Else Lasker Schüler, alias "Prinz Jussuf von Theben"#
Die deutsche Avantgardistin schuf in poetischen und zeichnerischen Arbeiten eigenen Welte. Zu ihrem 150. Geburtstag am 11. Februar.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 10. Februar 2019
Von
Oliver Bentz
In einer biographischen Skizze schrieb Else Lasker-Schüler über ihr Leben: "Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich (. . .). In Gedanken im Himmel, betreue ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf. Meine Bücher laufen so herum und werden einmal im Meer ertrinken. Früher habe ichs manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler - leider."
Träumerin und Traumdeuterin zugleich war Else Lasker-Schüler, diese Dichterin, Dramatikerin und Zeichnerin, die am 11. Februar 1869 in Elberfeld (heute ein Viertel der südlich des Ruhrgebiets liegenden Stadt Wuppertal) zur Welt kam. Sie interessierte sich - wie auch der zu Poesie gewordene Lebensabriss zeigt - wenig für das, was Biografen die Fakten eines Menschenlebens nennen. Wenn sie schrieb, ging es ihr weniger um Dichtung und Wahrheit, sondern um Dichtung als persönliche Wahrheit - oder, um es in Else Lasker-Schülers eigenen Worten auszudrücken, um Dichtung als "Blüte der Wahrheit".
Königin der Bohème#
Else Lasker-Schüler, für den jüngeren Dichterkollegen Gottfried Benn, mit dem sie um 1912 eine künstlerisch sehr fruchtbare Liebesbeziehung verband, "die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte", für Friedrich Dürrenmatt die "Retterin der deutschen Sprache in barbarischer Zeit", und für Karl Kraus "die größte unwegsamste Erscheinung des modernen Deutschland", gilt heute als eine der herausragenden Lyrikerinnen des Expressionismus.
Die poetische Kraft für ihr stark autobiographisch geprägtes, aber der Welt enthobenes dichterisches und künstlerisches Werk zog Else Lasker-Schüler auch aus ihren Wurzeln im assimilierten, liberalen jüdischen Bürgertum, in das sie als jüngstes von sechs Kindern des Handelsagenten und späteren Privatbankiers Aron Schüler und dessen Ehefrau Jeanette hineingeboren wurde.
Die 1894 geschlossene Ehe mit dem Arzt Berthold Lasker ermöglichte ihr die Flucht aus der Enge der Heimatstadt in die erwachende Kunstmetropole Berlin. Dort nahm sie Zeichenunterricht und fand in den unbürgerlichen literarischen und weltanschaulichen Zirkeln wie der "Neuen Gemeinschaft" um die Brüder Hart und den Vagantendichter Peter Hille, der ihr Mentor wurde, ihre intellektuelle Befreiung. Bald avancierte sie zur Leitfigur dieser Szene, zur "Königin der Bohème", der sie 1906 in ihrem "Peter Hille-Buch" in einer hochexpressiven Sprache und poetisch-mythischen Überhöhung ein literarisches Denkmal setzte - und mit dem sie auch ihre Selbstmythisierung begann.
Mit ihrer Lyrik war Else Lasker-Schüler die Radikalste unter den Radikalen. Zusammen mit ihrem zweiten Mann Herwarth Walden, dem Gründer der Zeitschrift "Der Sturm", die ein Sprachrohr der Expressionisten wurde, kämpfte sie an der Spitze der Avantgarde für die Moderne im Berlin der Kaiserzeit und prägte die Entwicklung der expressionistischen Literatur und Kunst in erster Reihe mit.
Im "Sturm" erschien 1910 erstmals "Ein alter Tibetteppich", heute eines von Else Lasker-Schülers bekanntesten Gedichten, das auch Karl Kraus in der "Fackel" abdruckte. Darin beschreibt die Dichterin mit suggestiver Sprachartistik eine Liebesbeziehung, erzählt von Seelen, die miteinander "im Teppichtibet verwirkt" sind, und himmelt den "Lamasohn auf Moschuspflanzenthron" an.
Mit ihrem literarischen und künstlerischen Werk schuf sich Else Lasker-Schüler ihren eigenen Mythos, ein Konglomerat aus syrisch-ägyptischen, griechischen, jüdischen und christlichen Welten.
In den Orient verlegte sie die phantastische Wahlheimat ihres wichtigsten Alter Ego, "Prinz Jussuf von Theben", den sie dichterisch und zeichnerisch immer wieder auftreten ließ. Er wurde von ihr als Leitmotiv, als inner- und außerliterarische Spielfigur geschaffen, durch die sie etwa im eigenhändig illustrierten, 1919 erschienenen Roman "Der Malik" mit dem im Ersten Weltkrieg gefallenen engen Malerfreund Franz Marc in Dialog trat. Daneben imaginierte sich die Poetin, die auch ihren realen Freunden aus der Berliner Künstlerbohème der 1910er Jahre Phantasienamen verpasste, in die Figur des "Tino von Bagdad" und in indianische Ich-Figurationen wie "Der Blaue Ja-guar", "Pampa" oder "Pampeia".
Verlorene Heimat#
Ist Else Lasker-Schülers erster Lyrikband "Styx" (1902) noch vom Impressionismus geprägt, trägt ihr Gedichtband "Der siebente Tag" (1905) schon den Ton des jungen Expressionismus. Lebensfroh und daseinsbejahend wie ihre dritte Lyriksammlung, "Meine Wunder" (1911), kommen diese Bücher daher, während später, unter dem Eindruck der Zeitereignisse, ein immer düsterer Ton ihre Dichtung prägt. In ihrem im Jerusalemer Exil entstandenen letzten Lyrikband "Mein blaues Klavier" (1943), der einige der bedeutendsten Exilgedichte deutscher Sprache enthält, mündet diese Verdüsterung in tiefen Schmerz, Einsamkeit und in die große Trauer um die verlorene Heimat.
Das blaue Klavier des titelgebenden elegischen Gedichts wird zur Metapher unerfüllter Sehnsüchte und zum Ausdruck tiefer Heimatlosigkeit, die sie ausgerechnet in dem Land erfährt, das ihr stets als Projektionsfläche ihrer Phantasien gedient hatte.
Während sie als Avantgardistin der Moderne und des Expressionismus in der deutschen Literaturgeschichte einen exponierten Platz einnimmt, ist Else Lasker-Schüler als Poetin der Zeichenfeder noch immer weniger bekannt.
Dabei hat sie, deren Bilder 1937 von den Nazis als "entartet" in der Berliner Nationalgalerie beschlagnahmt wurden, auch als Zeichnerin ein hochinteressantes Werk vorzuweisen, in dem sie sich wie in ihren Gedichten einen Kosmos voll ausladender Phantasie schuf, und das während der Weimarer Republik in den renommierten Galerien von Paul Cassirer und Alfred Flechtheim in Berlin sowie im Ausland ausgestellt wurde.
Vom Tod des an Tuberkulose erkrankten und von ihr über viele Jahre gepflegten Sohnes Paul im Jahr 1927 tief getroffen, zog sich die bis dahin oft exaltierte und in orientalischen Phantasie-Verkleidungen auftretende Künstlerin zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurück. Nachdem 1933 die neuen Machthaber Else Lasker-Schüler, der im Jahr zuvor mit dem Kleistpreis noch die höchste deutsche Literaturauszeichnung zugesprochen worden war, mit Publikationsverbot belegten und man sie auf offener Straße auch tätlich angriff, verließ sie Deutschland und ging in die Schweiz. Vom Jüdischen Kulturbund sowie einigen Gönnern unterstützt und von der Fremdenpolizei misstrauisch beäugt und gegängelt, reiste sie mehrmals von dort nach Jerusalem, wo sie sich, vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Verweigerung eines Rückreisevisums durch die Schweizer Behörden an der Rückkehr gehindert, 1939 bis zum Ende ihres Lebens niederließ.
Endstation Jerusalem#
1940/41 entstand dort ihre Tragödie "IchundIch", in der sich Else Lasker-Schüler zum ersten Mal in ihrem Werk direkt auf das politische Geschehen ihrer Zeit bezog und die Wandlung Deutschlands von der aufklärerischen Kulturnation in ein machtgieriges und mordendes Monster hellsichtig thematisierte. Am 22. Jänner 1945 starb Else Lasker-Schüler in Jerusalem. Am Fuß des Ölbergs wurde sie begraben. "Ihre Themen", schrieb der einstige Geliebte Gottfried Benn über ihr Werk, "waren vielfach jüdisch, ihre Phantasie orientalisch, aber ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch, eine Sprache, reif und süß, in jeder Wendung dem Kern des Schöpferischen entsprossen."
Immense Wirkung übten neben den Freunden aus ihrer literarischen Umgebung auch die verschiedenen Orte, an denen sie lebte und schrieb, auf das Werk Else Lasker-Schülers aus. Gleich drei anlässlich ihres 150. Geburtstags erschienene Publikationen schildern das Leben der Autorin in jenen Städten, in denen sie längere Phasen ihres Lebens verbrachte:
In ihrem Buch "Verzauberte Heimat. Else Lasker-Schüler und Wuppertal" (Peter Hammer Verlag, 132 Seiten, 22,70 Euro) folgt Ulrike Schrader den Spuren der Dichterin in ihrer Geburtsstadt, in der sie auch ihr erstes, 1909 erschienenes Schauspiel "Die Wupper" spielen ließ. Im Tal der Wupper wurde Else Lasker-Schüler geboren, hier wuchs sie auf - und bis zu ihrem Tod im fernen Jerusalem hörte sie nie auf, die Straßen und Plätze, Häuser und Gärten, die Menschen und Ereignisse in ihrer Heimatstadt und ihres "Kindheitsparadieses" zu erinnern. Mit Gedichten, kurzen Prosatexten, Zeichnungen und Erinnerungen Lasker-Schülers öffnet Ulrike Schrader in ihrem Buch den poetischen Blick auf die "verzauberte Heimat".
Schweizer Gönner#
Fast vierzig Jahre lang lebte Else Lasker-Schüler in Berlin, bevor sie 1933 von den Nationalsozialisten aus der Stadt vertrieben wurde. Im Band "Else Lasker-Schüler in Berlin" (be.bra verlag, 160 Seiten, 20,60 Euro) schildert Jörg Aufenanger das Leben und extravagante Auftreten der exzentrischen Dichterin in den Kaffeehäusern der Berliner Künstlerbohème und erzählt auch von ihrer Einsamkeit in der Metropole an der Spree, die sich in vielen ihrer Werke widerspiegelt.
Im Band "Viele sind sehr sehr gut zu mir" (Limmat Verlag, 272 Seiten, 35,80 Euro) beleuchtet schließlich Ute Kröger die Aufenthalte Else Lasker-Schülers in Zürich, wo sie sich zwischen 1917 und 1927 mehrmals niederließ und enge Beziehungen zur Kulturszene der Stadt knüpfte. Diese halfen ihr auch, als sie nach Hitlers Machtergreifung dort Zuflucht fand und der Überwachung durch die Fremdenpolizei ausgesetzt war. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die Verweigerung des Visums durch die Schweizer Behörden machten ihr nach einem Jerusalem-Aufenthalt die Rückkehr nach Zürich unmöglich.
Zu den Gönnern, die Else Lasker-Schüler im Schweizer Exil unterstützten, gehörte auch der Warenhausdirektor Hugo May. Als Zeichen der Anerkennung und Dankbarkeit fertigte sie für ihn in den Jahren 1935/36 ein handschriftliches Gedichtbuch an. Dieses im künstlerischen Werk Else Lasker-Schülers einzigartige Objekt, das auf 80 Blättern 36 Gedichte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, den Jahren der Weimarer Republik bis hin zu im Schweizer Exil entstandenen Arbeiten enthält, tauchte, bisher unbekannt, im Jahr 2013 auf und wurde anlässlich ihres heurigen Jubiläums im Wallstein Verlag, herausgegeben und kommentiert von Andreas Kilcher, als Faksimile in bibliophiler Ausstattung erstmals aufgelegt ("Else Lasker-Schüler: Gedichtbuch für Hugo May". 2 Bde., zus. 392 Seiten, 191 Abb., 40,10 Euro).