Vom Erbsengarten in die Keimbahn#
Vor 150 Jahren veröffentlichte Gregor Mendel seine Vererbungsregeln. Dass der Mensch einmal in der Lage sein würde, in sein Erbgut gezielt einzugreifen, ließ sich der Vater der Genetik damals wohl nicht träumen.#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 18. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Eva Stanzl
Wien. Von der Arbeit des Augustinermönchs nahmen Botaniker akademischer Weihen zunächst wenig Notiz. Doch Gregor Mendel ließ sich nicht entmutigen. "Meine Zeit wird schon noch kommen", soll er gesagt haben, als er vor 150 Jahren seine Vererbungsregeln veröffentlichte. Er behielt recht. "Alles, was wir über Genetik wissen, geht auf Mendels Experimente zurück", sagt James Matthew Watson vom Gregor Mendel Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Die beiden Institutionen würdigten Mendels Jubiläum diese Woche mit einem Symposion, bei dem Experten auch über die Zukunft der genetischen Forschung diskutierten.
Der als Johann Mendel 1822 in Heinzendorf in Schlesien geborene Bauernsohn war ein sehr guter Schüler, ein Studium in Olmütz musste es allerdings wegen Geldmangels der Familie abbrechen. Er trat den Augustinern in Brünn bei und nahm den Ordensnamen Gregorius an. Neben der Theologie studierte Gregorius Landwirtschaft und lernte die Kreuzungstechniken. 1856 startete er seine systematischen Experimente mit Erbsen-Pflanzen im Klostergarten.
Die drei Vererbungsregeln#
Für klare Resultate beschränkte sich Mendel zunächst auf sieben gut unterscheidbare Merkmale - wie die Farbe der Blüten oder die Fruchtform. Er verwendete reinerbiges Saatgut und bestäubte die Pflanzen mit einem Tuschepinsel auf eine Art und Weise, die Selbstbefruchtung ausschließen ließ. Von 1856 bis 1863 kultivierte Mendel 28.000 Erbsenpflanzen und wertete die Ergebnisse statistisch aus. Dabei bestätigten sich drei Vererbungsregeln.
Die erste ist die "Uniformitätsregel". Wenn zwei unterschiedliche Erbsenpflanzen gekreuzt werden - eine mit weißen und eine mit roten Blüten -, sind alle vier Nachkommen rot. Die zweite ist die "Spaltungsregel". Werden zwei dieser roten Nachkommen gekreuzt, blühen ihre Kinder, oder die "Enkelkinder" der ersten Pflanzengeneration, im Verhältnis von 3:1 rot und weiß. "Mendel ist berühmt dafür, dass er in unzähligen Versuchen immer zum selben Verhältnis kam", fasst Watson zusammen: "Daraus schloss er, dass es dominante (rot, glatt, grün) und rezessive (weiß, schrumpelig, gelb) Merkmale gibt."
Die Vererbungsregeln gelten für Merkmale, die jeweils von einem einzigen Gen festgelegt sind. Jedes liegt in zwei Kopien vor - je eine Kopie von Vater und Mutter. Das Phänomen dominanter und rezessiver Merkmale in den Genen erklärt Watson am Beispiel der Augenfarbe: "Das Gen für die Augenfarbe bleibt immer dasselbe, aber es erzeugt über Proteine unterschiedliche Genvarianten (Allele). Ob jemandes Augen blau oder braun sind, hängt von diesen Allelen ab. Der Phänotyp, oder das Aussehen, wird durch das Zusammenspiel von Erbanlagen bestimmt und richtet sich nach dem dominanten Allel."
Das dritte Mendelsche Gesetz ist die "Unabhängigkeitsregel". Der Naturforscher entdeckte, dass Farbe und Form der Frucht unabhängig voneinander und von der Blütenfarbe vererbt werden. Dazu müssen die Merkmale auf zwei unterschiedlichen Chromosomen liegen oder zumindest so weit voneinander entfernt sein, dass sie während der Entstehung der Geschlechtszellen getrennt sind.
Ende der Erbkrankheiten?#
Züchtungen mit unabhängig vererbten Eigenschaften ergaben in der ersten Generation drei Pflanzen mit runden und eine mit schrumpeligen Erbsen, sowie drei Pflanzen mit grünen zu eine mit gelben Erbsen. In der zweiten Generation unter Beachtung von nicht nur der Frucht, sondern auch der Blüte, ergab sich ein Verhältnis von 9:3:3:1: Neun Pflanzen waren rot und rund (zwei dominante Merkmale). Drei waren rot und schrumpelig und drei weiß und rund (ein dominantes und ein rezessives Merkmal). Nur eine hatte mit weiß und schrumpelig zwei rezessive Merkmale. Genau diese Erkenntnis ist entscheidend für das Verständnis von rezessiven Erbkrankheiten. Denn sie tauchen nur auf, wenn zwei Träger der rezessiven Variante ein Kind zeugen. "Somit können Krankheiten wie etwa Sichelzellenanämie über Generationen im Erbgut schlummern. Erst wenn sich zwei Träger paaren, hat das Kind den Defekt", so Watson.
"Können die DNA verändern"#
Gregor Mendel kannte weder Gene noch Chromosomen. Er starb 1884. In den 1920er Jahren wurde entdeckt, dass vererbte Eigenschaften in den Genen liegen, die in der DNA an Chromosomen zu Hause sind. 1953 entschlüsselten Rosalyn Franklin, James Watson und Francis Crick die Struktur des Erbguts. Und heute reicht ein simpler Bluttest, um in den Erbanlagen zu lesen, und zwar nicht nur in den eigenen, sondern auch in jenen von Babys im Mutterleib.
Was wir dort finden, muss nicht so bleiben, wie es ist. Mit einer ferngesteuerten genetischen Schere können wir die Natur zurechtschneiden. An der Spitze der methodischen Evolution steht die Technologie Crispr/Cas9. Die Forscher können dabei besonders präzise vorgeben, wo die Schere ansetzen soll. Eine Gensequenz, die für eine Erkrankung codiert, wird herausgenommen und die gesunde eines Spenders an ihre Stelle gesetzt.
Jennifer Doudna, eine der Entdeckerinnen von Crispr/Cas9, erwartet unter anderem revolutionäre Fortschritte in der Immuntherapie gegen Krebs. Krebszellen wachsen, weil sie Tarnkappen tragen, die verhindern, dass das Immunsystem sie bekämpft. "Wir können die Genetik des Immunsystems so verändern, dass es die Krebszellen trotzdem tötet", stellte Doudna jüngst in einem Interview in Aussicht. Schon in zehn Jahren könne es eine Therapie auf dieser Basis geben.
Die Gefahren der Genschere#
Die Schere hat aber auch Tücken. "Wenn man bei einem Erwachsenen eine genetische Veränderung vornimmt, um Krebs zu bekämpfen, ist das zu befürworten. Wenn man aber in die Keimbahn von Embryonen eingreift, sind die Folgen nicht absehbar", sagt der Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger. "Dann wird die genetische Veränderung nämlich vererbt. Da Menschen in ihrer Genetik sehr unterschiedlich sind, kann man nicht sagen, welche Nebenwirkungen das für spätere Generationen haben könnte."
Erst vor wenigen Wochen haben britische Forscher einen Antrag gestellt, um Embryonen zu Forschungszwecken genetisch zu verändern. Sie schränken ein, dass diese nie in den Mutterleib eingesetzt würden. Crisp/Cas9, in Fachkreisen auch "Genesis Engine" oder "Motor der Schöpfung" genannt, stellt aber in jedem Fall eine Wende dar. "Es wird irgendwann möglich sein, mit dieser sehr effektiven Methode sehr gezielte Veränderungen an Embryonen vorzunehmen", warnt Doudna: "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, denn wir sind in der Lage, unsere DNA zu verändern."
Gen-Scheren sind übrigens bereits gang und gäbe in der Landwirtschaft, wo die Eingriffe so präzise sind, dass sie sich von natürlichen Mutationen kaum unterscheiden. Auch genmanipulierter Mais zählt zu Mendels Erbe.