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Bergrettung in 3D – Nacht- und Nebelbergungen mit Hightech #

Die Trends zu mehr „Kick“ in der Freizeit und zu Outdoor-Sportarten halten seit Jahren an. Leider steigen damit jedoch auch – vor allem im alpinen Gelände – die Unfallzahlen, nicht zuletzt sehr häufig aufgrund der Überschätzung des persönlichen Könnens bzw. der Kondition. #


Von

Manfred F. Buchroithner


Berggipfel der Dachsteinsüdwand
Schroffe Berggipfel der Dachsteinsüdwand
Quelle: © fotofrank – Fotolia.com

Mit dem Thema Bergrettung setzte sich vor einigen Jahren eine Gruppe von Kartographen und Informatikern der Technischen Universität Dresden auseinander. Da in Zukunft mit Galileo ein Satellitennavigationssystem von höchster Genauigkeit vorhanden sein wird und viele Kletterer GPS-fähige Smartphones mit sich führen, wurde die Idee geboren, ein Werkzeug zu schaffen, mit welchem auch bei Sichtlosigkeit – also bei Nacht und Nebel – bisher nicht realisierbare Seilbergungen aus extrem steilen Bergwanden durchgeführt werden können.

Die Schwierigkeit war, dass in der Welt der Geoinformatik bisher eher in den traditionellen „vertikalen Sichten“ gedacht wird: Unsere Erdoberfläche wird aus der sogenannten „Nadirsicht“ vertikal von oben auf eine Abbildungsfläche verebnet dargestellt. Das hat jedoch im alpinen Steilraum zur Folge, dass eine vollkommen senkrechte Wand nur als Linie visualisiert wird. Hier die Höhe eines Objekts – in unserem Fall von verunfallten Alpinisten – darzustellen, ist schlichtweg unmöglich. Im Zeitalter der digitalen Geländemodelle bietet es sich jedoch an, Steilflanken von Bergen eher „in transversaler Achsenlage“, also frontal, zu betrachten und abzubilden. Hier greift der von der Dresdener Schule der Kartographie vor etwa 15 Jahren entwickelte Ansatz des „Steep-Slope Model“, welcher besagt, dass für Hange steiler als 45° der „Horizontalblick“ zu präferieren ist.

Als nächstes wurde ein ultragenaues 3D-Modell hergestellt. Als „testbed“ diente die nahezu 1000 Meter hohe und rund 3,5 Kilometer breite, großteils senkrechte Flucht der Dachsteinsudwand. Fast 150 Menschen haben bisher in dieser mächtigen Felskulisse ihr Leben lassen müssen; jeder einzelne von ihnen einer zu viel. Dies rechtfertigte auch den enormen Aufwand, von vier verschiedenen Standpunkten aus mit einem Longrange-Laserscanner Punktwolken aufzunehmen und daraus ein konsistentes Modell zu erstellen. Die drapierte, synchron aufgenommene, digitale Bildtextur führte zu einem detaillierten fotorealistischen Modell. So konnte man erstmals den bisher mit „rund 40 Metern“ angegebenen gewaltigen Dachüberhang der Direkten Dachsteinsudwand-Route genau verifizieren, quantifizieren – und auch darstellen.

Darstellung einer GPS-Route an der Dachsteinsüdwand
Darstellung einer GPS-Route an der Dachsteinsüdwand: Rohdaten, gefilterte Punkte vor der Felswand, Punkte verdeckt im Fels, Punkte innerhalb des Fangradius gesnappt, Routenanzeige im Modell
Quelle: TU Dresden, ZIH

Parallel zu diesen Arbeiten liefen erste Tests zur genauestmöglichen Lokalisierung von GPS-Signalen in komplexen Wandfluchten. Der „Schwachpunkt“ war hier die z-Koordinate des GPS-Gerats. So wurden die GPS-Signale abschattenden und mehrfach reflektierenden Strukturen zunächst an Wassertürmen und Hochhäusern in Dresden simuliert. Die ersten Ergebnisse waren alles andere als ermutigend, und die Projektmitarbeiter des Zentrums für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen sowie des Lehrstuhls für Rechnernetzwerke der Fakultät Informatik der TU Dresden mussten noch etliche Optimierungen in dem neu entwickelten „Location Tracking Datagram Protocol“ (LTDP) und in den Filteralgorithmen für die „Ausreiser“ der mehrfach reflektierten GPSDaten durchfuhren.

An der Westkante des Liliensteins im Nationalpark Sächsische Schweiz wurden weitere Tests und neuerliche Verbesserungen zur GPS-Signal-Lokalisierung durchgeführt. Erst dann fuhr man in die Alpen: Der Hüttenwirt der Dachsteinsüdwandhütte kletterte insgesamt dreimal (!) mit einem GPS-fähigen Smartphone ausgestattet auf einer schweren Kletterroute durch die riesige Wand, wobei die GPSPunkte dann in einer MySQL-Datenbank an der TU Dresden gesammelt und in das WGS84 transformiert wurden: genug Material für die Validierung der Software!

Dann war es bald soweit: Die Realisierung der wirklichkeitsnahen, erst in der Dämmerung beginnenden und in die Nacht hinein anhaltenden Übung mit der Bergrettung von Ramsau am Dachstein begann. Das Wetter war tadellos, blauer Himmel und Sonnenschein; und ausgerechnet am Nachmittag zog dichter Nebel am Dachstein auf. Unsere beiden „Opfer“, der Hüttenwirt der Südwandhütte und sein Schwiegervater, die schon am Vormittag in die Route eingestiegen waren, froren hoch oben in der Wand bei Wind und Feuchte. Es war also „fast“ ein wirkliche Bergung.

Gegen Abend fuhr die Rettungsmannschaft mit der Seilbahn auf den Dachsteingletscher und kletterte dann auf dem Ostgrat Richtung Gipfel bis zu einem Punkt in der Falllinie oberhalb der „Verunfallten“. Diese Stelle hatten sie bereits von der „Kommandozentrale“ auf der Südwandhütte via Walkie-Talkie mitgeteilt bekommen. Rettungsseil und Seilrolle wurden fixiert und der Bergretter wurde hinabgelassen. Es war mittlerweile schon sehr dämmrig geworden und die Sicht lag wegen des Nebels bei kaum mehr als 15 Metern.

In der Hütte konnte der Einsatzleiter mit uns Vertretern der TU Dresden sowie den Firmen Riegl und Garmin, die das gesamte Projekt unterstutzt hatten, den ebenfalls mit einem Smartphone und einem Sprechfunkgerat ausgestatteten Seilretter auf dem Bildschirm eines leistungsstarken Laptops lokalisieren und dirigieren. „Ich sehe sie! Sie liegen nur knapp 10 Meter unter mir auf einem Felsband!“ kam dann bald die erlösende Meldung. Aufatmen bei allen: der „Proof of Concept“ war gelungen, noch dazu unter wirklichkeitsnahen Randbedingungen. Der Rest ging schnell: Die „Verletzten“ wurden die knapp 200 Meter hochgehievt und alle Beteiligten fuhren mit der extra nächtens in Betrieb genommenen Dachsteinseilbahn zu Tal.

Hatte damit eine neu Ära in der Bergung von Verunglückten bei Sichtlosigkeit begonnen und hatte das Dresdener Team damit den Weg zur zukünftigen Rettung vieler Leben im alpinen Bereich beschritten? Wir hoffen es. Das Interesse von Österreichischer und Schweizer Bergrettung und die Erteilung des deutschen und internationalen Patents lassen uns hoffnungsvoll an die Operationalisierung des Prototyps schreiten.

Einsatz in der Südwand - die neue Dimension der Bergrettung

Autor und Kontakt: #

Prof. Dr. habil. Manfred F. Buchroithner
Technische Universität Dresden
E: manfred.buchroithner@tu-dresden.de
I: http://kartographie.geo.tu-dresden.de