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Trotz und Vorurteil #

Gäbe es keine Pandemie, die Groteske um die „Isolation Tirols“ könnte unterhaltsam sein. Doch so offenbart sie schonungslos die Schwächen von Österreichs Krisenmanagement. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (11. Februar 2021)

Von

Doris Helmberger


Wer würde die jüngsten Kabalen zwischen Innsbruck und Wien um die Eindämmung der Südafrika- Mutante wohl am treffendsten in Worte fassen? Felix Mitterer, Thomas Bernhard oder Jane Austen? Dass der Tiroler Autor der „Piefkesaga“ oder der Ohlsdorfer Österreich-Begreifer die Vorgänge adäquat zur Sprache bringen könnten, daran besteht kein Zweifel. Aber Austen, die 1775 in Hampshire geborene Pfarrerstochter? Der Habitus von Tiroler „Abwehrkämpfern“ gegen Wiener „Rülpser“ ist ihr wohl fremd, nicht aber so manche Emotion, die dahintersteckt: gekränkter Stolz, Trotz und jede Menge Vorurteile.

„Ischgl“: So heißt im Falle Tirols die ultimative Kränkung. Wie viel eigene Schuld und wie viel Unglück auch vor einem Jahr dazu geführt haben – diese Schande wird das stolze Tourismusland so schnell nicht los. Marketing und markige Sprüche helfen hier nicht. Nur ernsthafte Vertrauensarbeit. Doch die Tiroler Landespolitik mit Günther Platter an der Spitze wählte vorerst einen anderen Weg: jenen in die Wagenburg. Statt seinen Landsleuten – nicht nur im Interesse ganz Europas, sondern vor allem auch im eigenen – die Dringlichkeit schneller, harter Maßnahmen gegen die gefährlichere und möglicherweise Impfstoffresistente Mutante klarzumachen, wählte man die Trotzreaktion gegen Wien. Ein deutlich populärerer, aber in der Krise unverantwortlicher Schritt. So getrieben Platter von seinen „Adlern“ schien, so getrieben agierte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Vorbei das kolportierte Durchgriffsrecht bis in die kleinste türkis-schwarze Bastion. Übrig blieb der Gesundheitsminister – ohne Rückendeckung des Kanzlers und mit Scheu vor der eigenen möglichen Courage. Stichwort Pandemiegesetz.

Selbst ruiniertes Image #

Und nun? Zwar wurde die Rhetorik wieder zivilisiert und mit verpflichtenden Ausreisetests an den Tiroler Grenzen ein Kompromiss erzielt, mit dem alle gesichtswahrend leben können. Dennoch ist der Schaden groß. Gelitten hat nicht nur das bereits angekratzte Image Tirols als vertrauenswürdiges Tourismusziel, sondern auch das Vertrauen in die Krisenfestigkeit des föderalen politischen Systems. Von den Landeshauptleuten naturgemäß gepriesen, zeigte es schon bei der Ampel-Debatte und neun unterschiedlichen Impf-Prioritäten Schwächen. Die Causa Tirol hat nun die Grenzen des (an sich wichtigen) Subsidiaritätsprinzips in Krisenzeiten schonungslos offengelegt. Landeskaiser, die unangenehme, aber essenzielle Entscheidungen auf Druck lokaler Größen torpedieren und alte Freund-Feind- Schemata pflegen? Unmöglich.

Angesichts einer Mutation, die alles mühsam Erreichte und alle ersehnten Perspektiven durch die Impfung wieder zunichtemachen könnte, braucht es Solidarität statt Rivalität zwischen den Bundesländern, vorausschauende Maßnahmen der Regierung – und endlich einen zentral verantwortlichen Seuchenmanager, wie Expertinnen und Experten betonen. Schon die (psychologisch wichtigen) Schulöffnungen dieser Woche sind angesichts der neuen viralen Antreiber ein „Spiel mit dem Feuer“, wie es heißt. Bereits jetzt gebe es eine latente dritte Welle – spätestens Anfang März droht sie die kleinen Freiheiten wieder wegzuspülen. Das Virus kümmert sich nicht um politische Paktierungen oder trotzig kultivierte Vorurteile; es kommt mit dem Auto oder mit dem Flugzeug aus Südafrika, wie es ihm gefällt. Nur rasches, gemeinsames und solidarisches Handeln hilft. So viel sollte man aus der Causa Tirol gelernt haben – in Innsbruck, in Wien und hoffentlich auch in Brüssel. „Dies Oesterreich ist eine kleine Welt, / In der die große ihre Probe hält“, schrieb Friedrich Hebbel einst. Man kann nur hoffen, dass er sich diesmal irrt.

Die Furche, 11. Februar 2021


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