Todesvögel aus heiterem Himmel#
Bewaffnete Drohnen verändern die Art der Kriegsführung so fundamental wie einst die Einführung von Schusswaffen – die rechtlichen und moralischen Fragen sind ungeklärt. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (8. August 2019)
Von
Wolfgang Machreich
Es schaut aus wie ein Spiel, ist aber tödlicher Ernst: Sieht man Bilder von Drohnen-Steuerungszentralen im amerikanischen Nevada, britischen Lincolnshire oder deutschen Ramstein, könnte man auf den ersten Blick meinen, es handle sich um ein Playstation-Spiel: Das Bedienpersonal hält Joysticks in den Händen, hat Headsets am Kopf und die Bildschirme zeigen Grafikkarten. Doch hier werden auf Knopfdruck Menschen getötet – aus der Ferne, meist liegen Tausende Kilometer zwischen diesen Steuerungszentralen und dem Tatort.
„Unsere Augen, die niemals blinzeln“, nennt Brett Velicovich, US-Soldat der Spezialeinheit „Delta Force“, die von ihm im Krieg gegen den „Islamischen Staat“ dirigierten Waffen. „Unsere Drohnen sahen alles und schliefen nie“, schreibt er in seinem Buch „Drohnenkrieger – ein Elitesoldat enthüllt die Geheimnisse der neuen Art der Kriegsführung“ (riva Verlag, München 2019). Von einem gut gekühlten Container aus steuerte Velicovich unbemannte Flugkörper, um Kommandanten, Kämpfer und militärische Infrastruktur des IS „auszuschalten“. Strom, eine Datenverbindung, eine Klimaanlage und eine Kiste „Rip-It-Energydrinks“ – mehr brauchte er nicht, um die nach dem Sensenmann als „Reaper“ oder als „Predator“ für Feind bezeichneten Drohnen einzusetzen. Ein mit dem Drohnenkrieg einhergehender großer Vorteil für die Militärs ist, dass die Mehrheit der Drohnen- Piloten an ihrem Heimatstützpunkt bleiben kann: „Wer heute über Afghanistan geflogen ist, kann morgen schon über Afrika fliegen“, heißt es seitens der US-Streitkräfte. Damit gehe eine „Feuerkraft-Effizienz“ einher, „wie sie besser nicht sein kann“.
Sinkende Gewaltschwelle #
Der militärische Vorteil, keine eigenen Soldaten in die Gefahrenzonen schicken zu müssen, steht auch am Anfang des Berichts „Humanitäre Folgen von Drohnen“, der eine völkerrechtliche, psychologische und ethische Betrachtung dieser Zäsur der heutigen Kriegsführung bietet. Im Februar dieses Jahres erschienen, herausgegeben von der Women’s International League for Peace and Freedom – Article 36 –, The International Disarmament Institute of Pace University und IPPNW Deutschland, thematisiert dieser Report auf über 100 Seiten die Fragen: Wie ist diese Kriegsführung rechtlich zu bewerten? Sind die zivilen Opferzahlen und „Kollateralschäden“ wirklich niedriger? Und da die Entwicklungen in Richtung autonomer, nicht mehr von Menschenhand gesteuerter Drohnen geht, stellt sich die Frage: Wer wird zur Verantwortung gezogen, wenn sie töten? Um deutlich zu machen, wohin die Entwicklung gehen könnte, haben erst kürzlich an künstlicher Intelligenz forschende Wissenschaftler aus aller Welt ihre Forderung nach dem Verbot autonomer Waffen mit einem drastischen Video illustriert. Darin dringen „Slaughterbots“ – Drohnen, kleiner als eine Handfläche – in eine Universität ein und töten gezielt politisch aktive Studenten. Heute ist das noch Fiktion, aber wie lange noch, warnen diese mit der Materie bestens vertrauten Wissenschaftler.
Der Bericht macht jedenfalls sehr deutlich, dass wir am Anfang des Drohnenkriegszeitalters stehen und damit ein völliger Wandel in der Kriegführung einher geht – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, (fast) ohne politische Debatte und ohne Transparenz. Die Verfasserinnen und Verfasser kommen zum Fazit: „Hauptsächlich beeinträchtigen Drohnen Frieden und Sicherheit, indem sie die Schwelle für den Einsatz von Gewalt senken, und zwar sowohl beim Griff zu den Waffen (ad bellum) als auch während eines bereits vorhandenen Konflikts (in bello). Damit verbunden ist eine Präsentation der Drohnenkriegsführung als ‚präzise‘ und ‚risikolos‘, die dazu beiträgt, Krieg als normales, legitimes Mittel der Lösung von politischen oder Sicherheitskonflikten zu rehabilitieren.“ Statt der mühsamen Arbeit an politischen Konfliktlösungen bringe die Verfügbarkeit bewaffneter Drohnen die Verantwortlichen dazu, die „bösen Jungs“ durch kurzfristige „Lösungen“ „unschädlich zu machen“. Zitiert wird der ehemalige Kommandant der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, General Stanley McChrystal: Die Drohnen seien aufgrund ihrer Eigenschaften für die Kommandeure bequem einzusetzen und senkten die Schwelle für den Einsatz tödlicher Gewalt.
Drohnenkrieger Brett Velicovich beschreibt sich und seine Kollegen als „Hightech- Detektive“. Mit 25 Jahren entschied er über Leben und Tod: „Ich gehörte damals zu einer Handvoll Personen im US-Militär, die die Verantwortung hatten, Zielpersonen für unsere Drohnenangriffe zu bestimmen und ihren Tod anzuordnen. Ich erstellte eine Todesliste – Leute vom irakischen al-Qaida-Netzwerk oder von ISIS, die wir unter allen Umständen fassen oder ausschalten sollten – und blieb ihnen Tag und Nacht auf den Fersen. Die Ausschaltung eines Mitglieds führte uns zum nächsten, wie eine große Schnitzeljagd …“
Dass derartige Angriffe dem Genfer Abkommen widersprechen, die Zielpersonen ohne Vorwarnung keine Möglichkeit haben, sich zu ergeben, thematisiert der „Drohnenkrieger“ nicht. Velicovich ist Ankläger und Richter zugleich, der seine Ziele als „Terroristen“ verurteilte und der „kill chain“ folgend sofort das Todesurteil vollstreckte. Gerade das Beispiel der Guantánamo- Häftlinge beweist jedoch, dass ein Großteil dieser angeblichen Terroristen unschuldig inhaftiert wurde. Im Handbuch für den Drohneneinsatz fehlt aber das Kapitel über das Recht auf einen fairen Prozess. Ein Artikel im Wall Street Journal beschreibt, dass Drohnen nicht nur für gezielte Tötungen eingesetzt werden, sondern auch, um „gezielt wehzutun“: Diese gezielten emotionalen Verletzungen nehmen ins Visier, was dem Feind lieb und teuer ist: Angehörige, Freunde, Verbündete, wichtige Ortschaften oder Infrastruktur.
Leben unter dem Drohnen-Himmel #
Im Bericht „Humanitäre Folgen von Drohnen“ kommt ein Zivilist in Pakistan zu Wort, der Drohneneinsätze einen „Schlag ins Dunkle“ nennt. Das Bild steht für das Gefühl von Verrat und Hinterlist, das Zivilisten in den Operationsgebieten von Kampfdrohnen täglich erleben. Das Leben unter einem Drohnen- Himmel wird zu einer ständigen Quelle von Traumata. Der Himmel bringt ohne Vorwarnung oder Begründung Gewalt über die Menschen, die schon von Armut und Konflikten betroffen sind. Diese psychischen Belastungen für die „Drohnengeneration“ – die den Himmel als todbringend wahrnimmt – werden weder in politischen noch akademischen Debatten berücksichtigt, kritisiert der Bericht. Wenn aber bereits Kinder Angst davor haben müssen, in die Schule zu gehen oder draußen zu spielen, ist das Wachstum einer psychisch gesunden Gesellschaft, die bestehende Konflikte lösen kann, verunmöglicht. Damit verstärken Drohneneinsätze langfristig die politische, soziale und wirtschaftliche Instabilität in den Krisenregionen und säen den Wut-, Hass- und Rache- Samen für künftige Konflikte, die sie vorgeben, beenden zu wollen.
Dass die ferngesteuerten Tötungsmaschinen die Regeln des Kriegs massiv ändern, steht auch für den Wiener Philosophen Herbert Hrachovec außer Zweifel: „Faktum ist, dass aus rechtlosen Enklaven mit Hilfe von moderner Technik mörderische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung bestehender Staaten organisiert wird“, schreibt er in einem Gastkommentar für den ORF. Ein Hauptargument gegen diese Waffe kommt für Hrachovec aus pragmatischen Überlegungen: „Die USA hat eine Pandorabüchse geöffnet. Noch besitzt sie, zusammen mit einer Handvoll technologisch avancierter Staaten, ein Monopol auf derart global einsetzbare Geräte. Das bleibt nicht so und wird die Ordnungshüter im Weltkonflikt, den sie mit verursacht haben, selbst treffen.“