„Gestalten, nicht verwalten“ #
FURCHE-Gespräch mit Maestro Franz Welser-Möst im Vorfeld der ersten Staatsopernpremiere. Was er für sich in Anspruch nimmt, fordert er auch von der Kulturpolitik. #
Von der FURCHE (Donnerstag, 3. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Das Gespräch führte
Walter Dobner
Mit Puccinis selten gespielter „La fanciulla del West“ eröffnet die Staatsoper am kommenden Samstag ihren neuen Premierenreigen. Im FURCHE- Gespräch gibt GMD Franz Welser-Most erste Einblicke in die neue Produktion, hebt die Besonderheiten dieses Werks hervor, spricht über die Stuckauswahl der Wiener Oper und formuliert kulturpolitische Wunsche an die neue Bundesregierung.
Die Furche: Herr Generalmusikdirektor, Giacomo Puccini hat „La fanciulla del West“ gegenüber seiner Londoner Bekannten Sybil Seligman als jene Oper bezeichnet, die „am besten gelungen“ ist. Wie sehen Sie das, da gibt es wohl nach wie vor unterschiedliche Meinungen?
Franz Welser-Möst: Es ist ganz interessant bei dieser Oper: Die Intendanten mögen sie nicht, weil ihnen die Geschichte komisch vorkommt, und die Dirigenten lieben sie, weil es eine echte Dirigentenoper ist, eine fantastische Partitur.
Die Furche: Es ist aber doch ein anderer Puccini, als man ihn bis dahin gewohnt war und wohl auch erwartet hatte...
Welser-Möst: Er bricht zu neuen Ufern auf, man merkt, dass er sich stark mit „Pelleas et Melisande“ beschaftigt hat. Nur ein kleines Beispiel: Wenn im zweiten Akt die Tür aufgeht und der Schneesturm tobt, hat er sich das sicher von Debussys Oper abgeschaut. Puccini probiert in dieser Partitur auch viele neue Farben aus, was er so vorher nicht gemacht hat, und das ist spannend.
Die Furche: Gibt es in dieser Puccini-Oper nicht auch Einflüsse von Richard Strauss?
Welser-Möst: Ich habe vor kurzem mit Jonas Kaufmann gesprochen. Er hat sich die jüngste „Tristan“-Vorstellung der Staatsoper angeschaut und gemeint, der Schluss von „La fancuilla“ – es stirbt in dieser Oper niemand – hat schon etwas vom „Tristan“. Ich antwortete, wenn es um die Liebe geht, da haben sich die Komponisten schon an solchen Stucken orientiert. Es ist – wie auch bei Richard Strauss – eine Art „Sterben in Schönheit“, selbst wenn niemand stirbt. Aber es ist diese Melancholie, dieses Verlangen nach Schönheit – das ist sehr zeitgeistig.
Die Furche: In seiner „Fanciulla“ arbeitet Puccini sehr viel mit Leitmotiven, ein sehr individueller Versuch, an Richard Wagner anzuknüpfen und seine Ideen weiterzuentwickeln, wie man zuweilen hört...
Welser-Möst: Nicht wirklich. In „La fanciulla“ ist die Leitmotivtechnik sicher starker als in anderen Puccini-Opern. Puccini war nicht nur geschäftstüchtig, er wusste auch in künstlerischen Dingen, was Effekt macht, wie er Mittel einsetzt. Ich finde es genial, wie er von einem Moment auf den anderen einen totalen Stimmungswechsel herbeifuhrt, trotzdem aber alles homogen zusammen halt. Das macht das Werk auch für den Regisseur schwierig.
Die Furche: Wenn man so will, ist das Orchester der Star dieser Oper, es spielt jedenfalls eine größere Rolle als in den früheren Puccini- Opern.
Welser-Möst: Dimitri Mitropoulos hat in den 1950er Jahren in Florenz den zweiten Akt ohne Sanger aufgeführt, um den Italienern zu zeigen, was das für eine tolle Orchesterpartitur ist.
Die Furche: Dafür haben es die Sänger nicht ganz so leicht – abgesehen von der Abschiedsarie des Johnson gibt es keine große lyrische Arie. Oder ist das ein zu verkürzter Blickwinkel?
Welser-Möst: Man muss etwas weggehen vom üblichen Puccini. Die großen Hits wie etwa bei „Tosca“ oder „La Boheme“ gibt es nicht. Dafür schafft er hier nicht nur eine Oper, sondern ein großes Schauspiel mit Musik.
Die Furche: Immer wieder wird bemängelt, dass das Libretto so unbestimmt ist: Warum kommt eine Jungfrau in ein Goldgräberlager, wieso ist Johnson ein Bandit? Diese Liebesgeschichte könnte sich doch ebenso und genau so schlüssig in einem anderen Ambiente abspielen?
Welser-Möst: Das ist richtig. Regisseur Marco Arturo Marelli macht eine großartige Arbeit mit den Sängern, es ist ein Vergnügen zuzusehen. Das zählt zu den schönsten szenischen Proben, die ich erlebt habe. Marelli hat das sehr klug gemacht. Uns Europäern erscheint diese Western-Saloon-Atmosphäre etwas komisch, also lasst er die Handlung in einem Containerdorf spielen. Er nimmt damit dem Stuck die kleine Ecke, die peinlich werden kann.
Die Furche: Wie würden Sie die Moral dieser Geschichte, die hier erzählt wird, umschreiben?
Welser-Möst: Oberflächlich ist es, wie Minnie sagt: Vergebung ist etwas, das uns allen gut ansteht. Andrerseits ist der Schluss – was sich schon in den Liebesszenen im ersten und zweiten Akt abzeichnet, wo diese eigentlich unmögliche Liebesgeschichte zwischen Minnie und Ramerrez in weite Ferne rückt und Ramerrez davon spricht, das gelobte Land zu verlassen – offen. Nur scheinbar gibt es ein Happy End. Das Stück, das zeigt sich auch in der Entwicklung der Figuren, besitzt eine ungeheure Vielschichtigkeit. Es ist eine Sehnsucht nach einem besseren Leben vorhanden, man weiß aber nicht, ob das auch tatsachlich eintreten wird.
Die Furche: Sie haben sich nicht nur für diese, sondern auch für Ihre nächste Staatsopernpremiere mit dem „Schlauen Füchslein“ von Leoš Janáček – womit Sie Ihren Janáček -Zyklus fortsetzen – ein Werk ausgesucht, das man gerne als Nebenwerk bezeichnet. Welche Intention steckt dahinter?
Welser-Möst: Wir haben ein riesiges Repertoire, wir können uns gut und gerne auch um anderes kümmern. Wir spielen aufgrund unseres Gesetzesauftrags die großen Repertoirestucke jahrzehntelang. Das gibt uns den Raum, uns auch woanders umzusehen. Darüber hinaus habe ich an mich den Anspruch gestellt, für das ganze Repertoire da zu sein, aber doch einen Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert zu legen. Ich fand es absurd, dass Janáček, der nur ein paar Kilometer von Wien entfernt geboren wurde, in diesem Haus, von Ausnahmen abgesehen, so gut wie nicht präsent war. Hindemiths „Cardillac“ ist trotz aller Bedenken davor ein großer Erfolg, wir müssen es immer wieder spielen, und „La Fanciulla“ passt da gut dazu, denn es ist ein anderer Puccini. Dazu kommt, dass das Haus auf Stars angelegt ist, aber der Star ist das Haus. Wir haben ein Ausnahmeorchester, einen wunderbaren Chor und ein tolles Ensemble – und es geht auch darum, dass wir eben das Ensemble etwas in den Mittelpunkt stellen. Ein „Cardillac“, die Janáček -Opern – das sind Stucke, für die man keine Stars holt, sondern in denen man unser Ensemble entsprechend einsetzen und dieses sich profilieren kann. Das ist für die Kultur am und im Haus wichtig.
Die Furche: Herr Welser-Möst, vor wenigen Tagen wurde gewählt. Was wünschen Sie sich als GMD der Staatsoper, aber auch als international tätiger Künstler, der durch Cleveland auch eine feste Beziehung zu einem anderen Kulturkreis hat, in Zukunft von der österreichischen Kulturpolitik?
Welser-Möst: Erstens wurde ich mir wünschen, dass die künftige Regierung das Kulturleben in unserem Land für nicht so selbstverständlich nimmt, wie es die bisherige offenbar tut. Denn Kunst und Kultur sind international unser Kennzeichen Nummer eins. Weiters sollte man den freien Szenen mehr Aufmerksamkeit schenken und alles, was Innovation anbietet, unterstutzen – wie etwa die Neue Oper, die ich für großartig halte. Es muss nicht alles verwaltet werden, man kann Anstöße liefern. Ein Teil des Verwaltens bedeutet nämlich auch, dass Kulturschaffende dauernd „katzenbuckeln“ müssen, und das finde ich falsch. Es war eine große kulturpolitische Tat, dass Peter Marboe das Subventionssystem der Stadt Wien von einem einjährigen auf einen dreijährigen Zyklus umgestellt hat, denn damit wurde Freiraum geschaffen. Die Verantwortung eines Staates liegt darin, einen gut dotierten Rahmen zu schaffen und nicht hineinzuregieren. Es muss ohnedies alles von selber blühen und es muss auch Wettbewerb geben dürfen. Es soll nicht alles erstarren. Ich bin gegen das Verwalten, ich bin für das Gestalten.