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Judenburger Momente#

(Notizen zum Puchmuseum)#

von Martin Krusche

Wir haben ein wenig aus den Augen verloren, was Schausammlungen in der Steiermark einst bedeutet haben. Erst war es Erzherzog Johann von Österreich, der vor rund 200 Jahren seine Neugier und sein erhebliches Privatvermögen einsetzte, um technische Neuerungen zu finden, in die Steiermark zu bringen. Das wurden wichtige Beiträge, um der vormals völlig rückständigen Region neue Perspektiven zu eröffnen.

Über der Mur. (Foto: Martin Krusche)
Über der Mur. (Foto: Martin Krusche)

Später, vor etwa 130 Jahren, als die Industrielle Revolution schon voll in Gang war, veröffentlichte der Verlag Leykam die „Culturbilder aus Steiermark“ (Das Buch als PDF-Set). Eine zukunftsorientierte Denkschrift zu verschiedenen Branchen. Das reicht von der "Bewirthschaftung der Waldungen im Allgemeinen" über "Steinbrüche in Steiermark" und "ueber die Dampfmaschinen Steiermarks" bis zur "Bierproduction in Steiermark" oder zu "Steiermarks Eisenindustrie". Aber auch „Zündwaarenfabrikation“, „Textilindustrie“ oder „die Förderung des Fremdenverkehrs“ sind in diesem Buch bedacht.

Die Intention teilt sich von selbst mit: technische Veränderungen wirken auf unsere Wirtschaft ein, je nachdem, wie wir sie zu nutzen verstehen oder ob wir sie ignorieren. Die Zukunftsfähigkeit eines Lebensraumes hängt sehr wesentlich von den Zugängen inspirierter Menschen ab. Das erwähnte Buch von 1890 nennt „Vorbilder- und Mustersammlungen“ als einen Beitrag zur Kompetenzsteigerung der Menschen. Die Dinge müssen eben greifbar sein, um begriffen werden zu können.

Kurbelpresse im Ausgedinge. (Foto: Martin Krusche)
Kurbelpresse im Ausgedinge. (Foto: Martin Krusche)

Für unsere Zukunft haben wir inzwischen noch ein paar andere Optionen gewonnen, verlieren aber stellenweise das Greifbare, wie es hinter Bildschirmen und Benutzeroberflächen verschwindet.

So oder so bleibt dabei eine wenigstens flüchtige Kenntnis etlicher Bereiche unserer Vergangenheit unverzichtbar. Auch da ist die konkrete Anschauung der Artefakte aus früheren Zeiten beim Begreifen hilfreich. Der Blick auf das Vorangegangene, die Schausammlungen als sinnliche Erfahrungsmöglichkeit, das Vergnügen im Betrachten, das Beziehen von Denkanstößen…

Das Puchmuseum in Judenburg ist ein Beispiel für solche Möglichkleiten. Ein Rundgang durch die übersichtlich geordnete Sammlung erschließt eine komplette Ära heimischer Mobilitätsgeschichte und verdeutlicht, was kürzlich keinesfalls selbstverständlich war. Damit meine ich individuelle Mobilität ohne wesentliche Einschränkungen. Eine gehabte Volksmotorisierung, die den Menschen Kraftfahrzeuge erschwinglich werden ließ. So etwa vom Fahrrad, einst ein teurer Wertgegenstand, per Hilfsmotoren schließlich zum Moped als eigenständiger Konstruktion und damit weg von der zwingenden Strampelei. Motorräder und Roller. Leistbare Kleinstwagen und Nutzfahrzeuge aller Art. Damit änderte sich unsere Welt.

Das sind die Produkte der historischen Steyr-Daimler-Puch AG. Davon kann man in Judenburg vor allem auch etliche sehr rare Exemplare sehen. Sogar extravagante Vehikel wie den Puch IMP 700 GT, ein Sportcoupé, von dem so gut wie nichts auf dem Markt ist, denn es sind bestenfalls um die zehn Originale erhalten geblieben. Oder der Haflinger Triebkopf, der es damals auf dem Markt nicht geschafft hat und den Bach runterging. Auch der Mähwender Puch Reform 2000 wurde kein Verkaufsschlager und gehört genau deshalb ins Raritätenkabinett. Oder fragen Sie in Judenburg nach der Haflinger Schildkröte, von der selbst die meisten Puch-Fans keine Ahnung haben.

Diverse Puch-Schammerl und der 126er. (Foto: Martin Krusche)
Diverse Puch-Schammerl und der 126er. (Foto: Martin Krusche)
Ungewöhnlich: 125er Roller mit Beiwagen. (Foto: Martin Krusche)
Ungewöhnlich: 125er Roller mit Beiwagen. (Foto: Martin Krusche)
Sattes Zweiradsortiment bis zum Produktionsende. (Foto: Martin Krusche)
Sattes Zweiradsortiment bis zum Produktionsende. (Foto: Martin Krusche)

Solche Sammlungen, öffentlich zugänglich, wären ohne die Kooperation sehr verschiedener Instanzen gar nicht möglich. Da bedarf es vor allem jener hochkarätigen Sammler- und Schrauber-Szene, die solche Fahrzeuge restauriert, wartet, bewegt. Darin liegt ein wichtiges Detail. Werden Fahrzeuge zu Stehzeugen, gehen sie durch rasch auftauchende Standschäden praktisch von selbst kaputt. Man muß also in jeder Hinsicht beweglich bleiben.

Ohne einen Millionär als freundlichen Spender läßt sich so ein Museum privat nicht erreichten und erhalten. Judenburg hat keinen solchen Millionär. Da muß dann zum Beispiel auch eine Gemeinde dahinterstehen und Mittel einbringen. Da müssen Ehrenamt und Hauptamt zusammenfinden, also bezahlte und unbezahlte Arbeit kombiniert werden. Genau daran scheitern manche Projekte, dieses aber ist gelungen.

So was braucht übrigens auch allerhand soziale Kompetenz. Erstens kooperieren in derlei Vorhaben höchst unterschiedliche Instanzen mit verschiedenen Prioritäten, die in verschiedenen Codes ausgedrückt werden. Da kann es leicht zu Kommunikationsproblemen kommen. Zweitens stützt sich so ein Museum auf die Bestände von Sammlern. Der Sammler ist von Natur aus ein Mensch mit Begehrlichkeiten, dank derer andere Sammler zwar zu Kollegen werden, aber leicht auch als Konkurrenten, ja sogar Feinde erscheinen können. Das will in Summe moderiert werden. Es geht also stets um eine feine wie empfindliche Balance.

Der Mähwender Reform vor einem Kommunalhaflinger. (Foto: Martin Krusche)
Der Mähwender Reform vor einem Kommunalhaflinger. (Foto: Martin Krusche)
Das Fahrgestell der Schildkröte vor dem Mähwender. (Foto: Martin Krusche)
Das Fahrgestell der Schildkröte vor dem Mähwender. (Foto: Martin Krusche)

So wird ein Museum wie dieses zur sozialen Herausforderung und zugleich zum soziokulturellen Schatz in einem Gemeinwesen. Außerdem wird es zu einem Angelpunkt für Wissen, das zu verschwinden droht, denn viels, was die Museums-Community einbringt, ist nicht dokumentiert. Wir leben nun in der Vierten Industriellen Revolution, was bedeutet, innerhalb einer Lebensspanne haben sich zwei (!) industrielle Revolutionen ereignet, schon in den 1970ern nämlich die Digitale Revolution.

Das bedeutet einerseits, bei solchem Entwicklungstempo bekommt die Gesellschaft keine Adaptionsphasen mehr, um sich mit Innovationen vertraut zu machen. Das bedeutet anderseits: Handfertigkeit, handwerkliches Können, auch die alte Ehre des Handwerks sind nicht mehr marktfähig, werden von der Wirtschaft kaum noch gebraucht, daher auch nicht bezahlt. Damit droht uns der Verlust einer ganzen Reihe von Kompetenzen, die zwar an einer modernen Fertigungsstraße vielleicht hinfällig sind, doch für das Gemeinwesen, für das Zusammenleben der Menschen, wichtig bleiben.

Bevor die Gesellschaft herausgefunden hat, wie sie mit dieser interessanten Modernisierungskrise umgehen möchte, bevor die Politik endlich ausreichend überzeugende Konzepte vorweist, diese Transformationsprozesse kraftvoll zu begleiten, sind zum Beispiel solche Museen wichtige Nischen, in denen Wissen und Handfertigkeit gefordert bleiben, gepflegt und erhalten werden.

Feuerwehr-Hafi vor Sanitäts-Haflinger, hinter dem ein Triebkopf steht. (Foto: Martin Krusche)
Feuerwehr-Hafi vor Sanitäts-Haflinger, hinter dem ein Triebkopf steht. (Foto: Martin Krusche)

Darin manifestiert sich übrigens auch eine authentische Volkskultur in der technischen Welt, die genau nicht musealisiert oder bildungsbürgerlich geschönt wurde, von Schmut an den Händen und Schweißgeruch völlig befreit, wie viele Volkskulturphänomene aus der alten agrarischen Welt. Das bedeutet, hier leben Menschen ihre kulturellen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf akademische Debatten und kulturpolitische Diskurse, sondern aus der eigenen Ambition und Leidenschaft heraus. (Okay, die Ennstal Classic wäre dafür freilich kein Beispiel dafür.)

Es ließe sich sogar deutlich machen, daß so ein Museum eine sehr praktische Anordnung bietet, um genau das zu üben, was Gemeinschaften heute wieder verstärkt brauchen. Es geht darum, zwischen dem berechtigten Bedürfnis, seinen Eigennutz zu verfolgen, aber auch der notwendigen Verpflichtung, das Gemeinwohl zu bedienen, ein Fließgleichgewicht herzustellen. Wie koordiniert man derart unterschiedliche Interessen und Prioritäten? Wie ebnet man dabei Barrieren der Kommunikation ein? Wie moderiert man die Arbeitsgeräusche der Eitelkeit? Wie verfolgt man die ideellen Ziele, ohne betriebswirtschaftliche Anforderungen zu ignorieren?

Der gut gelaunte Kurator Fritz Glöckner (links) mit seiner Frau und mit Bürgermsietr Hannes Dolleschall. (Foto: Martin Krusche)
Der gut gelaunte Kurator Fritz Glöckner (links) mit seiner Frau und mit Bürgermsietr Hannes Dolleschall. (Foto: Martin Krusche)

Daraus ergeben sich interessante Fragen und Aufgabenstellungen. Sieht man sich im Judenburger Puchmuseum um, scheint das zu gelingen. Darin zeichnet sich auch gerade ein schöner Schwerpunkt für das kommende Jahr ab. 2019 sind es dann 60 Jahre, daß der Steyr-Puch Haflinger aus den Hallen in Graz-Thondorf gerollt ist. Eine Konstruktion von Erich Ledwinka und seinem Team, mit der ein Meilenstein in die Automobilgeschichte gesetzt wurde. Dieses Fahrzeug ist bis heute in seiner Klasse unübertroffen und steht in völligem Kontrast zu allem, was damals im Allradbereich gebaut wurde.

In diesem gesamten Zusammenhang war es vergnüglich zu erleben, wie Anfang Dezember 2018 Fritz Glöckner, der Kurator des Museums, dort Glückwünsche zu seinem 85. Geburtstag entgegennahm. Das bedeutet unter anderem, er hat ganz konkret miterlebt, wie sich während dieser Zeit unsere Welt gleich mehrmals grundlegend veränderte. Und zwar in einer Dynamik, die immer noch zunimmt, auch wenn uns dabei längst permanent Beschleunigungsopfer um die Ohren fliegen. Gute Gründe, darüber nachzudenken, wie wir damit verfahren möchten, welche Mittel wir dafür zur Hand haben sollten und woher die kommen könnten; ein Nachdenken über ideologische Grenzen hinweg.


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