Der Konservative Reformer#
Aus Anlass des 100. Geburtstages wurde in Salzburg des Politikers Josef Klaus gedacht. Er sorgte als Kanzler für Weichenstellungen, über die dann andere in die Zukunft fuhren#
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: DIE FURCHE. (Donnerstag, 12. August 2010)
Von
Helmut Wohnout
Dem 100. Geburtstag von Josef Klaus (* 15. 8. 1910) wurde am 17. August 2010 ein Festakt in der Universitäts-Aula Salzburg gewidmet. Seine Heimatgemeinde Kötschach-Mauthen gedenkt ebenfalls des im Juli 2001, wenige Wochen nach seiner Frau Erna verstorbenen Politikers.#
Die 1960er-Jahre: Ein Jahrzehnt, das in Österreich wie überall in der westlichen Welt gekennzeichnet war von einer noch ungetrübten, ja euphorischen Fortschritts- und Technologiegläubigkeit.
Alles schien machbar, von der Atomkraft bis zur ersten Mondlandung. Eine Wohlstands und Bildungsexplosion begann sich auszubreiten. Es war auch eine Zeit, die nach einer neuen Politikergeneration rief: Der 1960 zum US-Präsidenten gewählte John F. Kennedy verkörperte diesen neuen Politikertypus wie kein anderer.
In Österreich zeigte die rot-schwarze Zusammenarbeit Verschleißerscheinungen. Bei der Nationalratswahl 1962 wurde dieÖVP von den Wählern eher als die Partei wahrgenommen, die für Modernisierung stand. Sie gewann erstmals mehr als zwei Millionen Stimmen und hatte wieder einen deutlichen Vorsprung gegenüber der SPÖ. Doch wurde die darauf folgende, fast fünf Monate dauernde Regierungsbildung zum "Verdun der Großen Koalition" (Manfried Rauchensteiner). Der Proporz erreichte seinen unrühmlichen Höhepunkt. In beiden Parteien begann man sich Gedanken über Alternativen zur rot-schwarzen Zusammenarbeit zu machen. Der Ruf nach neuen Köpfen wurde lauter. Die ÖVP verstand damals die Zeichen der Zeit. Beim Klagenfurter Parteitag im Herbst 1963 wurde Josef Klaus zum neuen Parteiobmann gewählt.
Ein Sanierer und überzeugter Europäer#
Seit Ende der 50er-Jahre galt der damalige Salzburger Landeshauptmann als der aufgehende Stern am personalpolitischen Firmament der ÖVP. Im kärntnerischen Kötschach-Mauthen geboren, war der in Salzburg als Rechtsanwalt ansässig Gewordene nach einer politischen Blitzkarriere seit 1949 Landeschef. Schon bei den Koalitionsverhandlungen 1959 mischte er bundespolitisch mit, ein Jahr später legte er beim Parteitag der ÖVP ein Aktionsprogramm mit dem vielversprechenden Titel "Österreich für Europa rüsten" vor. Als Alfons Gorbach 1961 Julius Raab als Bundeskanzler ablöste, ließ sich Klaus dazu bewegen, das Finanzministerium zu übernehmen.
Kompromisslos und ohne sich viel um innerparteiliches Anspruchsdenken zu kümmern, machte er sich an die notwendige Budgetsanierung. Bald kam es zu Spannungen mit dem auf Konsens bedachten Gorbach. Als die endlosen Regierungsverhandlungen 1962/63 immer mehr in eine Sackgasse zu führen begannen, zog Klaus die Reißleine. Noch während der laufenden Gespräche erklärte er, der künftigen Regierung nicht mehr anzugehören. Es war ein geschickter Schachzug, der sein Ansehen in breiten Kreisen in- und außerhalb der Partei beträchtlich steigerte. Beim Klagenfurter Parteitag ging er dann, unterstützt vor allem durch die westlichen Landesparteien und die Steirer, aus einer Kampfabstimmung gegenüber Heinrich Drimmel als klarer Sieger hervor, im Februar 1964 löste er Gorbach auch als Bundeskanzler ab.
Ein großer persönlicher Reformwille, der unbedingte Glaube an den Rechtsstaat und eine neue europäische Dimension der Politik wurden zu den Charakteristika der sechsjährigen Regierungszeit von Josef Klaus. Sie war vorerst von Erfolg begleitet. Denn der neue Bundeskanzler vermittelte das Gefühl, die Erstarrung der Politik, für die die Große Koalition zum Synonym geworden war, aufbrechen zu können. Dem Fortschrittsglauben der 1960er entsprechend war er überzeugt, den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt in den Gestaltungsspielraum seiner Politik der Sachlichkeit einbauen zu können. Mit der "Aktion 20" schaffte Klaus erstmals einen strukturierten Dialog zwischen Wissenschaft und Politik. Persönlich begann er, sich mit den im Entstehen begriffenen neuen Disziplinen, wie den Computerwissenschaften oder der Kybernetik, zu beschäftigen. Offen sympathisierte Klaus mit dem von den unabhängigen Tageszeitungen initiierten Volksbegehren für einen unabhängigen Rundfunk.
Vor allem profitierte er aber von den Eigenfehlern der SPÖ, angefangen vom 1964 erfolgten Parteiausschluss Franz Olahs bis zur Nichtzurückweisung einer Wahlempfehlung durch die KPÖ. Diese für Josef Klaus glücklich verlaufende erste Phase seiner Regierung mündete in den historischen Wahlsieg vom 6. März 1966: Für viele unerwartet errang die ÖVP die absolute Mehrheit, Klaus stand am Zenit seiner politischen Laufbahn.
Josef Klaus war vom europäischen Einigungsprozess als einer historischen Notwendigkeit überzeugt. So war auch sein legendärer Satz "Civis Europeus sum" zu verstehen, mit dem er 1965 seine Rede vor dem Europarat begann. Bestrebungen, näher an die EG heranzurücken oder auch eine Mitgliedschaft anzustreben, gewannen an Boden. Mit dem genannten österreichischen Alleingang nach Brüssel 1967 erreichten sie einen Höhepunkt, der jedoch mit einem Misserfolg endete. Für Klaus hatte die europäische Dimension seiner Politik allerdings mehrere Perspektiven. Schon in seiner Europaratsrede hatte er appelliert, beim Bau des Hauses Europa auf den Ostflügel nicht zu vergessen. Das war ungewohnt in einer Zeit, in der nach Berliner Mauerbau und Kubakrise der Eiserne Vorhang am undurchlässigsten war. Mit seiner aktiven Besuchsdiplomatie in die kommunistischen Nachbarländer des Ostens wollte Klaus ein bewusstes Signal setzen. Sie fand übrigens in den von Kardinal Franz König geknüpften Kontakten zu den in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkten Kirchen des Ostens eine Parallelaktion auf religionspolitischer Ebene. Bei beiden spielten Signale, die man direkt an die Bevölkerungen in den betroffenen Ländern zu senden versuchte, eine wesentliche Rolle, auch wenn sie ihre Initiativen unabhängig voneinander setzten.
Klaus schuf den ORF, Kreisky nutzte ihn#
Erfolgreich war Klaus in seiner Südtirol-Politik. Eine Verbindung zu den Südtirol-Aktivisten lehnte er ab, vielmehr begann er mit viel Geduld und Diplomatie die Beziehungen zu den Entscheidungsträgern in der regierenden Democrazia Cristiana auszubauen. Mit der Paketlösung 1968 rückte Österreich ein Stück näher an das zusammenwachsende Europa heran. Den nächsten Schritt, den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EWG, konnte Klaus als Regierungschef nur noch initiieren. Denn innenpolitisch war zu diesem Zeitpunkt schon längst vieles aus dem Ruder gelaufen. Die absolute Mehrheit hatte die ÖVP 1966 unvorbereitet getroffen. Klaus begann daher erneut, mit der SPÖ über die Fortsetzung der Großen Koalition zu verhandeln. Erst nach dem Scheitern der Gespräche bildete er eine Alleinregierung. Bei deren etwas überhasteter personeller Zusammensetzung bewies der Kanzler allerdings nicht bei allen Ressorts großes Geschick.
Immerhin übernahm mit Grete Rehor erstmals in der Geschichte Österreichs eine Frau ein Ministeramt. Der von Klaus nun mit noch größerer Intensität angeworfene Reformmotor begann bald zu stottern. Pannen und Fehlleistungen überlagerten sachpolitische Erfolge und politische Partikularinteressen erweckten bisweilen den Eindruck, es handle sich beim Kabinett Klaus weniger um eine Alleinregierung als um eine Koalition der Bünde. Postwendend bekam die ÖVP schon bei den anstehenden Regionalwahlen die Rechnung präsentiert. Hinzu kam, dass die SPÖ nach dem Anfang 1967 erfolgten Wechsel von Pittermann zu Kreisky über einen geschickt agierenden Oppositionsführer mit einem ausgeprägten medialen Kommunikationstalent verfügte. Genau das besaß Klaus nicht. Mit dem Rundfunkgesetz 1967, einer seiner großen demokratiepolitischen Errungenschaften, schuf er gegen den Widerstand der SPÖ und weiter Teile seiner eigenen Partei erstmals einen unabhängigen ORF. Kreisky wusste das neue Leitmedium Fernsehen jedoch viel geschickter zu nutzen als Klaus, der rückblickend selbst einräumte, vor der Fernsehkamera eine "lähmende Scheu" empfunden zu haben. Reformen reichten nicht für den Wahlsieg.
Immerhin erzielte die Regierung Klaus in einzelnen Bereichen bemerkenswerte Erfolge. Die Reform der Wohnbauförderung zählte genau so dazu wie die Schaffung der Voraussetzungen für eine moderne Forschungspolitik durch die Grundlegung der beiden Forschungsförderungsfonds oder neuer Universitätsstandorte.
Doch schlug gegen Ende der 1960er-Jahre das gesamtgesellschaftliche Pendel immer stärker in die linke bzw. linksliberale Richtung aus. Das Jahr 1968 wurde zum Symbol für eine neue Politisierungswelle, die die Jugend erreicht hatte. Die gesellschaftlichen Veränderungen kamen nun der Sozialdemokratie zugute und der gewiefte Taktiker Bruno Kreisky verstand es geschickt, den neuen Zeitgeist für sich zu vereinnahmen. Klaus dagegen traf nicht mehr den Nerv insbesondere der jüngeren Bevölkerung. Mit den Wahlen vom 1. März 1970 ging nicht nur die Kanzlerschaft von Klaus, sondern für drei Jahrzehnte auch die der ÖVP zu Ende. Sein charismatischer Messianismus hatte sich verbraucht und am Ende bestenfalls "redlich, korrekt und ein bisschen steif" gewirkt, wie es Ernst Hanisch formulierte. Doch auch er räumt ein, dass es eine "Reformperiode wie selten in der österreichischen Geschichte" war. Kreisky brauchte in vielem nur dort anzusetzen, wo Klaus stehen geblieben war, auch wenn seine Reformen mit einer anderen gesellschaftspolitischen Stoßrichtung versehen waren.