Der Fünfzehner und Konsorten#
Kompakte Traktoren für Österreich#
von Martin Krusche
Zu Michaeli, am 29. September 1947, erhielt erstmals ein Kunde seinen Steyr-Traktor. Fahrgestellnummer 1001. Diese Art Kurzhauber mit dem Zweizylinder-Motor sollte es bis Ende 1959 auf über 25.000 Einheiten bringen und kann heute noch gelegentlich auf unseren Straßen gesehen werden. Damit brachte die Steyr-Daimler-Puch AG vor 70 Jahren die Motorisierung der österreichischen Landwirtschaft in Fahrt. Traktoren waren davor für die meisten heimischen Betriebe unerschwinglich gewesen. Selbst preiswerter Kompakttraktoren blieben noch die Ausnahme. Zwar hatte Ford schon 1917 eine Traktorenfabrik im irischen Cork gebaut und der smart konstruierte Fordson Typ F soll für die Steyr-Produkte anregend gewesen sein, aber so eine Anschaffung mußte ja in der Bauernschaft mit dem Ertrag erwirtschaftet werden.
In den Nachkriegsjahren begann bei uns vielerorts erst die Elektrifizierung der Häuser und deren Ausstattung mit Fließwasser. Unzählige Landwirte waren bei der Arbeit eben noch auf Ochsen angewiesen, manche sogar auf Kühe, weil ihnen Pferde unerschwinglich blieben.
Das änderte sich vor allem mit dem Folgemodell des Steyr 180. Der schlanke Einzylinder mit der Bezeichnung Typ 80 hatte anfangs 13, danach 15 PS. So kennt man ihn heute mit dem Spitznamen „Fünfzehner Steyr“. Der hat es auf rund 45.000 Einheiten gebracht. Ein Bauer sagte mir, den könne man „mit ein bißl Hausverstand“ selbst warten und reparieren. Es ist vermutlich der renommierteste aller Steyr-Traktoren.
Durch die sozialen Veränderungen war Personal in der Nachkriegszeit recht teuer geworden. Außerdem fehlten viele Männer, die von den Schlachtfeldern nicht zurückgekommen sind. Rohstoffe und Devisen blieben noch eine Weile knapp, auch wenn ab April 1948 der amerikanische Marshallplan die westeuropäische Wirtschaft stärkte.
Es kam also darauf an, daß die neuen Maschinen der einzelnen Person mehr Arbeitsleistung möglich machten und die Investition zur Anschaffung bewältigbar war. Die beiden Auftakt-Modelle, der 180er und der 80er, repräsentieren die Erste Mechanisierungsstufe der Landwirtschaft, in welcher Traktoren als Ersatz für Zugtiere genutzt wurden und noch wenige Zusatzfunktionen zuließen.
Immerhin konnte man mit dem 180er und einem dreischarigen Pflug in rund zehn Stunden drei Hektar pflügen. Das sind 30.000 Quadratmeter. Die Modellpalette jener Traktoren wurde in den folgenden Jahren um Drei- und Vierzylindermodelle erweitert, damit sie größere Pflüge und anderes Gerät ziehen konnten.
Etwa ab dem Jahr 1963 spricht man von der Zweiten Mechanisierungsstufe, da mit den Steyr Typen 188, 190 und 288 Traktoren als universelle Arbeitsmaschinen konzipiert wurden. Die Einführung von Dreipunktaufhängung, Hydraulik und Zapfwelle erlaubten die Kombination der Traktoren mit unzähligen Zusatzgeräten. Aber ich greife vor. Hier ist noch von den ersten Jahren und der 13er Motorenbaureihe die Rede, die sich auf ein Baukastensystem stützt. Im Jahr 1952 erschien der Vierzylinder (Typ 280) mit 60 PS, 1955 folgte das Dreizylinder-Modell (Typ 185) mit 45 PS.
Da wurden die Fahrzeuge merklich massiver. Aber immer noch ist der vergleichsweise zarte Fünfzehner (Typ 80) quasi das populärste Leitfossil der heimischen Klassiker-Szene, der stupsnäsige Typ 180 das vermutlich unverwechselbarste Modell.
Der technische Fortschritt galoppierte, um den wachsenden Anforderungen entgegenzukommen. Die 13er Serie wurde 1960 von der sogenannten Jubiläumsserie abgelöst. Die rundliche Haube drückte offenbar den Geschmack der Zeit treffender aus, was man zum Beispiel auch am „Volkstraktor“ von Ferdinand Porsche sehen kann.
Das Jubiläum für diese Serie ist mit dem Steyr 190 von 1964 belegt. Im Jahr 1864 hatte Josef Werndl in Steyr die Josef und Franz Werndl & Comp., Waffenfabrik und Sägemühle gegründet. Daher leitete die Steyr-Daimler-Puch AG (als nachfolgender Mischkonzern) ein 100 Jahr-Jubiläum ab. Im Jahr 1967 folgte die markante Plus-Serie, deren rot-weiße Traktoren im kantigen Design von Louis Lucien Lepoix heute noch ebenso im Alltagseinsatz zu finden sind, wie zahlreiche rundliche Modelle aus der Jubiläumsserie.
Rechnen Sie ein, daß während der gesamten Nachkriegszeit Steyr LKW in erheblichen Flottenstärken weite Bereiche der österreichischen Wirtschaft trugen. Ab 1948 bestand ein Kooperationsvertrag mit Fiat, wonach in Steyr Lizenzversionen der italienischen PKW gebaut wurden.
Das änderte sich 1957, als im Grazer Puchwerk der Steyr-Puch 500 vom Band lief. Zu der Zeit hatte sich in Österreich ein neuer Kraftfahrzeugtyp durchgesetzt, den man ohne Führerschein nutzen durfte. Das Moped sorgte für ein großes Kapitel der Volksmotorisierung. Parallel fanden Puch Fahrräder breiten Absatz. Deren Tradition reichte in das 19. Jahrhundert zurück. Und Puch Motorräder waren einige Zeit marktbeherrschend.
Das bedeutet, für die Fahrzeuge der Steyr-Daimler-Puch AG bestand ein dichtes Netz von Händlern und Werkstätten. In der Landwirtschaft repräsentieren die Traktoren jener ersten Jahre, die 13er Serie, die Jubiläumsserie und die Plusserie, den völligen Umbruch der alten Verhältnisse. Zugleich sind sie von ihrem Design her Wegmarken einer kulturellen Entwicklung.
Außerdem ergeben sie eine irritierenden Mischung einerseits der Artefakte aus einer versunkenen technischen Welt, gegen die heutige Traktoren wie Raumschiffe wirken, die aber andrerseits immer noch für die praktische Arbeit zu gebrauchen sind.
Ich habe eingangs den Michaelistag erwähnt, 29. September (1947), die im Jahreslauf und Brauchtum seinen exponierten Platz hat. Es ist ein sogenannter Lostag, zu dem die Bauernregel besagt: Regnets sanft am Michaelistag, folgt ein sanfter Winter nach. Ich vermute, die erste Auslieferung einer Stupsnase erfolgt nicht zufällig an jenem Tag. Lostage haben im verblassenden Brauchtum der agrarischen Welt etwas ihre Bedeutung verloren, denn längst sind die Zeiten vorbei, da der Großteil unserer Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig war. Aber Jubiläen stehen nach wie vor hoch im Kurs.
Da wir gerade 2017 schreiben, hagelt es Jubiläen. 1817: 200 Jahre Fahrrad (Draisine), 1917: 100 Jahre Fordson Traktorwerk für den Model F sowie 100 Jahre Gabelstapler. 1942: 75 Jahre Puchwerk Graz-Thondorf, 1947: 70 Jahre der ersten Auslieferung des Steyr 180, 1957: 60 Jahre Steyr-Puch 500 und 1987: 30 Jahre Ende der Fahrrad- und Mopedproduktion im Grazer Puchwerk.