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„Die größten Barrieren sind in den Köpfen“ #

Franz-Joseph Huainigg, ehemals ÖVP-Behindertensprecher und nun Beauftragter für Barrierefreiheit im ORF, über mediale Hürden – und wie man sie beseitigen könnte. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (20. Februar 2020)

Das Gespräch führte

Doris Helmberger


Aktivist am Küniglberg. Früher kämpfte Franz-Joseph Huainigg im Parlament für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Seit einem Jahr tut er das in der größten „Medienorgel“ des Landes, dem ORF.
Aktivist am Küniglberg. Früher kämpfte Franz-Joseph Huainigg im Parlament für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Seit einem Jahr tut er das in der größten „Medienorgel“ des Landes, dem ORF.
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Seit einem Jahr ist der Autor, Aktivist und ehemalige ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg Beauftragter für Barrierefreiheit in der ORF-Abteilung „Humanitarian Broadcasting“. Worum es (ihm) dabei geht? Ein Zwischenbilanz- Gespräch.

DIE FURCHE: Herr Huainigg, was bedeutet eigentlich mediale Barrierefreiheit?

Franz-Joseph Huainigg: Es geht um den Zugang für alle Menschen zu Informationen und Unterhaltung. Diese Barrierefreiheit ist Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF, und ich setze Impulse zur Weiterentwicklung dieser Barrierefreiheit, vor allem bei der Darstellung und Bewusstseinsbildung zum Thema Menschen mit Behinderungen. Die größten Barrieren bestehen ja noch immer in unseren Köpfen, aber durch neue Bilder kann man ein anderes Bewusstsein schaffen.

DIE FURCHE: Können Sie Beispiele nennen?

Huainigg: Im vergangenen Jahr haben wir den Schwerpunkt beim Thema Beschäftigung gesetzt – etwa durch die Doku-Serie „Ziemlich bestes Team“ in der Sendung Konkret, wo in Kooperation mit dem Sozialministerium elf Menschen mit Behinderungen einige Monate lang auf ihrem Weg der Arbeitssuche begleitet worden sind. Das hat sie motiviert und zugleich bei den Unternehmern das Bewusstsein für deren Fähigkeiten geschaffen. Ein weiterer Impuls war die Ö3-Aktion „Ich will und ich kann arbeiten. Und ich verdiene eine Chance“, deren Ziel es war, Lehrstellen für Jugendliche mit einer Behinderung zu finden. Ö3 wurde dafür im November sogar mit dem Inklusionspreis der Lebenshilfe ausgezeichnet. Und für heuer ist rund um den 1. Mai eine Fortsetzung angedacht.

DIE FURCHE: Bleiben wir noch bei den Zugangs- Barrieren für Menschen mit Behinderungen. Worin bestehen sie genau – und wie versucht der ORF, sie abzubauen?

Huainigg: Blinde Menschen benötigen etwa Erklärungshilfen, die wir über Audiodeskription im Zweikanalton ausstrahlen, im Schnitt vier Stunden pro Tag. Für schwerhörige und gehörlose Menschen werden TV-Sendungen untertitelt, derzeit etwa 70 Prozent des ORF-Programms. Täglich wird die ZIB1 zudem in Gebärdensprache ausgestrahlt, ebenso die Sendung Konkret und der Bürgeranwalt. Ende Jänner gab es auch einen Round-Table mit Behindertenvertretern, um die Barrierefreiheit in einem Etappenplan weiterzuentwickeln.

DIE FURCHE: Im Dezember gab es auf ORF III eine Aktionswoche zu „Nachrichten in einfacher Sprache“. Was ist die Philosophie hinter diesem neuen Angebot?

Huainigg: Es gibt in unserer Gesellschaft einfach auch Menschen, die einem so schnellen Nachrichtenfluss, wie er heutzutage herrscht, nicht folgen können. Das sind nicht nur Menschen mit Lernbehinderung, sondern auch Kinder, ältere Menschen oder solche, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind. Radio Wien hat Anfang Jänner auch mit dem Wochenrückblick „Einfach! Wichtig!“ in einfacher Sprache begonnen: Jeden Sonntag um 8 Uhr 30 und um 9 Uhr 30 in der Kindersendung „Wow“ im Kinderformat – und um 13 Uhr 30 sowie 14 Uhr 30 im Erwachsenenformat. In der Radiothek kann man das auch eine Woche lang nachhören und -lesen.

DIE FURCHE: Seit Anfang Jänner gibt es im ORF auch eine inklusive Lehrredakion. Wie kann man sich das vorstellen?

Huainigg: Die inklusive Lehrredaktion des Kurier, die vom Fond Soziales Wien gefördert wird, arbeitet jetzt für die ORF Onlineredaktion an Nachrichten in einfacher Sprache. Dabei schreibt das Team aus sechs Menschen mit Lernbehinderungen und zwei Betreuerinnen in Zusammenarbeit mit ORF-Journalistinnen leicht verständliche Nachrichten. Wir sind auch dabei, auf news. orf.at eine eigene Rubrik für Nachrichten in einfacher Sprache einzurichten. Der Arbeitstitel heißt „ORF Einfach“ und soll im März starten. Ebenfalls ab März soll es den Nachrichtenüberblick „TopEasy“ in den Sprachstufen A1 und B2, den die APA fünf Mal pro Woche gestaltet und den es schon auf ORF Teletext gibt, auch auf ORF online geben. Derzeit gibt es Gespräche mit der APA, ob man das auf sieben Tage erweitern kann.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die Vorhaben der türkis-grünen Regierung in puncto mediale Barrierefreiheit? Und was wünschen Sie sich generell von Österreichs Medien?

Huainigg: Positiv ist, dass man im Regierungsprogramm Barrierefreiheit auch „als elementarer Bestandteil des Zugangs zu Information“ versteht. Und dass man vorhat, das ORF-Archiv „öffentlich sowie digital“ erweitert zugänglich zu machen. Das ist wichtig, weil dadurch Sendungen mit Audiodeskription für blinde Menschen länger als sieben Tage verfügbar sind. Was die Printmedien betrifft, so sind derzeit nicht alle Webseiten durchgängig barrierefrei gestaltet. Immer wieder gibt es auch generell in den Medien eine klischeehafte Darstellung von Menschen mit Behinderungen zwischen „armes Hascherl“ und „Superheld“. Und man liest noch immer von Menschen, die „an den Rollstuhl gefesselt sind“. Ich sage dann immer: „Schnell losbinden – oder die Polizei rufen!“

DIE FURCHE (20. Februar 2020)