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Die Nachtseite der Demokratie #

Die Geschichte der modernen Demokratie hat eine Tag- und eine Nachtseite, meint Achille Mbembe, und letztere kann man auch heute sehen, wenn man will. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 1. Februar 2018

Von

Brigitte Schwens-Harrant


Parlament
Parlament, © Ewald Judt, unter CC BY-SA 4.0

Moderne Demokratien bemühen sich um Frieden, sie beherrschen Gewalt und Aggression durch allseits akzeptierte Rituale, sie kümmern sich darum, dass es möglichst allen gut geht. Soweit die landläufige Auffassung, an die man allzu gerne glaubt. Vor allem, wenn sie für einen selbst stimmt. Wenn man das Glück hat, in Frieden aufwachsen und wählen zu dürfen, Rechte zu haben, durch Gesetze vor Willkür anderer geschützt zu sein und eine Heimat zu haben, die zu verlassen keine zwingenden äußeren Gründe vorliegen. Zurecht gilt es diese Gesellschaftsform zu verteidigen und nicht nur durch die Teilnahme an Wahlen zu stützen.

Doch die Vorstellung, dass „das Leben in Demokratien grundlegend friedlich, geordnet und frei von Gewalt“ sei, „vermag einer Überprüfung kaum standzuhalten“, meint der Historiker und Philosoph Achille Mbembe. Auch Demokratien tolerierten von Anfang an gewisse Formen politischer Gewalt. Allerdings sind diese nicht unbedingt sichtbar: etwa weil sie die Anderen betreffen. Denn neben jenen, die von den süßen Früchten der Demokratie naschen können, gibt es auch jene, für die diese Früchte nicht vorgesehen sind.

Um Ausgeblendetes sehen zu können, hilft es die Wahrnehmung zu ändern. Diese ist für Europäer heute immer noch europazentriert, eingeschult in europäischer Geschichte, viel zu selten in Perspektiven von außerhalb der sogenannten westlichen Welt. Eine solche bringt seit Jahren der kamerunische Historiker Achille Mbembe ein, dessen Werke auf Deutsch erscheinen. In seinem mäandernden Essay „Politik der Feindschaft“, für den er vor allem die Werke des französischen Psychiaters Frantz Fanon wiederliest, blickt Mbembe auf die „Nachtseite“ der Demokratie.

Tag- und Nachtseite #

Das Beispiel demokratischer Sklavenstaat etwa zeigt, dass sich eine Gesellschaft einerseits in Richtung Frieden und Gemeinschaft von „Gleichen“ entwickeln konnte, dass es aber parallel dazu immer auch Nichtgleiche, „Menschen ohne Teilhabe“ gab, also einen rechtsfreien Raum, „in dem man den schlimmsten Grausamkeiten freien Lauf lässt, ob es sich nun um körperliche Übergriffe, Folter oder summarische Hinrichtungen handelt“. Rassismus lieferte die Begründungen dafür, die Plantage zum Beispiel den Ort.

„Die Geschichte der modernen Demokratie hat zwei Gesichter oder zwei Seiten – eine Tag- und eine Nachtseite. Kolonialreich und Sklavenstaat […] sind die wichtigsten Sinnbilder der Nachtseite“, schreibt Mbembe und überlegt: Vielleicht war es immer schon so, dass demokratische Gemeinschaften nur Gemeinschaften von Gleichartigen und per se auf Trennung ausgerichtet waren. Vielleicht hatte eine friedliche Gemeinschaft immer schon irgendwo sichtbar oder unsichtbar ihre Sklaven oder die Fremden ausgestoßen, jene Menschengruppen, die keinen Anspruch auf die Rechte hatten, denen das Menschsein in dieser Hinsicht abgesprochen wurde und die womöglich dann sogar als überflüssig bezeichnet wurden. Das Prinzip dieser Trennung wird durch das Fabrizieren von bedrohlichen Schreckgespenstern ständig mit Nahrung versorgt. Der Blick auf das gegenwärtige Europa zeigt, dass Mbembe mit seiner Einschätzung nicht falsch liegt. Täglich werden wir Zeugen, wie schwierig es ist, so etwas wie eine gemeinsame „Menschheitsdemokratie“ Staatsgrenzen überschreitend zumindest für Europa zu denken, wie viel leichter es hingegen Politikern fällt, für die Demokratien kleinerer Einheiten, also für einzelne Staaten, einzutreten. Und zwar gerade, indem man sie von den Anderen trennt. Nach dem Motto: Wir kämpfen für euch!

Prinzip der Trennung #

Das Prinzip der Trennung, das in der europäischen Geschichte in Kolonien und Plantagen besonders sichtbar ist, nimmt auch im Lager Gestalt an. „Lager für Flüchtlinge, Vertriebene, Migranten, Ausländer, Wartezonen für Antragsteller, Transitzonen, Abschiebehaft, Identifizierungs- und Abschiebezentren, Aufnahmelager für Asylbewerber, Auffanglager, Flüchtlingsdörfer, Dörfer für die Integration von Migranten, Gettos, Dschungel, Asylantenheime, die Liste wird immer länger […] Das Lager, so muss man sagen, ist zu einem strukturierenden Bestandteil des globalen Lebens geworden“. Es wird nicht als Skandal empfunden, sondern als Lösung. Als Lösung, die es ermöglicht, Störendes auf Distanz zu halten. Das ist der Skandal.

Dass Blut und Abstammung unsere Zuordnung von Menschen prägen, wie Achille Mbembe behauptet, das möchte man – gerade hierzulande und angesichts unserer Geschichte – gerne sofort empört von sich weisen. Und doch werden Herkunft und Zugehörigkeit zunehmend Thema von Wahlkämpfen, Sondierungsgesprächen und Regierungsprogrammen, wird die Frage gestellt, wie man jene, „die nicht zu uns gehören“, auf ihren Platz verweisen oder aus dem Land schaffen kann, begründet mit der Notwendigkeit von Sicherheit. Aber Sicherheit kann man nicht herstellen, indem „man Chaos und Tod in die Ferne zu den Anderen auslagert“, so Mbembe. „Sicherheit kann nur auf Gegenseitigkeit beruhen. Dazu ist es nötig, Demokratie jenseits des Nebeneinanders von Singularitäten und jenseits einer simplifizierenden Integrationsideologie zu denken.“

Diese Welt ist nun einmal die einzige, die wir haben. Sie muss von allen geteilt werden, zeigt sich Mbembe überzeugt, gibt sich aber in seinem Essay, was die gegenwärtigen Entwicklungen betrifft („eine Zeit der paranoiden Dispositionen, der hysterischen Gewalt“), eher pessimistisch. Fragen wie diese aber sollte man verantwortlichen Politikern gleich welcher Couleur ins Stammbuch schreiben: „Wie kann man unter den heutigen Bedingungen die Entstehung eines Denkens fördern, das weltweit zur Stärkung demokratischer Politik beitragen könnte, eines Denkens, das eher auf gegenseitige Ergänzung als auf Unterschiede ausgerichtet ist?“

Buchcover

Politik der Feindschaft

Von Achille Mbembe

Aus dem Franz. von Michael Bischoff

Suhrkamp 2017

234 S., geb.,

€28,80

DIE FURCHE, 1. Februar 2018