner Vertrag“ – nahezu die Verfassung der EU? Wer erklärt ihn der Bevölkerung? Wenn die Volksvertreter dem Volk wenig oder gar nichts erklären, wenn diese Verständigung nicht geschieht, dann ist unsere ganze repräsentative Demokratie nichts wert …
Die Furche: Aber ohne den „Faktor Portisch“ wäre der Bucherfolg wohl nicht erklärbar …
Portisch: Das Wichtigste ist der Hunger nach Wissen und Ausdeutung. Aber wahrscheinlich – und das soll jetzt nicht eingebildet klingen – hat mir meine fast dreißigjährige Kommentatoren-Tätigkeit im TV auch einen gewissen Bonus an Kompetenz geschenkt.
Die Furche: Es ist hier nicht der Platz, um all die Themen, die Länder, die Konflikte, die Sternstunden aufzuzählen, die Du erlebt, beschrieben und kommentiert hast. Aber: Gibt es im Rückblick ganz bestimmte Augenblicke, Erfahrungen, Begegnungen, von denen Du spontan sagen könntest, dass sie Dich und Dein Weltbild geprägt haben?
Portisch: Natürlich gibt’s die. In erster Linie ist mein Weltbild durch die aufregenden ersten Nachkriegsjahre 1945/46 geprägt worden. Es war eine Zeit der echten Befreiung: Wir sind dem Krieg entronnen – und der Diktatur. Das ganze Ausmaß des Schreckens haben wir ja erst nach und nach erfahren: Die Opferzahlen, die Verbrechen – vor allem aber diese europaweite Judenvernichtung, die Zerstörungen. Aber wir haben erstmals Freiheit geatmet. Ich habe alles aufgesogen, was damals zu lesen, zu hören und zu erfahren war. Vielleicht ist das heute nicht mehr zu verstehen: Als wir angehende Studenten in den Trümmern des Wiener Rathauses die verschüttete städtische Bibliothek ausgegraben haben, Buch um Buch, da haben wir ein echtes Glücksgefühl gehabt: Solche Momente haben mich geprägt – ich hüte sie wie ein Geschenk. Und dann waren da die ersten Berufsjahre. Die Freude am Journalismus – seinem Auftrag und seinen Möglichkeiten. Unvergesslich sind auch jene sechs Monate in den USA, geleitet und begleitet von der bis heute besten Journalistenschule an der Universität von Missouri; die Erfahrung einer atemberaubenden journalistischen Freiheit, aber auch ihrer Bedrohung durch Medienmonopole und Medienkonkurrenz. Vieles davon hat ja inzwischen auch Europa und Österreich erreicht …
Die Furche: Du warst vor allem Journalist. Du warst enorm erfolgreicher Buchautor. Du warst Gestalter großer TV-Dokumentation, warst Volksbildner, Geschichte- und Geschichtenerzähler. Du warst Medienpolitiker und Erfinder des Rundfunk-Volksbegehrens. Du warst eine diskret beratende Instanz in Krisentagen unserer Republik. Du warst und bist ein großer Patriot und Welterklärer, warst Berichterstatter und Meinungsbildner. Bei aller Fülle an Aufgaben: Wo war Dein Herz am stärksten mit dabei?
Portisch: Wahrscheinlich bei den TV-Dokumentationen „Österreich I“ und „Österreich II“, bei der Aufarbeitung der österreichischen Geschichte. Das war für mich die Krönung. Und sonst: Die Chance, die Welt zu erleben – auch dort, wo es damals noch ungewöhnlich war: in China, der Sowjetunion, in Sibirien, Vietnam, Afrika, Lateinamerika ... Selbst als KURIER-Chefredakteur habe ich mir diese Freiräume sichern und diese Leidenschaft erfüllen können, dort dabei zu sein, wo der erste Rohentwurf der Zeitgeschichte geschrieben wird. Das war zweifellos dem hervorragenden „Heimat-Team“ in der Redaktion zu verdanken, Dir und den Kollegen. Es war vermutlich damals – ohne Internet, Handy und oft auch ohne Telefon – beschwerlicher als heute. Trotzdem denke ich mir: Diese globalisierte Informationsfülle, so es überhaupt echte Informationen sind, kann auch vieles verschließen: Etwa den Drang, hinauszufahren; die Neugier, andere Länder, Kulturen, Menschen selbst zu erleben, zu erspüren. Ich glaube: Das „Abenteuer im Kopf“ ersetzt in unserer Profession nicht den unmittelbaren Kontakt. Wer glaubwürdig berichten will, muss auch vor Ort sein können. Das ist heute nicht leichter geworden, eher ist das Gegenteil der Fall.
Die Furche: Kardinal König hat noch mit beinahe 100 Jahren wenig mit dem Gedanken angefangen, seine Lebensgeschichte zu schreiben. Immer hat ihn die Zukunft mehr interessiert, als die eigene Vergangenheit. Ist das auch ein Grund, dass es noch immer nicht die Memoiren des Hugo Portisch gibt?
Portisch: Ich habe mir immer schwer getan, über mich zu schreiben. Wir Journalisten haben ja gelernt: Das „Ich“ gibt es nicht − der Blick muss stets auf das gerichtet sein, was Gegenstand unserer Berichte ist. Wir haben zu vermitteln, zu erklären, zu werten. Mein 1990 verstorbener Freund und Schriftsteller György Sebestyén hat mir einen Leitsatz vorgegeben: „Wir dürfen nicht eines Tages wie die Veteranen am Lagerfeuer sitzen und von vergangenen Heldentaten schwärmen.“
Die Furche: … wenn aber einer wie Du über so viele Jahrzehnte hinweg mehr erlebt und gesehen hat als so viele andere? Gibt es da nicht sogar eine Berichtspflicht?
Portisch (lachend): Also, ich werde mir das überlegen ...
Hugo Portisch war KURIER-Chefredakteur, Chefkommentator des ORF und weltpolitischer Kommentator des Bayrischen Rundfunks, sowie Gestalter großer TV-Dokumentationen und vielfacher Bestseller- Autor.