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Im Spiel der Veränderungsschübe#

Der Konstrukteur Egon Rudolf#

von Martin Krusche

Ich bin ihm beim Fest zu seinem 90. Geburtstag erstmals persönlich begegnet. Das traf sich gut, denn die Halle, wo diese Feierlichkeit stattfand, ist nicht nur die letzte authentische Betriebsstätte aus den Tagen von Altmeister Johann Puch. Sie wurde gebaut, als die Zweite Industrielle Revolution in Gang kam und völlig neue Maschinen zur Herstellung großer Stückzahlen Platz brauchten. In diese Ära wurde der Konstrukteur Egon Rudolf 1928 geboren, ist also ein Kind jenes Umbruchs, als Serienproduktion und Automatisierung das Antlitz der Welt veränderten.

2018: Der Konstrukteur und vormalige Werksdirektor Egon Rudolf beim Fest zu seinem 90. Geburtstag im Stammwerk von Johann Puch. (Foto: Martin Krusche)
2018: Der Konstrukteur und vormalige Werksdirektor Egon Rudolf beim Fest zu seinem 90. Geburtstag im Stammwerk von Johann Puch. (Foto: Martin Krusche)

Rudolf ist das, was die Amerikaner einen Car Guy nennen. Als Kind boten ihm die Schulbücher und Hefte vor allem eine grenzelose Zahl an Blättern, um darauf Autos zu zeichnen. Das war eine Zeit, da der Privatbesitz eines Automobils nur sehr wohlhabenden Menschen möglich war und ein Fahrrad als teurer Wertgegenstand galt. Bei einem Schmied, der sich schließlich motorisiertem Gerät und Kraftfahrzeugen widmete, konnte Rudolf zuschauen, wie das geht, selbst herumprobieren: „Ich hab in viele Zylinder geschaut.“

Nach seinem Studium des Maschinenbaus an der Technischen Universität Graz mußte Rudolf nicht erst auf Jobsuche gehen. Der ganze Jahrgang wurde sofort engagiert. Viele gingen nach Deutschland, er ließ sich in Österreich halten. So kam er 1955 bei der Steyr-Daimler-Puch AG an Bord. Das hieß amtlich Werke Graz, doch in der Steiermark sagt man eigentlich nur Puchwerk.

1955: Der Prototyp Puch U 3, von dem nur die Motorhaube erhalten blieb. (Foto: Archiv Markus Rudolf)
1955: Der Prototyp Puch U 3, von dem nur die Motorhaube erhalten blieb. (Foto: Archiv Markus Rudolf)

Gab es zu unseren Lebzeiten je einen renommierteren Mischkonzern? Historiker André Pfoertner nenne die SDPAG einen „österreichischen Gedächtnisort“. Das bezieht sich im Steirischen vor allem auf Puchs Stammwerk in der heutigen Puchstraße und auf das Werk Thondorf, welches während der Nazi-Ära als Rüstungsbetrieb gebaut worden war.

In der Geschichtsschreibung wird heute die Zeit zwischen 1914 und 1946 auch als der Zweite Dreißigjährige Krieg gedeutet, denn die Zwischenkriegszeit war eigentlich nur durch schweigende Waffen von den Mühen, Problemen und dem Grauen der brutalen Zerrüttung Europas unterschieden. Damals hatte die einstmals bedeutende Autoindustrie Österreichs nicht nur Ressourcen und Absatzgebiete verloren, sondern auch zahlungskräftiges Publikum, denn viele Vermögen waren mit den Kriegsanleihen dahin. In jener Phase hatte sich der Börsenspekulant Camillo Castiglioni vorgenommen, den Konzern gewinnbringend zu filettieren und den Standort Graz zu schließen. Sein Untergebener, der Ingenieur Giovanni Marcellino, konnte ihn aber davon überzeugen, daß sich hier eine taugliche Zweiradproduktion aufbauen und etablieren ließe.

1960: Planierungsarbeiten auf dem Gelände des heutigen BMW-Werkes, ex Eurostar. (Foto: Archiv Markus Rudolf)
1960: Planierungsarbeiten auf dem Gelände des heutigen BMW-Werkes, ex Eurostar. (Foto: Archiv Markus Rudolf)

Rudolf stand nach dem Zweiten Weltkrieg an einer vergleichbaren Schwelle. Der Zweirad-Sektor in Graz schwächelte. In Steyr wurden italienische Fiat assembliert, die teilweise wenigstens hauseigene Motoren erhielten. Im Konzern standen Entscheidungen an. Die fielen schließlich zugunsten einer weiteren LKW-Produktion in Steyr bei Verlagerung einer PKW-Produktion nach Graz.

Rudolf gehörte zu einem jungen Team, das in der Verantwortung von Erich Ledwinka, dem Sohn des Pioniers Hans Ledwinka, eine „Gruppe Vierrad“ bildete, dank deren Arbeit der Automobilbau also nach Graz zurückkam. Das prominenteste Ergebnis, der Steyr-Puch 500, kam 1957 auf den Markt, zwei Jahre darauf der phänomenale Haflinger.

Der „Hafi“, genauer: Steyr-Puch 700 AP, diese kleine Allrad-Plattform mit der großen Eignung für Abwege, war mein aktueller Anlaß für das Gespräch mit Rudolf. Zum 60 Jahr-Jubiläum (2019) des robusten Fahrzeugs soll es ein Buch geben, das einige Seiten der Geschichte betont, die bisher noch nicht so stark beleuchtet wurden; siehe: Der Haflinger!

Die handliche mechanische Rechenmaschine Curta. (Foto: Prioryman, Creative Commons)
Die handliche mechanische Rechenmaschine Curta. (Foto: Prioryman, Creative Commons)

Fließbandfertigung war damals noch keineswegs in allen Bereichen obligat. Rudolf erzählt, daß etwa die Motore für das Puch Maxi erst in den 1970er Jahren am Fließband hergestellt wurden. Derlei Umstellungen verlangen stets horrende Investitionsmittel, die meist nicht schon vorab verfügbar waren und daher Banken mit ins Boot brachten. Das ist seit Anbeginn der Industrialisierung so und stets hatten die Konstrukteure ein angespanntes Verhältnis zu den „Erbsenzählern“, heute würde man sagen: zu den Controllers.

Diesbezügliche Konfliktgeschichten sind vielfältig. Ob Oberingenieur Karl Slevogt oder der in solchen Fragen sehr reizbare Ferdinand Porsche… Auch Egon Rudolf erzählt davon, daß man den Haflinger sicher hätte preiswerter anlegen können, was schon in der Konstruktion begründet sein müsse. Aber das hat sie damals nicht bekümmert, obwohl sie ebenfalls viel Rechenarbeit zu bewältigen hatten.

Wie haben die Techniker damals gerechnet, wenn sie keine Computer besaßen? Rudolf: „Und es gab viel zu rechnen, bis ein Motor oder ein Getriebe fertig war.“ Der Rechenschieber blieb lange obligat. Dieses Instrument ist heute nur noch wenigen Menschen geläufig. Stellenweise waren mechanische Rechner verfügbar. Handlich aber schwer. Ratternde Wunderwerke der Feinmechanik.

Rudolf erinnert sich an einige Kollegen, die eine besonders exklusive Rechenhilfe benutzten. „So ein kleiner Zylinder, den man in der Hand halten konnte, wo man oben herumkurbelt.“ Das meint die liechtensteinische Curta mit ihren Staffelwalzen. Eine Entwicklung des in Wien geborenen Curt Herzstark. Die Generation nach Egon Rudolf war nicht mehr auf Rechenschieber angewiesen. Jack S. Kilby (Texas Instruments) baute 1967 den Prototyp kleiner Rechenmaschinen, basierend auf integrierten Schaltkreisen. So begann die Ära der programmierbaren Taschenrechner und der winzigen Heimcomputer.

Die Beschleunigung der Prozesse und Innovationsschritte nahm weiter zu. Rudolf avancierte in Graz zum Oberingenieur, dann zum Leiter der Versuchsabteilung, erhielt schließlich Prokura und beendete seine aktive Berufslaufbahn 1987 als Werksdirektor der Werke Graz. Ab da war er als Honorarprofessor der TU Graz, als Konsulent und Vortragender tätig.

1974: Präsentation von Puch G Holzmodellen anläßlich einer Tagung in der Hofburg. (Foto: Archiv Markus Rudolf)
1974: Präsentation von Puch G Holzmodellen anläßlich einer Tagung in der Hofburg. (Foto: Archiv Markus Rudolf)

Wir leben nun seit rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution, deren modernen Spielarten Rudolf kennt; und zwar in jenem Kontrast, der sichtbar wird, wenn man nach dem Handwerk fragt. Rudolf war nie bloß Maschinenwissenschafter, sondern immer auch ein Mann der Handfertigkeit. Ob es das technische Zeichnen betraf, Schraubereien an einem Motor oder nötige Schweißarbeiten. Genau das schien auch wichtig zu sein, wo er als Chef mit erfahrenen Arbeitern zu tun hatte; daß die sahen, er weiß, wovon er redet.

Werden wir soziale und kulturelle Einbußen erleben, wenn wir solche Handfertigkeit aufgeben, da sie nicht mehr markfähig ist, wo Maschinen das Wissen und die Arbeit von Menschen übernehmen? Was wird es diese Gesellschaft dereinst kosten, wenn sie heute hinnimmt, daß manch einer der alten Meister sagt: „Was ich kann, wird nicht mehr gelehrt.“?

Weiterführende Texte#

Weiterführende Literatur#

Egon Rudolf: PUCH. Eine Entwicklungsgeschichte, Weishaupt Verlag. (Foto: Martin Krusche)
Egon Rudolf: PUCH. Eine Entwicklungsgeschichte, Weishaupt Verlag. (Foto: Martin Krusche)
Erich Mayer: PUCH. Werk II – im Wandel der Zeit, Weishaupt Verlag. (Foto: Martin Krusche)
Erich Mayer: PUCH. Werk II – im Wandel der Zeit, Weishaupt Verlag. (Foto: Martin Krusche)


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