Dialog Christentum-Islam#
Franz Kardinal König („Forum Schwarzenberg", 1992)
Wie können Christen und Muslime in einer eins werdenden Welt miteinander leben? Das heißt, sind wir grundsätzlich imstande, auch hier Konflikte ohne Gewalt zu lösen? Ist ein Dialog zwischen Islam und Christentum überhaupt möglich - oder wird ein religiös politischer Fanatismus sich solchen Versuchen gegenüber querlegen?
Ich versuche, meine Fragestellung noch näher zu erläutern: Mitten im nationalistischen Chaos des zerfallenen Jugoslawiens, so wurde berichtet, kam es im vergangenen Juli in der Provinz von Bosnien-Herzegowina zu einer Konferenz der Kampfparteien, das heißt, der Kroaten, Serben und Muslime. Es war wiederum ein Versuch, einen längeren Waffenstillstand auszuhandeln. Für den ausländischen Beobachter war es auffallend, dass hier, neben den ethnischen Gruppen der Kroaten und Serben, die Muslime als religiöse Gemeinschaft den beiden nationalen Gruppen ebenbürtig und gleichrangig gegenüberstanden. Somit ergibt sich die kuriose Situation, dass für die Serben heute die Kroaten wie die bosnischen Muslime in gleicher Weise politische Gegner und Feinde sind. Daraus ergibt sich die Frage: Sind die Muslime in Bosnien eine nationale, eine staatliche oder eine religiöse Gemeinschaft? Oder sind sie alles zugleich?
Das sind Fragen über Fragen, die ich im Folgenden etwas zu klären versuchen werde. Innerhalb des Islam existieren heute verschiedene Richtungen: Das Spektrum reicht hier von jener militant auftretenden Richtung, die immer mehr Anhänger gewinnt und die eine vollständige Islamisierung der Gesellschaft und des Staatswesens anstrebt, bis hin zu jener Minderheit, die den Islam heute aus seiner Isolation herausholen und ihm einen neuen Weg im Kontext der Situation der Weltgemeinschaft weisen will. Zwischen diesen beiden Polen liegen verschiedenste Tendenzen, je nachdem, welche der miteinander konkurrierenden Richtungen im jeweiligen Staatsgebilde die Oberhand gewinnt.
Ist ein Dialog zwischen Christen und Muslimen überhaupt möglich; gibt es eine gemeinsame Grundlage hiefür? - Eine Hauptursache der Schwierigkeiten liegt in einem gegenseitigen, mehr oder weniger unbestimmten Gefühl der Angst.
Die Muslime haben Angst vor dem Westen. Das islamische Selbstbewusstsein leidet in seinen verschiedenen geschichtlichen Lagerungen bis heute noch an den schweren Wunden der Erinnerungen an die Kreuzzüge. Ebenso hat später der westliche Kolonialismus der Neuzeit, die Überlegenheit der nichtislamischen und säkularisierten Welt in Bezug auf wissenschaftlichen Fortschritt und Technik die islamischen Völker in immer größere Abhängigkeit von den westlichen Staaten gebracht und so Minderwertigkeitskomplexe auf islamischer Seite geschaffen. Islamische Studenten an westlichen Universitäten brachten bei ihrer Rückkehr in die Heimat liberales, areligiöses, aufgeklärtes Gedankengut mit und beeinflussten intellektuelle Schichten zu Hause. Dies alles führte zu einer Reaktion, zu einer Wiederbesinnung auf die gesellschaftsordnenden Kräfte der eigenen Religion, verbunden mit einer Abwehrhaltung gegenüber einem, wie es hieß, dekadenten, amoralischen „gottlosen" Westen. Dadurch wuchs die Entfremdung zwischen Christentum und Islam. Unkenntnis und gegenseitiges Misstrauen vertiefen die Angst. Die Haltung der Muslime gegenüber den Christen wird durch Aussagen des Koran über diese beeinflusst und letztlich bestimmt: Von diesen sind einige positiv, andere distanziert bis negativ. Extreme Positionen weisen auf jene Koranstellen hin, die die Christen für den Islam als gefährliche Gegner bezeichnen. Aber auch die Menschen im Westen, die Christen, empfinden Unbehagen, haben Angst vor den Muslimen. Das Misstrauen gegenüber der schwer verständlichen Gedankenwelt, Erinnerungen an die Behandlung christlicher Minderheiten als Schutzbefohlene, die Art der Steuer, um sich vom Übertritt zum Islam zu befreien, alles das spielt mit eine Rolle.
Weiter ist für einen Christen, für einen Bürger demokratischer Staaten die Vorstellung, dass Religion im Bereich des einzelnen wie der Familie den gesamten staatlichen Organismus durchdringe und beherrsche, dass Religion und Staat ineinander übergehen, unvorstellbar und unakzeptabel. Nun bringen in zunehmendem Maße die Massenmedien Berichte von Spannungen innerhalb der islamischen Welt, verbunden mit gelegentlichen Aggressionen gegenüber einer nichtislamisch-dekadenten Welt. Sogenannte Fundamentalisten drohen mit Feuer und Schwert. Das Stichwort vom „Djihad" (= Heiliger Krieg), taucht gelegentlich auf.
Christen empfinden Angst, wenn sie hören, dass in einzelnen Teilen der Welt das friedliche Zusammenleben abgelöst wird durch enorme Druckmittel der Muslime gegenüber den dort lebenden Christen, in Verbindung mit ihrem Staatswesen. Einer islamischen Ordnung entsprechend, sind Christen Bürger zweiter Klasse. Angst geht oft einher mit Unkenntnis. Ein wichtiges Heilmittel ist daher wohl die gegenseitige Information. Aus christlicher Sicht setzte bereits im 19. Jahrhundert eine hoffnungsvolle Wende ein. Es war die sich damals neu formierende Wissenschaft der Orientalistik.
Dieser neuen Wissenschaft war es zu danken, dass der Koran in verschiedene abendländische Sprachen übersetzt wurde, dass das Leben Mohammeds näher erforscht und die sehr umfangreiche religiöse und auch mystische Literatur den christlichen Ländern zugänglich gemacht wurde. Das verhinderte allerdings nicht, dass die religiöse Lehre Mohammeds weiterhin abgelehnt wurde. Die viel tiefer greifende Wende im Verhältnis Christentum - Islam brachte der französische Orientalist Louis Massignon aus der Mitte unseres Jahrhunderts. Das Studium der islamischen Mystik, ein wenig bekanntes Kapitel der religiösen-muslimischen Literatur, führte Massignon selber zum katholischen Glauben seiner Kindheit zurück. Fortan sah er seine Lebensaufgabe darin, den Christen die Reichtümer und Schätze der islamischen religiösen Literatur zu erschließen. Er wollte damit das Bleibende und auch für Christen Gültige herausstellen und zugleich Missverständnisse zurechtrücken. Er betonte die Verbindung der drei monotheistischen Religionen und griff dabei, aus muslimischer Sicht, auf die Verbindung mit Abraham durch Ismael zurück. Somit gehören Massignon und seine Schüler zu den Wegbereitern eines islamisch-christlichen Dialoges.
Das II. Vatikanische Konzil hat dann neue Möglichkeiten aufgegriffen. Eine Folge davon war unter anderem die Einrichtung eines Römischen „Sekretariats für den Interreligiösen Dialog", das heißt Förderung des Gespräches zwischen Christen und nichtchristlichen Religionen. Im Vordergrund stehen dabei die beiden großen monotheistischen Religionsgemeinschaften der Juden und des Islam.
Der islamisch-christliche Dialog steht noch ganz am Anfang. Große Schwierigkeiten stehen ihm noch immer im Wege: geringes Wissen voneinander, Vorurteile, Angst, Mangel an Einsicht um die Notwendigkeit eines Dialoges von beiden Seiten. Von fundamentalistischen, fanatischen Gegnern abgesehen, ist - nach Auskunft europäischer Fachleute für den Islam - die große Masse der Muslime in außereuropäischen Ländern noch folgender Meinung: Ein Dialog mit Christen ist möglich; er hat aber kaum einen Sinn, weil wir im Besitze der wahren Religion sind.
An der Spitze des Islamischen Weltkongresses wird aber immer deutlicher, dass Muslime und Christen in der eins werdenden Welt in Zukunft miteinander leben müssen. Das ist nur möglich durch gegenseitige Kenntnis und gegenseitigen Respekt und immer wieder neue Versuche, Missverständnisse zu beseitigen und Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Es gehört wohl zu den weitreichenden, die Menschheit belastenden Missverständnissen, dass die drei monotheistischen Religionen - Juden, Christen, Islam - untereinander durch geschichtliche Missverständnisse, Vorurteile verfeindet, zerstritten und aus verschiedenen sachlichen, geschichtlichen Gründen von einem an der Wurzel sitzenden Misstrauen erfüllt sind. Tragisch und schwer zu begreifen ist es, dass trotz der fundamentalen Einheit des Gottesglaubens diese drei Religionsgemeinschaften innerlich zerfallen und entgegengesetzt sind, und es ist gewiss tragisch, dass diese drei ganz klar monotheistischen Religionen, für die es keine Parallele in der Religionsgeschichte der Menschheit gibt, ihre gemeinsame religiöse Basis noch immer nicht sehen. Denn gerade heute sollten sie diese gemeinsam einsetzen, für Völkerverständigung, Gerechtigkeit und Frieden. Und das alles im Namen des einen, einzigen Gottes, des Schöpfers des Universums und des Menschen - geschaffen nach Gottes Bild und Gleichnis.
Siehe auch Louis Massignon