Polizeiliches Kesseltreiben #
Samthandschuhe im Umgang mit Corona-Demos, absolute Härte gegen linke Kundgebungen – Österreichs Polizei gibt derzeit ein eher unrundes Bild ab. Vor allem die Handhabe von Corona-Demos sorgte für Wirbel, auch innerhalb des Innenministeriums. #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (4. Februar 2021)
Von
Stefan Schocher
Aufsicht, duldsam. Bei der ersten Anti-Corona- Großdemonstration übte sich die Polizei in nobler Zurückhaltung anstatt zu strafen. Ein rechtes blindes Auge des Gesetzes? Foto: picturedesk.com / Karl Schöndorfer
Die Maske hat er am Kinn, das rot-weiß-rote Fähnchen steht aus der Manteltasche. Im Hintergrund zieht gerade eine Menschenmenge über die Mariahilferstraße. „Kurz muss weg“ und „Wir sind das Volk“ brüllen sie. Einen Spaziergang nennen es manche. Eine Wallfahrt andere. Nichts anderes als eine Demo ist es. Eine, die an sich untersagt worden war.
Der Herr mit dem Fähnchen in der Manteltasche also, der geht auf einen in einer Seitengasse stehenden Polizisten zu, bleibt vor ihm stehen, beugt sich auf eine Unterarmlänge an den Beamten heran und brüllt jovial: „Oba ia sads jo ah fia uns. Wiaso wechselts ned de Seitn?“ Schweigen beim uniformierten Gegenüber. Schweigen auch bei dem Herrn mit dem Fähnchen in der Manteltasche.
Währenddessen sind auf der Ringstraße rund 1000 „Spaziergänger“ eingekesselt – aber immer wieder ziehen Grüppchen vom Ring aus in die umliegenden Bezirke. Begleitet von Polizeieinheiten. Das Katz-und-Maus-Spiel zieht sich bis in den Abend. Zwischenzeitlich versuchen einige aus der nicht genehmigten Demo heraus auch das Parlament zu stürmen – nach amerikanischem Vorbild. Alle sind sie da: QAnon-Verschwörer, Esos, singende „Jesus loves you“-Gruppen, Rocker, Hooligans, Neonazis, Wutbürger, die der Fahne nach zu schließen mehr blau als rot-weiß-rot sind, Familien mit Kindern in Tarnfleck.
Demo-Sonntag in Wien also: 1800 Anzeigen, elf Festnahmen. Vor allem aber auch eines: Aufseiten der Demonstranten – großteils Demo-Novizen – sehr viel Unmut über das ihrer Ansicht nach viel zu harte Vorgehen der Polizei. „Zeitweise hat die Polizei absichtlich Leute eingekesselt und brutal abgeführt“, wundert sich da ein im Polizeikessel feststeckender Protagonist der Szene. Er hält Chemtrails für ebenso real wie den Plan, das Bargeld abzuschaffen und die Gedankenkontrolle über 5G-Masten. Seine politische Analyse an diesem Tag: „Es ist noch keine Diktatur, aber viel fehlt nicht mehr.“ Andere sehen Österreich bereits in einer Liste mit Belarus, Russland, Nordkorea. Und wiederum anderen brennt vor allem eine Frage unter den grell lackierten Nägeln: „Wieso haben die Politiker denn alle perfekte Frisuren, während die Friseurläden geschlossen sind?“
Linke eingekreist #
Zwei Wochen zuvor war der verwunderte Wiener im Polizeikessel noch ganz beseelt gewesen: Da war es eine linke Gegendemo gewesen, die isoliert wurde – während der Haupttross der Querdenker mit rund 10.000 Menschen unbehelligt über die Ringstraße zog. Vorneweg ein Polizeibus mit Hinweis auf die geltenden Abstands- und Mund-Nasen-Schutz-Regeln. Dahinter: Dichtes Gedränge ohne Maske. Die Beamten ließen die Menge feiern. Und die Menge feierte die Beamten.
Das, während Journalisten, wie auch am vergangenen Sonntag, aus der Demo heraus zum Teil direkt attackiert wurden, während sich bewaffnete Hooligans und Extremisten unter die Menge gemischt hatten. Und das, nachdem in einschlägigen Internetforen vor der Demo am 16. Jänner offen zum Sturm auf staatliche Einrichtungen, das Parlament, zum Sturz der Regierung und zu einem Bürgerkrieg gerufen worden war. Wie es besagter Wutbürger in einem Video vorab nannte: „Zu demonstrieren wird nicht genug sein.“
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sprach von staatsfeindlichen Aktivitäten innerhalb der Szene. Den Kundgebungen angeschlossen hatten sich amtsbekannte Rechtsextremisten unterschiedlicher Ausrichtung. Für den Ablauf der Demo gab es dann aber nur zwei Erklärungen: Entweder es wurden Vorgaben aus dem Ministerium einfach ignoriert – oder die Exekutive war nicht in der Lage, sie umzusetzen. Denn an sich hatte das Innenministerium zuvor klare Weisungen ausgegeben: Kontrolle des Zustroms zu der Demo, Personenkontrollen, strikte Ahndung von Verstößen gegen Abstands- und die Mund-Nasen-Schutz-Regeln.
Nach der Kundgebung gab es vonseiten der Demo-Initiatoren ein großes Danke an die Exekutive. Im Innenministerium war Feuer am Dach. Und dem interessierten Zaungast drängte sich die Frage auf: Wo steht eigentlich die Polizei? Der Einsatz wurde evaluiert und selbst Wiens bekennend weit rechts stehender Polizeipräsident Gerhard Pürstl zeigte sich selbstkritisch. Eine der brennenden Fragen aber war vor allem auch, ob manche Beamte nicht der Querdenker-Szene zu nahe stehen. So fällt etwa ein führender Einsatzleiter seit Monaten durch große persönliche wie auch ideologische Nähe zu der Szene auf. Schließlich hatte auch die freiheitliche Polizeigewerkschaft AUF mit den Querdenkern offen Sympathie gezeigt. Und nun ist auch die FPÖ in den Ring gestiegen. Sie steht hinter einer der Kundgebungen am Sonntag. Klubobmann und Ex-Innenminister Herbert Kickl selbst wollte bei der Demo auftreten.
Die FPÖ stelle sich offensichtlich „bewusst hinter Neonazis“, so Innenminister Karl Nehammer am Sonntag. Ein verheerendes Bild habe sich gezeigt. Zugleich aber hagelt es Streicheleinheiten für die Exekutive. „Für Polizisten und Polizistinnen gibt es kein Home-Office“, so Nehammer am Dienstag. Bereits am Sonntag hatte er die Arbeit der Polizei ausdrücklich gelobt. Ein Friedensschluss.
Offene Baustellen #
Denn an offenen Baustellen mangelt es im Innenministerium nicht: Da ist vor allem das Gemurkse um das BVT, da sind die haarsträubenden Ermittlungspannen rund um den Terroranschlag in Wien sowie das geplante Attentat auf die Grün-Politikerin Berivan Aslan und die Abschiebung des Hauptverdächtigen. Und dann sind da vor allem auch die jüngsten Entwicklungen auf den Straßen: Demos der Querdenker, die die Exekutive eher mit Samthandschuhen anzufassen scheint, während Schülerproteste gegen die Abschiebung jugendlicher Mädchen nach Georgien und Armenien mit Hundestaffeln aufgelöst wurden. Seitens des Ministeriums wollte man zur Handhabe von Kundgebungen und möglichen Brüchen zwischen Polizei und Ministerium nichts sagen.
Der Dank der Querdenker an die Polizei aber, der hing am Sonntag an einer Szene: Auf Videos ist zu sehen, wie Beamte mit abgenommenem Helmen lose gruppiert vor und rund um einen von der Hauptversammlung abgespaltenen Demozug marschieren. Der, der das filmt, deutet das als Sieg: „Die Polizei marschiert mit dem Volk.“
Kurz davor auf dem Ballhausplatz. Auf die Frage, wie er denn die Lage einschätze, antwortet ein junger Beamter, der gerade Protektoren anlegt mit einer Gegenfrage: „Was wolln's denn hören? Meine private Meinung oder meine dienstliche?“ Die private ist: „Die Leute haben's satt – und ich versteh es.“ Bei der dienstlichen wird der Beamte vage: „Das sind zu viele Menschen, darunter viele Kinder, was soll man da tun?“
Ein Sprecher der Polizei zur Lage am Sonntag: „Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.“ Mit diesen „Eventualitäten“ hat der Beamte in der Mariahilferstraße zu ringen: Auf der Straße vor ihm der Demozug. Und vor seiner Nase: der beharrlich nach Verbrüderung lechzende Mann mit dem Fähnchen in der Manteltasche. „Ia sads jo a des Volk – wie mia“, sagt er schließlich in beleidigtem Ton. Weiter Schweigen. Dann ein für den Beamten rettender Funkspruch. Alle gehen ihrer Wege. Der Beamte wortlos. Der Mann murmelt zum Abschied leise: „Oaschloch.“