Das Kopftuch: Der Stoff, aus dem Vorurteile sind#
Das Kopftuch: Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen – oder unentbehrliches Requisit eines islamischen Feminismus?#
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen aus: Die Presse (Samstag, 16. Jänner 2010)
Von
Ingrid Thurner
Ein Debattenbeitrag.#
Die Muslimin, das arme Opfer von Männermacht – so wird sie medial stilisiert, so wird sie von einer breiten Öffentlichkeit imaginiert. Denn wie jedermann zu wissen glaubt (es steht ja so gut wie täglich in Zeitungen zu lesen): Die Frauen werden von Männern, von Vätern, Brüdern, Ehemännern, Söhnen geknechtet, genötigt, gezwungen. Sie werden zwangsverhüllt, zwangsbeschnitten, zwangsverheiratet, ehrengemordet – anders kommen Musliminnen im veröffentlichten Diskurs heutzutage nicht mehr vor. Sie werden als Kopftuchmächen verunglimpft, als Schleier und Leid Tragende bedauert oder höchstens noch als sogenannte Fundamentalistin stigmatisiert. Denn die Frauen, die ihre Körper, ihre Haare, ihre Knie, selbst das Gesicht freiwillig verbergen, was könnten sie anderes sein als Radikale? Als solche werden sie gar in einen Kontext mit dem Ku-Klux-Klan gestellt. Das ist entweder blanker Zynismus oder eine Verdrehung der Opfer/Täter-Rollen.
Die Ablehnung des Kopftuchs in westlichen Gesellschaften ist zur Metapher der Islamophobie geworden. Daraus folgt in logischer Ableitung, dass das Kopftuch selbst als Symbol für den Islam schlechthin herhalten muss. Das ist mindestens fragwürdig, wenn nichtfalsch. Denn zunächst einmal ist das Kopftuch nichts weiter als ein Stück Stoff. Außerdem bedeckt dieses Stück Stoff in vielen kulturellen Kontexten die Köpfe, etwa bei städtischen Afrikanerinnen, bei Tuareg und Sikh – und ganz besonders im Christentum. Hierist es präsent historisch lange vor dem Islam, geht immerhin zurück auf das Neue Testament: „Ein Weib aber, das da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist ebenso viel, als wäre es geschoren“ (1 Kor 11, 5; Übersetzung nach Luther).
Zwischen Paulus von Tarsus, der die Briefe an die Korinther schrieb, und dem Propheten Muhammad liegen nahezu sechs Jahrhunderte. Es ist demnach als christliches Kulturgut weit älter denn als islamisches. Und bei näherer Betrachtung hat es auch in christlich-abendländischer Tradition in mannigfachen Ausprägungen überlebt bis heute.
So mancher erinnert sich an eine Kopftuch tragende Großmutter in seiner Kindheit. Auf der Hausbank zwischen Neusiedl und Güssing hocken heute noch die älteren Frauen nach Feierabend – selbstverständlich mit Kopftuch. Es ist Teil volkstümlicher Kleidung in verschiedenen Gebieten des Alpenraumes. Wer trägt nicht aller Kopftuch? Trachten- und Heimatvereine und -verbände, Brauchtumsgruppen, Musikkapellen und Chöre in der Ausübung ihrer Tätigkeiten, osteuropäische Bäuerinnen, ältere Roma, auch jüngere Nonnen, Hutterinnen, Evangelikale und Orthodoxe beim Kirchgang, Katholikinnen bei Papstaudienzen. Es tragen Kopftuch in der Ausübung ihres Berufes: Krankenschwestern, Köchinnen, Piraten. Außerdem tragen Kopftuch: Albrecht Dürers Mutter auf einer Kohlezeichnung, Grace Kelly privat und im Film und die Queen.
Und die Werbedame einer größeren österreichischen Bank – sie scheint einer Klasse höherer Töchter entlaufen – peilt Kunden für die derzeit modischen konservativen Anlagestrategien mit rosafarbenem Kopftuch an. Ihr Lächeln enthält durchaus ein Versprechen – für den, der den Typ mag. Das Kopftuch lebtauch fort im Brautschleier – ebenso unverzichtbarer Bestandteil einer konservativen Hochzeit wie Brautjungfer, Brautstrauß und Brautraub. Vorzugsweise in jungfräulichem Weiß gehalten und durchbrochen oder durchscheinend, birgt auch er ein Versprechen.
Bei all diesen Personen, Gruppen, Kulturen und Anlässen ist Kopftuch kein Thema. Niemand stellt es in Frage, es ist einfach da, niemand hält es für diskriminierend, niemandem wird es verwehrt. Bloß Musliminnen sollen nicht dürfen.
Aber Musliminnen sind durchaus nicht nur die armen Unterdrückten. Und sie bedürfen nicht beständig jenes Mitgefühls, das sie hierzulande bekommen. Tragisch ist, dass ein historisch und sozialwissenschaftlich schlecht informierter europäischer Feminismus ausgerechnet gemeinsam mit manchen Medien zur Verteidigung der muslimischen Schwestern antritt, die diese Verteidigung weder wollen noch brauchen.
Denn Musliminnen sind auch selbstbewusste Frauen, die ihr Kopftuch aus Überzeugung tragen, aus religiösen Gründen, aus Gründen der Überlieferung, sie zeigen damit, dass sie gemäß den Regeln ihrer Religion leben möchten, dass sie nicht belästigt werden wollen.
Szene in einem Hotel im Süden von Marokko: eine deutsch sprechende Rezeptionistin. Eine mitleidige Touristin bedauert sie, weil sie in dieser Hitze ein Kopftuch tragen müsse. Die Angesprochene blickt verwirrt, versteht nicht, was gemeint ist. Die aufgeschlossene Reisende fragt, ob es ihr Vater sei oder ihr Ehemann, der auf der Kopfbedeckung bestehe. Und als der Geplagten endlich klar wird, was die Kundin will, ist sie da glücklich über das Mitgefühl, das ihr entgegengebracht wird? Mitnichten. Sie zeigt sich entrüstet, nahezu empört bei dem Gedanken, dass jemand sie zwingen könne, ein Kleidungsstück zu tragen. Hinter ihrer Rezeptionstheke läuft sie einige Male auf und ab und fragt schließlich in nahezu aggressivem Tonfall: Und welcher Mann zwingt die katholischen Schwestern ein Kopftuch zu tragen?
Fadenscheinige Argumente#
Die Muslimin in der Opferrolle – so wollen wir sie haben. Und es ist geballte Medienmacht, die sie dahin gebracht hat, ein Prozess, der seit 9/11 ständig neuen Höhepunkten entgegensteuert. Vorher nämlich waren Islam und Muslime kaum ein Thema im öffentlichen Diskurs, wenngleich politisch rechts denkende Gruppierungen auch schon damals ihr Möglichstes taten, Probleme zwischen Alteingesessenen (wir, die schon länger da sind und daher da sein dürfen) und Neuzugewanderten zu konstruieren. Inzwischen sieht es so aus, als ob es ihnen in naher Zukunft gelänge.
Frauenrechtsaktivistinnen und andere Verteidiger der Rechte Unterjochter – mögen sie im guten Glauben handeln, dann sind sie naiv. Denn wenn sie vorgeblich für die Rechte der muslimischen Schwestern kämpfen, rechtfertigen sie tatsächlich die eigene Position, indem sie behaupten, dass die anderen schlechter dran sind. Man erhöht die eigene Stellung, indem man die fremde erniedrigt, man demonstriert an der fremden Unterlegenheit die eigene Superiorität – ein seit der Antike erprobtes Instrument der Unterdrückung. Sie erreichen damit das Gegenteil dessen, was sie vorgeblich wollen, nämlich machen sich zu Handlangern der Mächtigen, kaschieren nicht den eigenen Rassismus, sondern zeigen ihn offen vor, dienen in Wirklichkeit nationalistischen Interessen.
Man zieht Einzelfälle heran, stilisiert sie medial hoch, reiht sie aneinander, man erklärt die islamische Kultur zur Kultur der Gewalt und nimmt sich so das Recht, die Religion als Ganzes zu diffamieren; einige irregeleitete Ausprägungen à la Taliban sind vorzüglich geeignet, solche Standpunkte zu erhärten. Man zeigt, wie schlecht die Muslime sind, und hat so allen Grund, ihnen den Eintritt nach Europa zu verwehren.
Der weibliche verhüllte Körper kommt da sehr gelegen und passt in die Argumentationskette. Muslimische Intellektuelle in Frankreich und Deutschland, männliche und weibliche, nutzen die Gunst der Stunde und schreiben Bestseller, Sex and Crime, nichts ist bekanntlich lukrativer.
Vor jeder Wahl entblößen sich die Politiker einer gewissen Couleur mit markigen Sprüchen. Die Politikwissenschaftlerinnen Sabine Berghahn und Petra Rostock zeigen in ihrem Buch „Der Stoff, aus dem Konflikte sind“ über die „Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, wie das Kopftuch zur Projektionsfläche geriet, auf die der eifersüchtige Streit um Zuwanderung verlagert wird. So dreht sich die Spirale und dreht sich – und das Zusammenleben der Kulturen gestaltet sich schwieriger und schwieriger.
Die Informationen über die islamische Welt, die einem hierzulande aus dem Blätterwald zufliegen, sind ebenso aufschlussreich, zuverlässig und allgemein gültig wie das, was aus unserer Welt an Wissen über uns dorthin exportiert wird. Frage eines Arabers in einem islamischen Land vor einigen Monaten: Was ist eigentlich los mit den österreichischen Männern, dass sie ständig kleine Mädchen in Kellern einsperren und schwängern?
Was das heilige Buch der Muslime zur Verhüllung des weiblichen Körpers äußert, ist nicht nur unter Islamwissenschaftlern und Arabisten Gegenstand des Disputs, sondern auch unter muslimischen Theologen: „Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen und dass sie ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen, bis auf das, was davon sichtbar sein muss, und dass sie ihre Tücher über ihre Busen ziehen sollen und ihre Reize vor niemandem enthüllen als vor ihren Gatten, oder ihren Vätern, oder den Vätern ihrer Gatten, oder ihren Söhnen . . .“ (Koran 24,31).
Da bleibt genug Spielraum für Deutungen, und er wird genutzt. Das Buch, auf das sich eine Milliarde Menschen berufen, entstand im siebenten Jahrhundert, und die islamischen Staaten von Marokko bis Indonesien sind heute kulturell und politisch so heterogen wie die christlichen der alten und der neuen Welt.
Und wenn in manchen Gebieten staatliche oder gesellschaftliche Normen die weibliche Bedeckung in der Öffentlichkeit verlangen (Saudi-Arabien, teilweise Afghanistan, Iran), so ist dies gegen die Lehre, und es besteht weder innenpolitischer noch theologischer Konsens. Denn geschrieben steht auch: „Es gibt keinen Zwang in der Religion“ (Koran 2, 256). Daher stehen Kopfbedeckungsgebote zum Koran in Widerspruch.
Große Unterschiede#
So unterschiedlich wie die regionalen Bezeichnungen für die Bekleidung – Tschador, Burqa, Hidschab, Niqab, Çarşaf, um nur einige zu nennen –, so unterschiedlich sind Formen und Ausprägungen, Farben und Materialien – und die Motive, sie zu tragen oder nicht. Auf der einen Seite der Skala: Ein Saudi-Araber oder ein Taliban sieht sein Leben lang keine Frau der eigenen Kultur, mit Ausnahme der Mutter und der Ehefrau, der Schwestern und (Schwieger- und Stief-)Töchter, von Angesicht zu Angesicht. Will er das Gesicht einer weiteren Frau sehen, vom Rest nicht zu reden, so wird es eine Ausländerin sein.
Am anderen Ende: Marokko. Dessen Städte, etwa Casablanca und Agadir, sind am Persischen Golf Synonym für Sodom und Gomorrha und Babel in einem – dort sind die Frauen freizügig, dort fließt der Alkohol in Strömen. Casablanca ist der Sündenpfuhl schlechthin, den die betuchte männliche Mittelschicht aus dem Vorderen Orient gerne einmal aufsucht, um sich all das zu gönnen, was zu Hause verboten ist, insbesondere Whisky und Mädchen.
Anders ausgedrückt: Zwischen Marokko und Saudi-Arabien liegen Welten, ebenso zwischen Nigeria und Bangladesch. Bloß wir werfen alles in einen Topf. Der ganze Diskurs hierzulande ist Teil jenes Orientalismus, den Edward Said im gleichnamigen Buch 1976 als westliche Erfindung enttarnte.
Wer fragt je eine Muslimin oder einen Muslim, was sie dazu sagen? Wozu auch? Wir wissen es ohnedies ganz genau.
Aber im Sinne von Said ist die Meinung, die wir zum verhüllten Körper der Muslimin veröffentlichen, nichts anderes als unsre Meinung zum verhüllten Körper der Muslimin, berücksichtigt weder die religiöse und schon gar nicht die soziale Bedeutungsebene in den jeweiligen Kulturen, die heute Parallelgesellschaften genannt werden. Verhüllung ist Unterdrückung. Punkt. Dabei hat alles ganz anders begonnen. Eines Tages im siebenten Jahrhundert gingen die Frauen des Propheten Muhammad spazieren und wurden belästigt, denn man hielt sie für Sklavinnen. Daraufhin hatte er eine Offenbarung, auf die sich die Anhänger der Bedeckung berufen (Koran 33, 59), die jedoch ebenso uneindeutig ist. Jedenfalls breitete sich die Kopfverhüllung für obere gesellschaftliche Kreise aus, und zwar um Differenz aufzubauen, als Mittel zur Abgrenzung nach unten.
Die Bedeckung verschaffte den Frauen Freiheit, die Freiheit, nicht belästigt zu werden, sie war ein Zeichen ihres sozialen Ranges. In diesem Sinne nutzen auch heute viele Frauen die Verhüllung, auch wenn man es im Westen nicht hören will.
Da tritt man an, die muslimischen Frauen aus ihrer Knechtschaft zu befreien. Merkwürdigerweise wollen die das Kopftuch aber nicht ablegen – vielmehr ganz im Gegenteil, es erlebt seit etwa einem Jahrzehnt eine Renaissance sondergleichen, besonders bei gut ausgebildeten, städtischen Frauen. Es verschafft ihnen so viel Respekt wie Freiheit, da werden sie nicht begafft und nicht begrapscht, sondern geachtet, es ist auch Zeichen der Tradition, aber auch der Selbstbestimmung, der Identität. Inzwischen wurde es zum Symbol eines islamischen Feminismus. Die Frauen wollen weder ein Kopftuchge- noch ein -verbot. Sie wollen selbst entscheiden.
Keineswegs zuletzt ist es auch ein modisches Attribut. Ob es gut sitzt, farblich und im Stil mit dem Rest der Aufmachung harmoniert, ist für die modebewusste junge Muslimin ungefähr so wichtig wie der Sitz der Spaghettiträgerchen für gleichaltrige westliche Mädchen.
Derzeit etwa ist ein überlanger Hinterkopf die Conditio sine qua non eleganter Zurüstung, und deswegen muss ausgepolstert werden. Wer wissen will, was modisch läuft, google zum Beispiel das Wort „Hijab“! Da wird gechattet, wie man sich kleidet, und keine Frage, Geld zu machen ist damit auch, Online-Läden liefern das Zubehör.