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Ärztin und Zeitzeugin#

Zur Erinnerung an die Medizinerin und Psychoanalytikerin Else Pappenheim, die vor 100 Jahren in Salzburg geboren wurde.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 28. Mai 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Brigitte Biwald


Else Pappenheim
Die 93-jährige Else Pappenheim, aufgenommen während eines Besuches im Wiener Literaturhaus im März des Jahres 2004. Im Jahr 2009 ist sie hochbetagt gestorben.
© Foto: apa/ Heinz Jaksch

Else Pappenheim stammte aus einer traditionsreichen Ärztefamilie und wurde am 22. Mai 1911 in Salzburg geboren. Ihr Vater Martin Pappenheim (1881 – 1943) war Neurologe und Professor an der Universität Wien. Seine Schwester Mitzi Pappenheim war ebenfalls Ärztin und eine der ersten Frauen, die in Wien an der medizinischen Fakultät promovierten. Sie ist ein Beispiel für die erste Generation von Medizinerinnen aus zumeist jüdisch-liberalem Milieu, die zwischen 1900 und 1914 an der medizinischen Fakultät das Studium abschlossen.

Else Pappenheim gehörte zur zweiten Generation dieser Medizinerinnen. Ihre Mutter Edith, geborene Goldschmidt (1881 – 1942), war die Tochter eines bekannten Hals-Nasen-Ohrenarztes und Begründerin der ersten Frauenhochschule in Leipzig. Die jüdische Herkunft spielte in der Familie Pappenheim keine Rolle, da bereits Edith Pappenheim als Protestantin aufgewachsen war. Ihre Tochter Else besuchte den protestantischen Religionsunterricht an der Wiener Schwarzwald-Schule. Dort leitete Oskar Kokoschka eine Zeichenklasse, der Sohn von August Strindberg hielt Vorlesungen, Arnold Schönberg unterrichtete Musik. Bereits als Schülerin interessierte sich Else Pappenheim für Psychologie. So schrieb sie eine Maturaarbeit über den Dichter Friedrich Hölderlin, der an Schizophrenie litt.

Akademische Laufbahn#

Geprägt von der fortschrittlichen Atmosphäre der Schwarzwald-Schule, war für Else Pappenheim eine akademische Laufbahn vorgegeben. Als sie 1929 ihr Medizinstudium in Wien begann, war die Frauenquote an der Universität bereits beachtlich. Im Jahre 1925/26 betrug der Anteil der Studentinnen bereits 18 Prozent der Studierenden und stieg 1928/1929 auf 22 Prozent an. Auch an der medizinischen Fakultät kam es in dieser Zeit zu einem erheblichen Zuwachs an Studentinnen: 690 Hörerinnen inskribierten im Wintersemester 1933/34. Else Pappenheim beschrieb in ihren Aufzeichnungen den Anteil an ausländischen Studierenden an der medizinischen Fakultät, die meist aus den ehemaligen Ländern der Monarchie stammten. Ein erheblicher Teil davon waren Frauen, denen ein Studium in ihrem Land nicht möglich war.

An der medizinischen Fakultät in Wien wurde in den 1930er Jahren Anatomie an zwei Instituten gelehrt, die von den Professoren Julius Tandler und Ferdinand Hochstetter geleitet wurden. Bei Tandler, der selbst jüdischer Herkunft war, studierten zumeist jüdische Studenten, während Hochstetter die nicht jüdische Hörerschaft betreute. Else Pappenheim war von der Persönlichkeit Tandlers hin und her gerissen: Sie bezeichnete ihn einerseits als "phantastischen, unglaublichen Lehrer", von dem sie viel lernte, andererseits war Tandler für sie ein "ekelhafter" dafür aber "kein "fader Kerl", so wie Hochstetter, der viel aus dem Buch vortrug. Tandler schätzte hübsche Studentinnen, hatte ausschließlich weibliche Demonstrantinnen und Assistentinnen, machte sarkastische Bemerkungen und ließ viele Prüflinge beim ersten Antritt durchfallen.

Antisemitismus#

Im Zuge der politischen Ereignisse zu Beginn der 1930er Jahre verschärfte sich die Stimmung an der Universität zusehends. Antisemitische Übergriffe machten auch vor weiblichen Studierenden nicht Halt. Die medizinische und die juridische Fakultät waren aufgrund des traditionell hohen Anteils an jüdischen Studierenden bevorzugte Ziele dieser Attacken. Fanatische Studenten von Hochstetter sperrten Studenten und Studentinnen von Tandler im anatomischen Institut ein. Als sie wieder herausgelassen wurden, bildeten die Studenten von Hochstetter ein Spalier und schlugen mit Knüppeln auf ihre Kollegen ein, auch auf die Frauen. Die Polizei schritt nicht ein.

Im Zuge des Februar-Aufstandes 1934 kam es zum Verbot der Sozialdemokratischen Partei. Julius Tandler wurde zwangspensioniert. Studenten und Studentinnen jüdischer Herkunft wurden als Hospitanten nicht mehr bezahlt. In dieser schwierigen Zeit spezialisierte sich Else Pappenheim in Wien auf Psychiatrie und Neurologie, die damals noch ein gemeinsames Fach waren und erarbeitete ihre eigene Analyse. Es folgte die Promotion an der medizinischen Fakultät im Jahr 1935, die von Beginn an unter einem schlechten Stern stand. Im Ständestaat wurde der berufliche Spielraum der jungen Ärztin immer enger.

Nach der Promotion machte Else ihren Turnus auf der psychiatrischen Klinik in Wien, von der sie schließlich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft im März 1938 suspendiert wurde. Danach wurde sie an die neurologische Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses versetzt und arbeitete dort noch kurze Zeit. Am 25. April wurde sie fristlos entlassen. Sie konnte noch bis Ende September 1938 eine Privatpraxis als Fachärztin aufrechterhalten, bevor ihr auch diese Möglichkeit eines Einkommens genommen wurde. Dank eines Visums, das ihr eine frühere Kollegin vermittelte, konnte sie am 8. November 1938 Wien verlassen.

Else Pappenheim war nicht die Einzige in ihrer Familie, die emigrieren musste. Sowohl ihr Vater als auch ihre Tante waren als Sozialdemokraten im Zuge der Ereignisse im Februar 1934 kurzzeitig verhaftet worden. Martin Pappenheim emigrierte dann nach Palästina und war dort am Aufbau der Psychoanalyse beteiligt.

Else Pappenheim traf ihren Vater, nachdem sie Wien 1938 verlassen hatte, in Palästina, brach danach aber in Richtung USA auf. Ihre Mutter, von Martin Pappenheim seit 1919 geschieden, reiste 1938 nach Bonn. Else Pappenheim bemühte sich in der Zwischenzeit darum, die Emigration ihrer Mutter Edith in die USA zu organisieren, was jedoch nicht gelang. 1942 beging Edith Pappenheim zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Schwager angesichts der Ausweglosigkeit ihrer Lage Selbstmord. Else Pappenheim reiste mit großen Erwartungen in die USA. Dort erlitt sie nach eigener Aussage einen "Kulturschock"; sie musste erkennen, dass an den Universitäten die Frauenquote begrenzt war, es sogar eine Quote für Juden gab! Während ihrer Ausbildung in Wien hatte sie viele Amerikaner kennen gelernt, die davon jedoch niemals gesprochen hatten.

Berufliche Erfolge#

Trotz dieser Enttäuschung gelang Else Pappenheim die Integration in das Berufsleben verhältnismäßig rasch, da sie durch einen amerikanischen Kollegen ihres Vaters eine Assistenzstelle am Johns Hopkins Hospital in Baltimore vermittelt bekam. Das dürfte jedoch eine Ausnahme gewesen sein, da einige ihrer emigrierten Kolleginnen und Kollegen sich erst eine Zeitlang als Nannies oder als Dishwasher durchschlagen mussten. Nur sehr wenige haben es auf Anhieb geschafft. Der Prozess der Nostrifizierung des ärztlichen Diploms stellte eine weitere Hürde für Medizinerinnen in der Emigration dar. Voraussetzung dafür war eine Sprachprüfung in Englisch.

Die Nostrifizierung bedeutete, dass jede einzelne Prüfung des Studiums nachgemacht werden musste. Der Unterschied zur Wiener Universität schien damals erheblich, da man im Grunde nur mündliche Kolloquiumsprüfungen gewohnt war, und nun alle Prüfungen schriftlich ablegen musste.

Entwurzelte Europäerin#

Viele der Medizinerinnen aus Wien, zwei Jahre geschult durch die topographische Lehrmethode Julius Tandlers, wunderten sich über den geringen Umfang des Anatomie-Lernstoffes der amerikanischen Kollegen. Viele dieser jungen Akademikerinnen überwanden die kulturellen und beruflichen Schwierigkeiten und bauten sich ein neues Leben auf. Einige der Frauen fühlten sich aber nach wie vor als "entwurzelte Europäerinnen".

Else Pappenheim zog im Jahr 1941 von Baltimore nach New York und beendete hier zwei Jahre später ihre Lehranalyse. 1946 heiratete sie den ebenfalls emigrierten Patentanwalt und Elektro-Ingenieur Stephen Frishauf, bekam zwei Kinder und eröffnete eine psychoanalytische Privatpraxis in New York.

Im Jahr 1956 besuchte Else Pappenheim erstmals seit ihrer Flucht wieder Österreich. Doch erst 1987, im Rahmen des Symposiums "Vertriebene Vernunft", an dem sie neben vielen anderen Emigrantinnen und Emigranten teilnahm, erfolgte eine gewisse Wiederannäherung an Österreich in Form eines Austauschs mit jungen österreichischen Psychiatern und Psychoanalytikern.

Else Pappenheim, verheiratete Frishauf, lebte und arbeitete bis 1986 als Neurologin und Psychiaterin an verschiedenen Universitäten und Krankenhäusern in New York. Sie starb im Alter von 97 Jahren am 11. Jänner 2009 in New York. Sie war das letzte noch lebende Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung der 1930er Jahre, und damit eine der letzten Zeitzeuginnen, die über Ende und Neugründung der Psychoanalyse Auskunft geben konnten.

Literatur#

  • Birgit Bolognese Leuchtenmüller, Sonia Horn (Hrsg.): Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich. Wien 2000.
  • Darin insbesondere der Beitrag von Michaela Raggan: Jüdische Studentinnen an der medizinischen Fakultät in Wien, S. 139–157.
  • Bernd Handlbauer (Hrsg): Else Pappenheim, Hölderlin, Feuchtersleben, Freud. Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse, der Psychiatrie und Neurologie. Graz–Wien 2004.
  • Friedrich Stadler (Hrsg.): Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. 2 Bände, Lit Verlag Wien 2004.

Brigitte Biwald

Brigitte Biwald, geboren 1951, ist als Historikerin in der Erwachsenenbildung mit Schwerpunkt Medizingeschichte tätig. Veröffentlichungen über die Revolution 1848 (1996) und über das Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg (2003). Sie lebt in Perchtoldsdorf.

Wiener Zeitung, Samstag, 28. Mai 2011


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