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Der Mond als Weltraumbahnhof#

Physiker Florian M. Nebel über seine Visionen für die Besiedlung von Mond, Mars und übrigem Universum.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 12. Juli 2019

Von

Mathias Ziegler


Wir haben in der Redaktion Kinder zwischen 5 und 13 Jahren gebeten, uns ihre Vorstellungen vom Weltraum und von der Kolonisierung fremder Planeten zu zeichnen. Darunter Christoph (6), der einmal Abenteurer und Roboterbauer werden will.
Wir haben in der Redaktion Kinder zwischen 5 und 13 Jahren gebeten, uns ihre Vorstellungen vom Weltraum und von der Kolonisierung fremder Planeten zu zeichnen. Darunter Christoph (6), der einmal Abenteurer und Roboterbauer werden will.

"Wiener Zeitung": Russland will ab 2025 eine Mondkolonie errichten. Was würde das kosten?

Florian M. Nebel: 2015 habe ich in "Die Besiedlung des Mondes" die Kosten für eine Mondsiedlung als Basis für Flüge zum Mars je nach Ausbaustufe und Dauer zwischen 30 und 300 Milliarden Euro geschätzt. Ich denke, seither hat sich das weiter verbilligt, sodass man wohl eine relativ große Mondsiedlung mit mehreren hundert Einwohnern unter 200 Milliarden Euro bekäme. Fair auf mehrere Schultern verteilt, käme Österreich zum Beispiel auf 90 Millionen Euro im Jahr, bei einer Laufzeit von 30 Jahren.

Kann sich das amortisieren?

Ich denke schon, wobei das extrem schwierig zu sagen ist. In meinen Berechnungen habe ich die Mondsiedlung lediglich Treibstoff für Marsreisen produzieren lassen. Anhand dessen, was man durch den Start vom Mond aus spart, kann man sich tatsächlich eine Rendite ausrechnen. Inwieweit diese Zahlen belastbar sind, ist eine andere Geschichte.

In "Die Besiedlung des Mars" gehen Sie jetzt einen Schritt weiter. Aber wäre das Geld für die Kolonisierung nicht besser in die Hungerhilfe auf der Erde investiert?

Die Besiedlung von Mond und Mars ist aus meiner Sicht eine Art Plan B, falls es uns wirklich nicht gelingt, die wirklich gravierenden Probleme wie den Klimawandel in den Griff zu bekommen, oder falls wir uns doch noch selbst durch einen Atomkrieg vernichten oder eine andere riesige Katastrophe die Erde heimsucht, sei es ein Asteroideneinschlag oder eine Virusepidemie. Da wäre es gut, eine Kolonie außerhalb der Erde zu haben, die sich auch selbst versorgen und so die Menschheit retten kann. Und denken Sie an die Siedlerwelle von Europa nach Nordamerika: Das war am Anfang auch nicht sofort gewinnbringend, und heute ist der transatlantische Handel die wichtigste Säule unserer Wirtschaft. Wenn man die Kolonisierung von Mond und Mars auf 200 oder 400 Jahre betrachtet, wird man die Vorteile durch interplanetaren Handel sehen.

Aber allzu viele Leute wären das nicht, oder?

Hundert bis tausend Personen könnten umgesiedelt werden, und von da aus würde die natürliche Bevölkerungsentwicklung ihren Gang nehmen und genauso exponentiell wachsen wie auf der Erde, irgendwann wären es also hunderttausende, Millionen und Milliarden Menschen.

Bietet der Mars überhaupt genügend Ressourcen für eine Kolonisierung? Man kann ja nicht alles von Erde und Mond aus mitbringen.

Das stimmt, das wäre zu kostenintensiv. Die gängigen Visionen sehen so aus, dass man die Oberfläche mit mitgebrachten Habitaten besiedelt. Mein Ansatz hingegen ist, erst einmal unterirdische Siedlungen ins Gestein zu graben, mit hermetisch verschlossenen Zugängen für eine atembare Atmosphäre. Da hätte man die Wände gratis, das Strahlenschutzproblem wäre gelöst, und die Siedler wären vor Mikrometeoriten geschützt. Dort könnte man Produktionskapazitäten etablieren, um Glas und Metall selbst herzustellen und an der Oberfläche zu bauen. Die Gravitation auf dem Mars beträgt ein Drittel der Erdschwerkraft. 150 statt 50 Kilo heben zu können, würde möglicherweise den Siedlungsausbau beschleunigen. Ein Problem ist, dass wir bisher maximal 900 Kilo an Material auf dem Mars landen können. Für eine Siedlung müssten wir aber in die Größenordnung von 20 Tonnen vorstoßen, das beherrschen wir noch nicht.

Florian M. Nebel: 'Die Besiedlung des Mars'. Eigenverlag; 173 Seiten; 29,95 Euro
Florian M. Nebel: "Die Besiedlung des Mars". Eigenverlag; 173 Seiten; 29,95 Euro

Welche Rolle spielen da Roboter?

Ein robuster Roboter, der die Menschen auf dem Mars bei manchen Arbeiten entlasten könnte, wäre schon vorstellbar. Der müsste aber vor Ort gesteuert werden, weil das Signal von der Erde im Mittel 13 Minuten in eine Richtung baucht. Er wäre wahrscheinlich schwerer als ein Mensch und auch nicht wartungsfrei. Die Frage ist, ob es sich auszahlt.

Wie kämen die Siedler überhaupt zum Mars?

Da hängt viel von der Leidensfähigkeit ab. Wenn ganz wenig Wohnraum für die 240 Tage Reisezeit genügt, würde das "Orion"-Raumschiff von Nasa und ESA mit fünf Metern Durchmesser für vier Astronauten genügen. Das bietet auch nicht viel mehr Platz als die Mondkapsel 1969. Mehr Platz böte eine Art Mini-Raumstation, ähnlich dem russischen Teil der ISS. Alternativ könnte man auf dem Mond oder im Orbit ein richtig großes Marsraumschiff für 25 bis 50 Leute bauen, mit einem rotierenden Ring für künstliche Gravitation. Dieser bräuchte einen entsprechend großen Durchmesser, weshalb man wegen der Aerodynamik leichter vom Mond aus starten könnte. Die Schwerbauteile dafür könnte man auf dem Mond herstellen, die Elektronik käme von der Erde.

Das setzt aber eine Industrie auf dem Mond voraus.

Mein Primärziel wäre, als erstes das vorhandene Aluminium abzubauen. Wenn man die Aluminiumoxide elektrisch aufspaltet, bekommt man auch gleich als Abfallprodukt Sauerstoff. 15 bis 30 Jahre nach Projektbeginn könnte man auf dem Mond produktiv werden und auch Erzeugnisse exportieren.

Welchen Antrieb haben Sie für den Marsflug im Sinn?

Wasserstoff ist bereits ein etablierter Treibstoff, allerdings kann man sich nicht darauf verlassen, dass auf dem Mond genügend Wasser vorhanden ist. Man kann auch Aluminiumoxid den Sauerstoff entziehen und in flüssiger Form einlagern, um ihn mit ganz klein pulverisiertem Aluminium zu vermischen innerhalb von ein- und demselben Treibstoffgemisch. Das brennt auch hervorragend. Da sind wir allerdings erst im Experimentierstadium.

Sonnenenergie ist kein Thema?

Bei einigen Satelliten, die wenig Schub benötigen, beschleunigt Solarstrom ein Antriebsgas in geringen Mengen. Für ein großes Raumschiff bräuchte man eine große und damit massereiche Energiequelle, sodass der Antrieb nicht effizient wäre. Auf dem Mars wäre Solarenergie durchaus eine Option. Auf dem Mond ist es abgesehen von den Polen 14 Tage lang hell und 14 Tage lang dunkel. Persönlich würde ich für eine langfristige autarke Energieversorgung ein Kernkraftwerk favorisieren.

Ein AKW, das in die Erdatmosphäre startet, birgt aber Risiken.

Es gibt schon Technologien, die den Transport einigermaßen sicher machen können. Auch der Marsrover "Curiosity" hat einen Radionuklid-Generator. Selbst bei einem Verglühen in der Atmosphäre wären die Auswirkungen nicht mit Tschernobyl oder Fukushima vergleichbar.

Das Projekt "Biosphere 2", das ein geschlossenes Ökosystem simuliert hat, ist gescheitert. Was bedeutet das für Ihre Marsvisionen?

Es hat gezeigt, wie schwierig das ist. Gleichzeitig lehrt es insgesamt ein besseres Verständnis, sodass man vielleicht mehr Respekt vor den Lebensbedingungen in einem Ökosystem entwickelt und damit sorgsamer umgeht, als es bisher der Fall ist - nicht nur auf dem Mond und dem Mars. Dort hat man übrigens den Vorteil, dass es keine Einmischung von außen gibt, da könnten sich beispielsweise keine Ameisen hineingraben und zur Plage werden.

Apropos Tiere: Was würden Mond- und Marsmenschen essen?

Florian M. Nebel: 'Die Besiedlung des Mondes'. Landwirtschaftverlag Münster; 180 Seiten; 20,50 Euro
Florian M. Nebel: "Die Besiedlung des Mondes". Landwirtschaftverlag Münster; 180 Seiten; 20,50 Euro

Anfangs ist vegetarische Kost einfacher als Fleisch. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Transport von Hühnern als Ei von der Erde zumindest zum Mond gut möglich wäre - eine Konservierung bis zum Mars müsste man noch erforschen. Früher oder später könnte man auch andere Tiere mitnehmen, Schafe oder Kühe halte ich für nicht unpraktisch. Am robustesten wären freilich Insekten, sie enthalten ja auch viele Nährstoffe - aber welcher Westler will Insekten essen? Und wenn sie auskämen, hätte man eine richtige Plage am Hals. Aber man sollte trotzdem überlegen, sie in den Nahrungsmix einzubauen.

Der Niederländer Bas Landsdorp plant mit seiner Stiftung Mars One eine private Marsbesiedelung. Ist das überhaupt realistisch?

Wer weiß. Was ich bei Mars One interessant finde, ist weniger die Mission an sich, sondern dass es offenbar nicht an Freiwilligen für einen One-Way-Flug mangelt. Deswegen hätte ich auch wenige moralische Bedenken, jemanden ohne Wiederkehr zum Mars zu schicken. Man darf es aber nicht als Himmelfahrtskommando auslegen. Es braucht einen Plan, wie das Überleben bis ans natürliche Lebensende sichergestellt ist.

Und wie ernst meinen es Nasa & Co mit ihren Marsplänen?

Ich denke, es besteht ein internationaler Konsens, schrittweise zum Mond zurückzukehren und dann weiter zum Mars zu fliegen. Die Züge stehen auf dem richtigen Gleis - nur im Kessel ist noch nicht genug Dampf.

Ist es sinnvoll, noch weiter als bis zum Mars zu schauen?

Der ganze Spaß mit Mond, Mars, vielleicht auch noch Jupiter- und Saturn-Monden ergibt nur dann Sinn, wenn man irgendwann über den Rand des Sonnensystems hinausgeht. Wir haben ja schon einige möglicherweise tatsächlich bewohnbare Planeten gefunden, die gar nicht so weit weg sind.

Bitte definieren Sie "gar nicht so weit weg".

Aus heutiger Sicht sind das natürlich extreme Distanzen. Aber es gibt eine exponentielle Entwicklung: Wenn wir tausend bis zehntausend Jahre zu den zehn nächsten Nachbarsternen brauchen und von dort aus noch einmal so lange zu den jeweils nächsten zehn Nachbarsternen, haben wir nach elf bis zwölf Wiederholungen die gesamte Galaxie besiedelt - und zwar rascher als einst der Mensch die ganze Erde. In der globalen Geschichte wäre das also nur ein Wimpernschlag. Und je näher ein zukünftiger Antrieb der Lichtgeschwindigkeit käme - das wäre jeder, der über lange Zeiträume hinweg immer weiter beschleunigen könnte -, desto weniger Zeit verginge durch das Phänomen der Zeitdilatation für den Raumfahrer, der in einem einzigen Leben bis zum Rand des Universums käme, während für den Rest der Menschheit Milliarden Jahre vergingen. Nur könnte er nicht mehr zur Erde zurückkehren und davon berichten.•

Wiener Zeitung, 12. Juli 2019


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