Gekommen, um zu bleiben#
Zehntausende Ukrainer müssen sich in Österreich ein neues Leben aufbauen - meist nicht freiwillig.#
Von der Wiener Zeitung (22. Februar 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Vilja Schiretz
Die meisten wollten schnell wieder nach Hause. Als in den ersten Tagen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine erste Geflüchtete mit Sonderzügen am Wiener Hauptbahnhof ankamen und sich, beladen mit Rollkoffern, Rucksäcken und Katzenkörben, um die Informationsstände der Caritas drängten, plante kaum jemand, Österreich längerfristig zu seiner Heimat zu machen.
Trotzdem wurden die Neuankömmlinge in den ersten Wochen nach Kriegsausbruch herzlich empfangen. In vielen österreichischen Städten wurden Ankunftszentren errichtet, um die Geflüchteten mit dem Nötigsten zu versorgen, sie zu registrieren und an Quartiere zu vermitteln. Die Bundesländer riefen Privatpersonen auf, Wohnraum für die Vertriebenen zur Verfügung zu stellen, Tausende folgten dem Appell.
Im ausverkauften Ernst-Happel-Stadion bekundeten heimische Musikgrößen wie Wanda und Bilderbuch gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen ihre Solidarität mit der Ukraine und sammelten Spenden für "Nachbar in Not", die auch jenen Menschen zugutekamen, die im kriegsgeplagten Land in Osteuropa geblieben waren.
Gespendet wurde auch abseits solcher Benefizveranstaltungen fleißig: Fast 42 Millionen Euro kamen laut "Nachbar in Not" in den ersten beiden Monaten des Krieges zusammen, die Bundesregierung verdoppelte diese Spenden mit Geldern aus dem Auslandskatastrophenfonds. Der erfolgreichste Start einer Hilfsaktion in der 30-jährigen Geschichte von "Nachbar in Not", betont eine Sprecherin. Zahlreiche Initiativen sammelten außerdem Sachspenden.
Noch 200 bis 300 Ankünfte pro Woche#
Ein Jahr später ist es ruhiger um die ukrainischen Vertriebenen, ihre Präsenz in Österreich zur Normalität geworden. Infopoints an Bahnhöfen werden kaum noch benötigt, viele der Ankunftszentren haben ihre Pforten wieder geschlossen. Gespendet wird zwar immer noch, aber nicht mehr im gleichen Ausmaß wie im Frühjahr 2022. Gut 12 Millionen Euro waren es zwischen Mai 2022 und Februar 2023.
Die Zahl der Neuankömmlinge ist seit dem Frühling stark zurückgegangen, stagniert laut dem Innenministerium seit längerer Zeit bei etwa 200 bis 300 Einreisen pro Woche, wobei rund 80 Prozent in andere europäische Länder weiterreisen.
Trotzdem leben heute zehntausende Vertriebene in Österreich. Von insgesamt über 91.000 seit 24. Februar 2022 registrierten Ukrainern dürften zwar zahlreiche in ihr Heimatland zurückgekehrt sein, immerhin rund 54.600 befinden sich aber nach wie vor in der Grundversorgung. Über diese eigentlich für Asylwerber vorgesehene Schiene werden all jene Ukrainer versorgt, die wegen fehlender finanzieller Mittel als hilfsbedürftig gelten oder deren Einkommen unterhalb einer bestimmten Zuverdienstgrenze liegt.
Durch die Massenzustromrichtlinie, die die EU-Kommission kurz nach Kriegsausbruch erstmals in Kraft setzte, wird es Ukrainern deutlich leichter gemacht, in Österreich Fuß zu fassen, als Geflüchteten aus anderen Regionen der Welt. Ein zeitlich befristetes Bleiberecht für Ukrainer galt ursprünglich für ein Jahr, wurde in Österreich aber bereits bis März 2024 verlängert. Ein spezieller EU-weiter Vertriebenenstatus erlaubt ihnen nicht nur, ihren Wohnort frei zu wählen, sondern gewährt auch Zugang zum Bildungssystem und zum Arbeitsmarkt, einem langwierigen Asylverfahren müssen sie sich dafür nicht stellen. Im Laufe des Jahres erhielten Ukrainerinnen und Ukrainer außerdem Zugang zu Sozialleistungen wie der Familienbeihilfe, die Asylwerbern nicht gewährt werden.
Keinen Anspruch haben die Vertriebenen dagegen auf Sozialhilfe, auch wenn AMS-Chef Kopf, Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) im November laut über diese Möglichkeit nachdachten. Den Ukrainerinnen und Ukrainern Zugang zur Sozialhilfe zu ermöglichen, sei Rauch ein Anliegen, heißt es auf Nachfrage aus seinem Ministerium, es würden derzeit Gespräche darüber mit dem Koalitionspartner laufen. Konkreteres gibt es allerdings noch nicht.
Weitere Erleichterungen am Arbeitsmarkt geplant#
Dafür kündigte Arbeitsminister Martin Kocher Anfang Februar weitere Erleichterungen für Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt an. Bisher müssen Arbeitgeber, die Vertriebene anstellen wollen, eine Beschäftigungsbewilligung einholen, außerdem dürfen Ukrainer nicht bei Arbeitskräfteüberlassern angestellt werden, die ihre Beschäftigten anderen Arbeitgebern zur Verfügung stellen (Leiharbeit).
Künftig soll sich das ändern, Ukrainer sollen Österreichern und EU-Bürgern am Arbeitsmarkt gleichgestellt werden. Damit dürften sie ohne Bewilligung jeden Job in Österreich annehmen, sobald sie über einen Vertriebenenausweis ("Blaue Karte") verfügen. Noch, betont das AMS, gelten allerdings die bisherigen Regeln.
Mehr Ukrainer in Beschäftigung zu bringen, ist gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein erklärtes Ziel: 12.237 Beschäftigungsbewilligungen für ukrainische Geflüchtete wurden bis Jänner ausgestellt, 8.262 Geflüchtete gehen einer Beschäftigung nach, 7.565 sind beim AMS vorgemerkt. Die meisten sind Frauen. Mit Abstand die meisten Ukrainerinnen arbeiten im Bereich Beherbergung und Gastronomie, dahinter folgen die Herstellung von Waren sowie der Handel. Doch mangelnde Deutschkenntnisse und fehlende Kinderbetreuung würden es Ukrainerinnen nicht immer einfach machen, auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, heißt es vom AMS.
Ukrainische Schüler laut Polaschek gut integriert#
Etwa ein Drittel der in Österreich registrierten Ukrainer ist laut dem Innenministerium minderjährig, rund 13.000 ukrainische Kinder und Jugendliche gehen in Österreich in die Schule. Die Integration der neuen Schüler funktioniere gut, betonte Bildungsminister Martin Polaschek kürzlich in einer Aussendung. Pädagogen sehen das aber offenbar anders: In einer Befragung, die der Österreichische Bundesverlag (ÖBV) unter 318 Lehrkräften durchführte, gaben fast drei Viertel an, das österreichische Schulsystem habe diese Herausforderung bisher nicht gut gemeistert. Es fehle vor allem an Personal, Unterrichtsmaterialen, Sprachkursen sowie psychologischer Unterstützung, um die ukrainischen Schüler zu unterstützen. Außerdem dürften nach wie vor viele Kinder und Jugendliche am Online-Unterricht ihrer ukrainischen Schulen teilnehmen, zitiert der ÖBV den Bildungskoordinator der Bundesregierung, Daniel Landau. Das sei verständlich, stelle aber eine Zusatzbelastung dar und erschwere die Integration in österreichischen Schulen.
Doch auch in Österreich werden die Kinder und Jugendliche zum Teil von ihren Landsleuten unterrichtet: Mehr als 200 ukrainische Lehrkräfte sind immerhin bereits an Österreichs Schulen beschäftigt.
Eine Herausforderung ist auch die Unterbringung der ukrainischen Geflüchteten. Der Großteil der Vertriebenen in Grundversorgung ist nach wie vor in Unterkünften untergebracht, die Privatpersonen seit Kriegsbeginn zur Verfügung gestellt haben. Wohnten allerdings Anfang Juli noch 78 Prozent privat, war dieser Anteil im Februar auf 71 Prozent gesunken. Teuerung belastet auch Quartiergeber
Denn steigende Preise für Wohnraum, Energie und Lebensmittel machen die Unterbringung von Geflüchteten auch zu einer Kostenfrage. Seit Monaten werden deshalb finanzielle Entlastungsmaßnahmen für private Quartiergeber gefordert, eine Umsetzung dürfte nun bevorstehen. Georg Bürstmayr, Sprecher für Asylpolitik der Grünen, stellte Anfang Februar einen Teuerungsausgleich in Form einer Einmalzahlung in Aussicht, den die Länder an Quartiergeber ausbezahlen können und vom Bund ersetzt bekommen sollen. Mit einem Beschluss im Nationalrat rechnen die Koalitionsparteien im April. So soll verhindert werden, dass weitere private Quartierplätze verloren gehen, während der Druck auf organisierte, ohnehin schon überfüllte Flüchtlingsunterkünfte steigt.
Denn viele Zimmer und Wohnungen wurden ursprünglich auch nur zeitlich befristet zur Verfügung gestellt, Quartiergeber rechneten nicht damit, dass die Geflüchteten auch noch ein Jahr später in Österreich ein Dach über dem Kopf benötigen würden. Viele der Vertriebenen, die so schnell wie möglich wieder nach Hause wollten, auch nicht.