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Das Antlitz Christi #

Von

Andreas Resch

In dem kleinen Städtchen Manoppello in der Nähe von Pescara in Italien befindet sich das Heiligtum des Volto Santo (Das Heilige Antlitz), ein Schleier, der seit dem Jahr 1646 in der Kapuzinerkirche Santuario del Volto Santo aufbewahrt wird. Neueste Erkenntnisse sprechen dafür, dass es sich dabei um die beim Abbruch der alten Peterskirche aus Rom verschwundene Veronika, das wahre Bild Christi, handelt.

Reise des Schleiers

Bekanntlich ist das Bemühen, das wahre Antlitz Christi abzubilden, seit den ersten Christusdarstellungen in den Katakomben ungebrochen. Doch sind von den vielen Abbildungen nach dem heutigen Kenntnisstand bezüglich des möglichen Aussehens Christi nur jene beachtenswert, die sich am Antlitz des Grabtuches von Turin und am Volto Santo von Manoppello orientieren. Im Gegensatz zum Grabtuch ist das Volto Santo allerdings noch weitgehend unbekannt.

Dies hat seine besonderen Gründe. Bis vor kurzem wusste man nämlich noch nicht, dass es sich bei diesem Antlitz um das aus Rom verschwundene Schweißtuch der Veronika handelt, wie man dort das "nicht von Menschenhand gemachte" Christusbild nannte. Der Name "Veronika" entstand aus dem griechischen Wort eikon (Bild) und dem lateinischen Adjektiv vera (wahr), also das "wahre Bild". Dieses Bild gelangte von Jerusalem über Kamulia in der heutigen Türkei im Jahre 574 nach Konstantinopel und von dort 705 nach Rom, wo es in der von Papst Johannes VII. (705.707) erbauten Kapelle verwahrt wurde.

Bemerkenswert ist, dass der Schleier von Manoppello einzigartig zu sein scheint; die Kunstgeschichte kennt kein gleichartiges Bildnis. Es wirkt auf den ersten Blick gemalt, erscheint jedoch bei wechselndem Lichteinfall plastisch und lebendig. Der feine, durchsichtige Schleier von 24 cm Höhe und 17,5 cm Breite zeigt das Abbild eines männlichen Antlitzes, das wie ein Dia von der Vorder- und Rückseite betrachtet werden kann (Abb. Schleiervorderseite), und befindet sich zwischen zwei umrahmten Glasplatten, eingebaut in ein Reliquiar in der Form einer Monstranz auf dem Altar der Kapuzinerkirche. Bei dem Trägermaterial handelt es sich dem Augenschein nach um ein hauchzartes Tuch aus Byssus, auch Muschelseide genannt, ein Stoff, der aus den äußerst feinen und widerstandsfähigen Ankerfäden der im Mittelmeer lebenden edlen Steckmuschel gewonnen wird und in der Antike und im Mittelalter einer der kostbarsten Stoffe überhaupt war. Das Handwerk der Byssusherstellung ist heute fast ausgestorben, wird aber von Chiara Vigo in Sardinien noch betrieben, die den Schleier als Byssusgewebe bewertete.

Schleiervorderseite#

Schleiervorderseite
Schleiervorderseite
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass sich zwischen den Fäden des Schleiers keinerlei Farbpigmente oder sonstige Ablagerungen befinden. Jede Art von Malerei, auch die des Aquarells, ist auszuschließen. Bei starkem Lichteinfall, wie ich nachprüfen konnte, verschwindet das Bild völlig und zeigt erst nach einer gewissen Modifikation der Lichtstärke erste Konturen. Ebenso kann nicht von einem Abdruck die Rede sein, weil das Bild auf beiden Seiten gleichermaßen sichtbar ist und keine Veränderung der Proportionen aufweist. Der Faden wurde auch nicht vor dem Weben des Schleiers gefärbt, weil er in seinem Verlauf eine unterschiedliche Färbung hat. Die Entstehung des Bildes konnte bis jetzt nicht geklärt werden. Einwandfrei erwiesen ist hingegen durch die Arbeiten der Trappistin Sr. Blandina Paschalis Schlömer, des Jesuiten Prof. Dr. Heinrich Pfeiffer, meiner eingehenden Untersuchungen vor Ort sowie einer Reihe anderer Forscher, dass sich das Antlitz auf dem Schleier zu hundert Prozent mit dem Antlitz auf dem Grabtuch von Turin deckt. Anhand der von mir aufgestellten Orientierungs- und Konvergenzpunkte der beiden Antlitze und durch den Aufbau einer Skizze mit 20 Orientierungspunkten (Abb. Orientierungspunkte) konnte hier die absolute Vergleichssicherheit erreicht werden.

Orientierungspunkte
Orientierungspunkte

Orientierungs- und Konkordanzpunkte: Grabtuch/Schleier#

Bei den ältesten Christusdarstellungen in den Katakomben sowie bei zahlreichen Christusikonen dienten die Gesichtszüge der "Veronika" als Vorlage, wie etwa auch bei dem Antlitz Christi in der Domitilla-Katakombe aus der Zeit um 330.340. Neben den Entsprechungen der Proportionen des Antlitzes auf dem Grabtuch und der Veronika mit den Christusdarstellungen in den Katakomben überrascht allerdings am meisten die Übereinstimmung dieser Proportionen mit den Christusmedaillons auf dem Längsarm der Rückseite des Reliquienkreuzes, das Justin II. um 570 Papst Johannes III. schenkte und das im Schatz von St. Peter zu sehen ist (Abb. Justiniankreuz).

Justiniankreuz
Justiniankreuz

Rückseite des Justinkreuzes mit den ältesten Christusmedaillons#

Die Übereinstimmung der Skizze mit dem Christusmedaillon am oberen Längsarm der Rückseite des Reliquienkreuzes ist allein schon deswegen beachtenswert, weil die Schenkung noch vor der Überführung der Veronika aus Kamulia 574 erfolgte. Das besagt nicht nur, dass das Bild bereits bekannt war und man ihm große Verehrung entgegenbrachte, sondern dass auch im Osten das Kamulia-Bild in seinen genauen Proportionen als das verpflichtende Grundmodell für die Christus-Darstellungen galt. Da es sich bei der "Veronika" um das Abbild des Antlitzes eines geschundenen, jedoch selbstbewussten lebenden Mannes, beim Antlitz auf dem Grabtuch hingegen um jenes eines Frieden ausstrahlenden, toten Mannes handelt, muss das eine Bild zu Lebzeiten und das andere Bild nach dem Tod ein und derselben Person entstanden sein.

Benedikt XVI. vor dem Gnadenaltar, 1. September 2006
Benedikt XVI. vor dem Gnadenaltar, 1. September 2006

Bei der Beantwortung der grundsätzlichen Frage, um wessen Antlitz es sich auf Grabtuch und Schleier handelt, müssen wir über die geschichtlichen Hinweise hinaus vor allem auf die Aussagen des Körperbildes des Grabtuches zurückgreifen. Damit lässt sich trotz heftiger wissenschaftlicher Diskussionen in Ermangelung jeder anderen stichhaltigen Deutung die Aussage machen: Das Antlitz auf dem Grabtuch und auf dem Schleier von Manoppello, der Veronika, ist das Antlitz Christi.

Diese Forschungsergebnisse und eine Reihe weiterer Umstände nützte am 1. September 2006 Papst Benedikt XVI., um die Kapuzinerkirche von Manoppello zu besuchen und sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.

Drei Wochen später verlieh Benedikt XVI. "zur Ehre des Heiligen Antlitzes Unseres Herrn Jesus Christus" der Kirche den Titel einer Basilica minor. Diese Erhebung zur Päpstlichen Basilika wurde laut Dekret gewährt, um "die Verbindung und Verehrung der Kathedra von Sankt Peter mit dieser wichtigen Kirche zu intensivieren" und als Zentrum besonderer liturgischer und pastoraler Tätigkeiten zu bestätigen.

Univ.-Prof. Dr.Dr. P. Andreas Resch CSsR (Le) ist Redemptorist, emeritierter Professor und Leiter des Instituts für Grenzgebiete der Wissenschaft in Innsbruck.

Mit freundlicher Genehmigung der "Academia" (ÖCV-Zeitschrift), Dezember 2007, Seite 30 f.


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