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Automotive 13: Eine Barke aus Atlantis#

(Zwei Tage mit einem Steyr XII von 1927)#

von Martin Krusche

Das Wort Atlantis steht für die Vorstellung von einem versunkenen Kontinent, der viele Schätze birgt, von denen wir nichts wissen oder von denen wir bloß Gerüchte kennen. Das ist im Grunde eine schöne Metapher für die menschliche Neigung, über den eigenen Horizont hinauszudenken.

Der Steyr XII von 1927, Österreichs erstes Großserien-Automobil. (Foto: Martin Krusche)
Der Steyr XII von 1927, Österreichs erstes Großserien-Automobil. (Foto: Martin Krusche)

Wir haben in unserer Kultur ein Gefühl entwickelt, daß es auch Dinge geben muß, die wir nicht mehr oder noch nicht denken können. Für mich gibt es ein Atlantis, das noch alelrhand Zugänge hat. Türen und Tore, schlecht beleuchtete Gänge, über die man Räume betreten kann, in denen alte Dinge verwahrt sind und betreut werden. Manches davon sind Schätze, wertvolle Artefakte. Manches davon handelt von Wissen, das nicht dokumentiert wurde.

Ich erhalte solche Zugänge gelegentlich, weil ich das Vertrauen von Menschen gewonnen hab, die ein eigentümliches Netzwerk bilden. Da werden Dinge gewußt und Gegenstände gehandhabt, die einen in Erstaunen versetzen können.

Kürzlich fand ich die Gelegenheit, zwei Tage mit einem Auto zu verbringen, das über 90 Jahre alt ist. Helmut Oberzill, vormals Meteorologe, hat seinen 1927er Steyr XII in glänzende Form gebracht, penibel eingestellt und abgstimmt.

Der elegante sowie kompakte Doppelphaeton mit dem Reihensechszylinder ist eine einstmals höchst erfolgreiche Konstruktion von Adolf Honsig, den Pionier Hans Ledwinka ins Steyr-Werk geholt hatte. Der Zwölfer wurde auch dadurch bekannt, daß Bert Brecht dieses Modell fuhr.

Alles klappt#

Wir sind gewöhnt, daß Dinge mühelos klappen, daß sich Gebrauchsgegenstände problemlos benutzen lassen. Je nach Position kann man seinen Unmut nach unten abbauen, falls es klemmt, kann Untergebene zusammenstauchen. Je nach Temperament, Status und Weltsicht wird eine Person höchst unterschiedlich auf Störungen reagieren.

Wir haben alle schon Erfahrungen gemacht, was einem blühen mag, wenn jemand mit Hemmnissen nur schlecht zurechtkommt. Ich tippe auf Kolportage aus alten Tagen, wo etwa erzählt wird: „Wenn der Meister nichts kann, schimpft er aufs Werkzeug“. Wer kennt nicht Situationen, wo jemand ein Ding anbrüllt oder mit Tritten traktiert, als sei es ein störrischer Esel?

Was mag einen daher bewegen, sich mit Leidenschaften einzurichten, bei denen Probleme, Widerstände und Pannen zu den unvermeidbaren Fundamenten gehören? Genau das ist zwingend, falls man ein Faible für alte Maschinen hat.

Wer ausgemusterte Gerätschaften aus dem vorigen Jahrhundert restauriert, braucht ein belastbares Gemüt. Wer sich für Autos oder Motorräder begeistert, die 60 bis 100 Jahre alt sind, wird seinen Charakter auf lange Sicht in allen Zusammenhängen auf Prüfstände gespannt finden.

Die quer geteilte Frontscheibe dient bei geschlossenem Verdeck und seitlich angebrachten Steckscheiben als „Klimaanlage“. (Foto: Martin Krusche)
Die quer geteilte Frontscheibe dient bei geschlossenem Verdeck und seitlich angebrachten Steckscheiben als „Klimaanlage“. (Foto: Martin Krusche)
Helmut Oberzill (links) und Rainer Kraus bei der Roadbook-Exegese. Das klappbare Lenkrad des Steyr macht das Ein- und Aussteigen leichter. (Foto: Martin Krusche)
Helmut Oberzill (links) und Rainer Kraus bei der Roadbook-Exegese. Das klappbare Lenkrad des Steyr macht das Ein- und Aussteigen leichter. (Foto: Martin Krusche)

Was den alten Zwölfer angeht, haben mich dieser Tage vor allem zwei Aspekte sehr bewegt. Das grundlegend andere, nämlich geringere Tempo der alten Automobile. Und wie man dem Wetter ausgesetzt ist. Außerdem ist das alles sehr physisch. Im Klang, in der Handhabung, in dem, was sich vom Fahrereignis auf den eigenen Körper überträgt.

Dazu kommt, was ich als eine Art der Achtsamkeit auf Rädern erlebe. Das Physische, wie eben erwähnt, fordert einen auf grundlegend andere Art als die Fahreigenschaften zeitgemäßer Autos.

Dazu kommt eine merklich höhere Anfälligkeit für Defekte, denn die metallurgischen Kenntnisse, die Konzepte und die Produktionsmethoden waren vor hundert Jahren wie die Modi von einem anderen Planeten; oder zumindest von einem versunkenen Kontinent. Ein kleines Beispiel.

Der Doppelphaeton ist ein recht ursprünglicher, offener Wagentyp mit zwei Sitzreihen, die sich mit einem Klappverdeck überspannen lassen. Seitlich wird er mit Steckscheiben geschlossen, um mehr Wetterschutz zu erhalten. Als wir an einer entlegenen Stelle hielten, um diese Steckscheiben abzunehmen und im Wagen zu verstauen, die Sonne hatte schon genug Kraft entfaltet, hielt der imposante Steyr 530 kurz neben uns und Birgit Kilin fragte, ob es ein Problem gäbe. Man achtet aufeinander.

Tempo und Takt#

Unsere Gesellschaft hat inzwischen rund 200 Jahre einer permanenten technischen Revolution durchlaufen. Das handelt zum Beispiel davon, daß es innerhalb meiner bisherigen Lebensspanne zwei industrielle Revolutionen gegeben hat. Dem verdanke ich zwar einen Lebensstandard, wie ihn meine Großeltern nicht kannten, aber es nimmt uns jene Adaptionsphasen, in denen sich frühere Gesellschaften mit Neuerungen vertraut machen konnten.
Von links: Bigit Kilin im 1935er Steyr 530, beim Fahrzeug Lisl und Heinz Mesicek. (Foto: Martin Krusche)
Von links: Bigit Kilin im 1935er Steyr 530, beim Fahrzeug Lisl und Heinz Mesicek. (Foto: Martin Krusche)

Wenn ich mich nun im Rahmen des Langzeitprojektes „Dorf 4.0“ mit regionaler Wissens- und Kulturarbeit befasse, dann handelt das unter anderem von den Fragen, wie in Gemeinschaft auf solche Prozesse und Progressionen sinnvoll reagiert werden kann.

Europa hatte schon Mitte des 19. Jahrhunderts Erfahrungen gemacht, daß sich soziale Unruhen durch die Mechanisierung unserer Arbeitswelten nicht mit Aufständen regeln lassen, daß Maschinenstürmerei die Entwicklung nicht blockiert.

Wir wurden in jüngster Vergangenheit mit gänzlich neuen Situationen konfrontiert, ohne daß es den meisten Menschen bewußt ist. Es gibt inzwischen Maschinen, die von Maschinen lernen, statt von Menschen. Dinge kommunizieren mit Dingen. Das ist ein weit radikalerer Umbruch als die Optimierung der Dampfmaschine durch James Watt, womit Ende des 19. Jahrhunderts die Erste Industrielle Revolution losgetreten wurde.

Diese selbstlernenden Systeme und eigenständig kommunizierenden Dinge ergeben einen Paradigmenwechsel, der so grundlegend ist, wie der Umbruch von der oralen Kultur zur Schriftkultur. Platon hat diesen Umbruch im Dialog „Phaidros“ dingfest gemacht. Ein Text, der über 2500 Jahre alt ist.

Weshalb ich diese zwei Phänomene zueinander in Beziehung bringe? Im antiken Griechenland setzte sich damals ein phonetisches Alphabet durch und fanden folglich neuer Schreibmaterialien eine rasante Verbreitung. Wir halten heute für gesichert, daß unser Denken unser Sein bestimmt, daß unsere Sprache unser Denken prägt.

Nun hat der Mensch Maschinen entwickelt, deren Funktionen über eigene Codes (Sprachen) bestimmt werden und die sich mit Maschinencodes untereinander verständigen können. Das bedeutet keinesfalls, daß wir absehen könnten, solche Maschinen würden ein Bewußtsein von sich selbst und daher Geist entwickeln.

Rainer Kraus hat mit den Fahrleistungen seiner gut eingestellten 1913er Tin Lizzy allgemein überrascht. (Foto: Martin Krusche)
Rainer Kraus hat mit den Fahrleistungen seiner gut eingestellten 1913er Tin Lizzy allgemein überrascht. (Foto: Martin Krusche)

Derlei Motive aus der Science Fiction, die für allerhand Angst-Phantasien gut sind, lenken eher davon ab, uns mit den konkreten Vorgängen der Gegenwart und der nahen Zukunft zu befassen. Wir machen ja schon heute die Erfahrung, daß sich die Maschinen, die von uns geschaffenen Werkzeuge, eher von uns abwenden, als sich den Menschen zuzuwenden.

Übergänge#

Sollten Maschinen in einem wachsenden Eigenleben noch zulegen können, bleibt vielleicht eher zu erwarten, daß sie sich überhaupt nicht mit uns Menschen befassen möchten. Aber zurück zu diesen Tagen in den Hügeln und zu dem Automobil, das in kurzer Zeit hundert Jahre alt sein wird.

Die Befassung mit so alten Maschinen verlangt, damit sie funktionstüchtig bleiben, viel Wißbegier und Hingabe, verlangt technisches Verständnis und handwerkliches Geschick. Da wird dann die Beschäftigung mit alten Fahrzeugen eventuell zur Kulturarbeit, denn auf diesem Feld können wir überprüfen, woran die Koexistenz von Menschen und Maschinen festgemacht ist. Wir können uns selbst überprüfen, wie wir uns dadurch verändern, daß wir Werkzeuge erdenken und anwenden.

Hier ist es noch ein stark vom Menschen geprägtes Verhältnis, weil so ein Fahrzeug eine Maschine ist, die ihre Funktionen in ihrem Aussehen offenbart. Eine konkrete Maschine. Dem gegenüber haben wir durch die Digitale Revolution in den 1970er Jahren abstrakte Maschinen auf breiterer gesellschaftlicher Basis kennengelernt. Maschinen, deren Funktionen durch die Art der steuernden Programme festgelegt werden, durch ihre Programmierung.

Der Steyr IV mit Heinz und Lisl Mesicek ist im Hügelland physisch sehr fordernd. (Foto: Martin Krusche)
Der Steyr IV mit Heinz und Lisl Mesicek ist im Hügelland physisch sehr fordernd. (Foto: Martin Krusche)

„Form follows function“ ist eine alte Option, fie aus der Bildhauerei stammt. Sie bekam eine irritierende Nachbarschaft, wo uns derzeit Maschinensysteme in vielen vertrauten Tätigkeitsbereichen naherücken und Arbeiten abnehmen, die bisher nur von Menschen getan werden konnten. Dadurch drängen sich uns interessante Fragen auf.

Das legt auch nahe, neu zu klären, was wir unter Conditio humana verstehen möchten, was wir für Menschenart halten… im Kontrast zu Maschinen. Der Steyr XII, den ich nun näher kennenlernen durfte, war das erste österreichische Großserien-Automobile. Es ist in einer Fließbandartigen Anordnung gebaut worden und kam auf die damals bei uns enorme Stückzahl von über 11.000 Einheiten.

Damit ist der Zwölfer eine Wegmarke, die in Österreich jene Stelle markiert, wo sich die Zweite Industrielle Revolution etabliert hatte. Da wurde noch aus dem Vollen gefräst. Im Betrachten dieser historischen Technologie vertieft sich jener Kontrast, durch den wir besser erkennen können, was die Vierte Industrielle Revolution ist. Das ergibt wesentlich Beiträge zum nötigen Erkenntnisgewinn, durch den wir klären können, wie sich Mensch und Maschine in naher Zukunft zueinander verhalten mögen. Ein brisanter und drängender Klärungsbedarf.

Hintergrund#

Das Projekt Dorf 4.0 ist der Rahmen einer längerfristigen Kooperation zur prozeßhaften Wissens- und Kulturarbeit abseits des Landeszentrums. Dieser Text als Teil des Konvoluts Tage in den Hügeln ist auch ein Beitrag zu Mythos Puch VI“.


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