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Der verlorene Sieg des Josef Klaus #

Die Wahl am 6. März 1966 beendete die Ära der schwarz-roten Koalition. Die ÖVP regierte unter Josef Klaus erstmals allein – und verlor vier Jahre später. #


Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Samstag, 5. März 2016)

Von

Erwin Zankel


Kanzler Josef Klaus mit seiner ÖVP-Regierung
Kanzler Josef Klaus mit seiner ÖVP-Regierung, in der sich mit Sozialministerin Grete Rehor erstmals auch eine Frau befand
© PICTUREDESK

Das Palais Todesco gegenüber der Staatsoper war zum Tollhaus geworden. Immer mehr Adabeis drängten sich in das ausladende Treppenhaus und die mit Tapeten geschmückten Salons des Prachtbaus, in dem die ÖVP ihr Hauptquartier hatte. Die Wahlnacht des 6. März 1966 brachte einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte Österreichs.

Erstmals war eine Alleinregierung in Griffweite. Alle warteten auf das Eintreffen des Siegers. Rot-weiß-rote Fahnen wurden geschwenkt, eine Blasmusikkapelle spielte auf, Josef Klaus wurde von zwei Kraftlackeln auf den Schultern getragen, weil es anders keinen Weg durch das Gedränge gab. Jubel brandete auf, als sich der Bundeskanzler endlich auf dem Balkon zeigte und zur Menge auf dem Platz vor der Oper sprach.

Der Umsturz kam nicht ganz unerwartet. Zwar hatte die ÖVP schon einmal die absolute Mehrheit errungen, unmittelbar nach Kriegsende 1945. Das Ergebnis der ersten Nationalratswahlen war die Bildung der Großen Koalition als Dauereinrichtung. Die schwarz-rote Regierung überlebte auch den Staatsvertrag, obwohl 1955 mit dem Ende der Besatzungszeit eigentlich der Zwang zum Schulterschluss der beiden großen Parteien weggefallen war.

Das Bündnis wurde zunehmend als Selbstfesselung empfunden. Alle Posten und Pfründe wurden streng nach dem Proporz vergeben, das Land in schwarze und roten Reichshälften geteilt. Das Regieren ähnelte oft einem Kuhhandel. Das „Junktimieren“ wurde zur Staatskunst entwickelt: In Koalitionsabkommen wurde festgehalten, dass den Bauern eine Erhöhung des amtlich regulierten Milchpreises nur dann zugestanden wird, wenn auch die Molkereiarbeiter höhere Löhne erhalten.

Gegen diese Praxis der Packelei begann sich in der ÖVP, die stets den Bundeskanzler stellte, Widerstand zu formieren. Der steirische Landeshauptmann Josef Krainer sen. war die treibende Kraft der „Reformer“. In einem ersten Anlauf gelang es, den Staatsvertragskanzler Julius Raab als Parteiobmann durch den aus der Steiermark stammenden Alfons Gorbach zu ersetzen. Ein paar Monate später verdrängte Gorbach im Frühjahr 1961 Raab auch aus dem Kanzleramt.

Gleichzeitig trat der seltene Fall ein, dass ein erfolgreicher Landeshauptmann seinen Posten aufgab, um in die Bundespolitik zu wechseln. Josef Klaus, seit 1949 unbestrittener Hausherr in Salzburg, wurde Finanzminister in Wien. Er war eine tickende Zeitbombe im Kabinett. Der bis zur Starrköpfigkeit prinzipientreue Moralapostel verfocht einen strengen Sparkurs. Der 60-jährige Klaus war kleinbürgerlich- bäuerlicher Herkunft. Sein Vater, Bäckermeister in Kötschach-Mauthen im Kärntner Gailtal, starb früh. Geprägt wurde er von seiner frommen Mutter, die ihn ins Knabenseminar nach Klagenfurt schickte. Das Jus-Studium absolvierte er in Wien, eingebunden im CV. Nach dem Kriegseinsatz ließ sich Klaus als Rechtsanwalt in Hallein nieder, wo er bald seinen steilen Auf- stieg in der Landespolitik begann.

Obwohl die ÖVP bei den vorzeitigen Nationalratswahlen 1962 zulegte, konnte Gorbach den festgefahrenen Koalitionskarren nicht mehr flott bringen. Es dauerte vier Monate, bis die neue Regierung gebildet war, der Klaus nicht mehr angehören wollte. Sein Ausscheiden war eine kaum verhüllte Kampfansage. In der ÖVP wuchs der Unmut über den behäbigen Regierungsstil Gorbachs. Im September 1963 kam es zum ersten Akt der Abrechnung. Gorbach resignierte als Parteiobmann. In einer Kampfabstimmung setzte sich der Reformer Klaus mit Zweidrittelmehrheit gegen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel als Repräsentant des alten Regimes durch.

Der zweite Akt folgte im April 1964, als Gorbach auch das Kanzleramt für Klaus räumen musste. Nun sah sich SPÖ-Vizekanzler Bruno Pittermann, der die Rolle des Bremsers trickreich spielte, einem ungeduldigen neuen Regierungschef gegenüber. Klaus strotzte vor Tatendrang. Penibel führte er in Schulheften über seine Ideen und Pläne Buch.

Josef Klaus
Josef Klaus, seit 1964 Kanzler der rot-schwarzen Koalition, errang 1966 die absolute Mehrheit und konnte für vier Jahre die erste und einzige ÖVP-Alleinregierung bilden
© PICTUREDESK

Wahrscheinlich wäre sein missionarischer Eifer unbelohnt geblieben, hätte sich die Konkurrenz nicht in einer Pechsträhne verstrickt. Es ging Schlag auf Schlag: Als Otto Habsburg vom Höchstgericht die Erlaubnis erhielt, nach Österreich einzureisen, zettelte die SPÖ Streiks an. Verkehrsminister Otto Probst wollte ein Bodenseeschiff „Karl Renner“ statt „Vorarlberg“ nennen, was einen Aufstand im Ländle entfachte. Die unabhängige Presse, angeführt von Hugo Portisch (Kurier) und Fritz Csoklich (Kleine Zeitung), hatte das erfolgreiche Volksbegehren für einen vom Proporz befreiten Rundfunk initiiert und damit die Fernsehpläne der SPÖ durchkreuzt.

Die blutigste Wunde fügte sich die SPÖ aber im Machtkampf mit Franz Olah zu. Der frühere ÖGB-Präsident saß als Innenminister an einem Schalthebel der Republik, den er ohne Scheu für seine Interessen einsetzte. Zuvor schon hatte Olah mit Gewerkschaftsgeldern die Gründung der „Kronen Zeitung“ finanziert und sich ein Sprachrohr gesichert. Außerdem ließ er über Tarnadressen der FPÖ eine Millionenspende zukommen, was den Argwohn in der SPÖ nährte, Olah wolle sich an die Spitze der Partei putschen. Die Rache war brutal: Erzfeind Christian Broda ließ ein Ferngutachten über dessen Geisteszustand anfertigen. Die alten Getreuen aus der Gewerkschaft protestierten vergeblich vor der Parteizentrale. Olah wurde aus der SPÖ geworfen.

Klaus steuerte auf Neuwahlen zu. Die ÖVP ließ am 22. Oktober 1965, dem Stichtag zur Vorlage des Staatshaushalts, die Budgetverhandlungen platzen. Die Regierung trat zurück. Für den 6. März 1966 wurden vorzeitige Neuwahlen ausgeschrieben.

Das Kalkül ging auf. In der Bevölkerung wuchs der Unmut über das erstarrte Zweiparteiensystem. Die ÖVP versprach mit jungen Kräften der „Aktion 20“ frischen Wind. Die SPÖ hatte mit Pittermann einen verbrauchten Spitzenmann. Am Wahlabend triumphierte Klaus: Die ÖVP gewann vier Mandate und eroberte mit 85 Sitzen im 165-köpfigen Nationalrat die absolute Mehrheit. Die SPÖ lag mit 74 Abgeordneten um 260.000 Stimmen dahinter. Olah schaffte mit der DFP zwar nicht den Einzug ins Parlament, doch stammten seine 150.000 Stimmen großteils aus dem Lager der SPÖ.

Die Euphorie der ÖVP wurde dadurch nicht getrübt. Zwar bot Klaus der SPÖ nochmals eine Koalition an, doch waren es wohl nur Scheinverhandlungen. Die Alleinregierung lockte. Auch die SPÖ glaubte nicht mehr an einen Verbleib in der Regierung. Pittermann stellte überzogene Bedingungen, die Mehrheit in seiner Partei war für den Gang in die Opposition.

Der Kanzler der ersten einfärbigen Regierung machte sich mit Hochdruck ans Werk. An allen Schrauben sollte gleichzeitig gedreht werden, doch waren die Mühen der Ebene weit größer als gedacht. Etliche Änderungen scheiterten oder blieben Stückwerk. Manche Reform wendete sich gegen ihre Erfinder: Vom ORF profitierte der neue Oppositionsführer Bruno Kreisky, der mit Journalisten bestens umgehen konnte, nicht der medienscheue Klaus. Die Tagesarbeit wurde nur zu oft von den nicht in die Kabinettsdisziplin eingebundenen Bündeobmännern behindert. In der Finanzpolitik musste die Notbremse gezogen werden. Stephan Koren sanierte das Budget, freilich um den Preis unpopulärer Sondersteuern auf Autos und Alkohol.

Rund 600 Gesetzentwürfe hat die Regierung Klaus ins Parlament gebracht. Und doch gingen an ihr die tiefen Umwälzungen in der Gesellschaft vorbei. Die „68er-Generation“ schuf ein ganz neues Lebensgefühl, das konservative Weltbild wirkte altbacken, war plötzlich Mief von vorgestern. Der Fortschritt marschierte links, von Deutschland bis Schweden und England. Es kam, wie es kommen musste: Die ÖVP verlor am 1. März 1970 nicht nur die absolute Mehrheit, sondern wurde auch von der SPÖ überflügelt.

Sich mit der FPÖ als Nothelfer in einer Kleinen Koalition an der Macht zu halten, lehnte Klaus ab. Kreisky hatte keine Bedenken. Friedrich Peter wurde für die Duldung der Minderheitsregierung mit einem vorteilhaften Wahlrecht belohnt. Im Oktober 1971 errang die SPÖ mit 93 Mandaten die absolute Mehrheit im seither 183-köpfigen Nationalrat. Im April 1984 endete die Ära Kreisky. Nach einem rotblauen Zwischenspiel ist Ende 1986 nach 20 Jahren wieder die Große Koalition an der Reihe, allerdings unter einem roten Bundeskanzler.

Kleine Zeitung, Samstag, 5. März 2016


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