Die Vielfalt der visuellen Stimme#
Eine Briefmarke als gestalterische Liebeserklärung an Europa: Elvira Barriga inszenierte die "Vielfalt in der Einheit". Und gewann den Ideenwettbewerb "Wertzeichen Europa".#
Mit freundlicher Genehmugung übernommen aus: Die Presse (Sonntag, 27. Jänner 2013)
von
Norbert Philipp
Das sind wahre Werte: Für 70 Cent schickt man Briefe kreuz und quer durch Europa. Bei anderen „Werten“ weiß man nicht so schnell, was man dafür bekommt, außer so etwas wie ein „geeintes Europa“. Werte sind oft unsichtbar oder gehen verschütt unter großen Brocken wie Wirtschafts- und Identitätskrisen.
Der Ideenwettbewerb „Wertzeichen Europa“, dotiert mit 5000 Euro, hat Designer aufgerufen, europäische Werte aufzuspüren, neu zu lesen und zu visualisieren. „Die Presse“ hat gemeinsam mit der Österreichischen Post den Wettbewerb initiiert, konzipiert und betreut wurde er vom Büro „Liquid Frontiers“. „20 Gründe, Europa zu lieben“ – so der Untertitel – wurden von österreichischen Designern gesucht. Und 20-mal auf der „Freiraum“-Seite in der „Presse am Sonntag“ gezeigt.
Fernbeziehung. #
Die Gestalterin der Gewinnermarke liebt aus der Ferne. Weil sie in Toronto lebt. Was Elvira Barriga von weit, weit weg trotzdem deutlich erkennen kann, ist die „Vielfalt in der Einheit“, die sie in bildhafte Typografie umgesetzt hat. Die Jury, in der auch Post-Vorstand Georg Pölzl und etwa Typograf Fons Hickmann saßen, hatte einiges zu loben: „Klare Botschaft, präzise Umsetzung, positiv, lebendig, lesbar, aber nicht plakativ.“ Nun dürfen die Briefe quer durch Europa diese Inhalte und ihren Ausdruck verbreiten: Der Entwurf wird im Rahmen des Sondermarkenprogramms der Österreichischen Post AG realisiert.
Auf engstem Raum, so groß wie eine Briefmarke, machte Barriga klar, was sie besonders schätzt an Europa: „Die vibrierende Vielfalt auf engstem Raum, die historisch gewachsen und verwurzelt ist.“ Und die auch von Toronto aus deutlich erkennbar bleibt. „Mit dem Fernglas von Nordamerika sieht man den Reichtum an kulturellem Leben und die Erlebnismöglichkeit auf so engem, dichtem Raum. Kulturelle Eigenheiten und gesellschaftliche Ausdrucksformen im ganzen Spektrum – Politik, Kunst, Architektur, Sprachen, Traditionen, Essen, privates und öffentliches Leben. Dieses dichte Nebeneinander ist nur möglich auf der Basis von übergreifenden, vereinenden Rechten, Werten und Freiheiten. Vielfalt in der Einheit. Einheit in der Vielfalt.“
Eine Botschaft, die auch in der Jurybegründung nachhallt. Anita Kern, Grafikdesignerin, Kulturwissenschaftlerin und ebenfalls Jurymitglied, streicht die exzellente Umsetzung heraus: „Die Collage von vielerlei Farben, Schriften und Formensprachen auf so kleiner Fläche ist ein mutiger Ansatz.“ Die Botschaft werde dabei auf zwei Ebenen visualisiert: einerseits typografisch, andererseits durch die „vielschichtige Gestaltung. Und: Der Inhalt sei auch ein bisschen verschlüsselt. „Durch den bildhaften Einsatz der Buchstaben ist der Spruch wie ein Rätsel versteckt, nicht gleich sichtbar“, sagt Kern. Zudem sei der „Entwurf eigenständig, folgt keiner Mode“. Das mache ihn sympathisch. Auf dem winzigen Terrain einer Briefmarke dürfen sich ganze kulturgeschichtliche Ansätze austoben: „Die bildhafte Typografie enthält in sich eine kleine Schriftgeschichte, von karolingischen Minuskeln über römische Capitalis bis zur konstruierten Groteskschrift der Moderne“, erklärt Kern. Verschiedene Ansätze gingen dem Gewinnerentwurf voraus, erzählt Barriga: „Schließlich empfand ich die typografische Umsetzung als die überzeugendste, sie fühlte sich im visuellen Ausdruck sehr persönlich und authentisch an.“
Europa lieben, das fällt Barriga nicht schwer. Die Distanz könnte dazu natürlich auch etwas beitragen: „Es liebt sich gut aus der Ferne. Erinnerungen sind ja auch oft schmeichelhafter als der Alltag.“ Doch europäische Qualitäten stehen für sie außer Frage: „Meinem Erleben nach sind soziales Bewusstsein und humanistische Grundgedanken in europäischen Gesellschaften tief greifender und breiter verankert.“ In Nordamerika, meint Barriga, werde das Erfolgsstreben, der Wettbewerb und das Konkurrenzdenken„viel expressiver gelebt“.
Sichtwechsel. #
Der Lebensmittelpunkt hat sich für Barriga nach Kanada verschoben. „Weil ich Europa nicht mehr von innen erlebe, betrachte ich das Europäische jetzt viel übergreifender, ganzheitlich und natürlich in Relation zu meiner Realität in Nordamerika“. Elvira Barriga wollte nicht unbedingt Designerin werden. Aber der Zufall wollte es. Die Umstände, die Lust an der Reise ins Ungewisse, die zunächst aus Österreich nach Berlin führten. Dort war sie Partnerin bei „Blotto Design“. Elf Jahre später arbeitete sie als freie Art-Direktorin für „Meiré und Meiré“. Der Wunsch nach großen Herausforderungen wuchs. Und nach „komplexeren Fragestellungen mit einem größeren Bedeutungsrahmen“. Sie hatte keine Lust mehr, „in der Dimension von Plakaten und Flyern zu denken“. 2011 bewarb sie sich in New York. Bruce Mau Design schlug zu und „leitete mich sehr charmant nach Toronto“.