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Auf dem Weg zu einem Kirchenparlament #

Das Konzil von Konstanz (1414-1418) #


Von

Michael Mitterauer


Das Konzil von Konstanz stellte die weitaus größte Kirchenversammlung des Mittelalters dar. Etwa 2.300 Teilnehmer wurden inkorporiert und durch Eid verpflichtet. Die Zahl der Inkorporierten stieg zwar beim Konzil von Basel (1431-1449) auf 3.350 Mitglieder, die Zahl der gleichzeitig Anwesenden lag jedoch nur bei etwa 300-400. Diese Teilnehmerzahlen wurden in Konstanz bei weitem übertroffen. Wenn die große Kirchenversammlung in Konstanz in der Literatur immer wieder als „Kirchenparlament“ charakterisiert wird, so ist das nicht nur im damaligen Verständnis von „parlamentum“ zutreffend, sondern auch nach modernem Wortgebrauch eines repräsentativen Gremiums auf höchster Ebene mit legislativen Aufgaben. Auf dem Weg zur Entwicklung des Parlamentarismus stellt der Konziliarismus des Spätmittelalters – insbesondere seine Realisierung in der Konstanzer Kirchenversammlung – einen wichtigen Entwicklungsschritt dar.

Die katholische Kirche in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren, war durchaus das Selbstverständnis der in Konstanz versammelten Konzilsväter. Am 6. April 1415 beschlossen sie das berühmte Dekret „Haec sancta“ mit folgendem Wortlaut:

„Diese heilige Konstanzer Synode bildet ein allgemeines Konzil; zur Beendigung des Schismas, zur Einheit und Reform der Kirche Gottes in Haupt und Gliedern, zum Lob des allmächtigen Gottes, legitim im Heiligen Geist versammelt, verordnet, definiert, beschließt und erklärt sie, um leichter, sicherer, besser und freier die Einheit und Reform der Kirche Gottes zu erreichen, folgendes: 1. Sie ist im Heiligen Geist legitim versammelt, bildet ein allgemeines Konzil, repräsentiert die katholische Kirche und hat ihre Gewalt unmittelbar von Christus; jeder, gleich welchen Standes und welcher Würde, und sei es auch der päpstlichen, ist ihr zu gehorchen verpflichtet ...“

Dieses Dekret kann als „Magna Charta“ des Konziliarismus angesehen werden. In einer Krisensituation, in der drei Päpste nebeneinander für sich die Kirchenführung beanspruchten, erklärte sich das Konzil zur höchsten Autorität – selbst dem Papst gegenüber. Ein zweiter Konzilsbeschluss, der in Konstanz gefasst wurde, das Dekret „Frequens“, legte die regelmäßige Abhaltung von Konzilien fest – zunächst nach fünf, dann nach sieben Jahren, schließlich in Zehnjahresabständen. Das Konzil war damit zwar nicht auf dem Weg zu einer ständig tagenden Versammlung, aber doch zu einer die Kirchenführung mitgestaltenden Dauereinrichtung. Zunächst hielten sich die Päpste daran. Mit dem Bruch zwischen dem Konzil von Basel und Papst Eugen IV. 1439 kam jedoch das Zusammenwirken von Papst und Konzil als institutionalisierter Repräsentativversammlung der Kirche zu einem baldigen Ende.

Repräsentation im Verständnis des ausgehenden Mittelalters und Repräsentativerfassung im modernen Sinn lassen sich nicht ohne Weiteres gleichsetzen. Die Formen der Entsendung von Konzilsvertretern wie auch die Abstimmungsmodalitäten am Konzil von Konstanz selbst enthalten jedoch einige neue und zukunftsweisende Elemente, die allerdings nicht im Rahmen der Kirchenverfassung weiterwirkten. Zu den allgemeinen Konzilien wurden ursprünglich nur die Bischöfe geladen. Selbst wo diese nach frühchristlicher Tradition von Klerus und Volk gewählt wurden, nahmen sie jedoch nicht als gewählte Repräsentanten ihrer jeweiligen Diözesen an den Kirchenversammlungen teil. Bei den seit dem 12. Jahrhundert von den Päpsten einberufenen Konzilien der Westkirche begegnen über die Bischöfe hinaus noch zusätzliche Personengruppen, aber auch sie waren nicht für das Konzil besonders bestellte Repräsentanten. Das gilt etwa für die Klostervorsteher, die nun zahlreich beigezogen wurden. Noch vor den großen Papstkonzilien des Hochmittelalters bzw. dann parallel zu diesen kam es in den großen Ordensgemeinschaften der Westkirche zur Abhaltung von Generalkapiteln mit europaweitem Einzugsbereich. Die Äbte oder Prioren, die an ihnen teilnahmen, waren jedoch nicht für diesen Anlass eigens gewählte Vertreter. Zu den Konzilien des Hoch- und Spätmittelalters luden die Päpste zunehmend auch weltliche Herrschaftsträger ein. Fürsten entsandten meist für diese Aufgabe speziell bevollmächtigte Vertrauenspersonen, ebenso die schon früh geladenen oberitalienischen Stadtkommunen. Hier kam das Moment der Vertretung einer weltlichen Korporation hinzu. Aber auch die Repräsentation geistlicher Korporationen gewann zunehmend an Bedeutung. Domkapitel wurden eingeladen, Delegierte zu entsenden, vor allem aber die für die Entscheidung religiös-politischer Kontroversfragen immer wichtiger werdenden Universitäten. Auf dem Konzil von Konstanz wurde das Stimmrecht von Professoren der Theologie und des kanonischen Rechts mit der „licentia ubique docendi“ argumentiert, also der Vollmacht, überall unabhängig von bischöflicher Gewalt zu predigen und zu lehren. Die Universitätsvertreter, die nach Konstanz entsandt wurden, waren aus diesem Anlass gewählte Repräsentanten – oft mit einem besonderen Verhandlungsmandat betraut. Die Pariser Universität schickte nicht weniger als zwölf Delegierte - paritätisch aus ihren Fakultäten bestellt. Aber auch andere Konzilsdelegierte waren für diese Versammlung eigens gewählte Repräsentanten. In Frankreich trat vor dem Konzil eine nationale Synode zusammen, die die Konzilsmaterien beriet und die personelle Vertretung regelte. Häufig fanden Provinzialsynoden statt, die Repräsentanten der jeweiligen Kirchenprovinz bestellten. So kam es gelegentlich zu einem Nebeneinander von Delegierten einer Synode und solchen des sie leitenden Erzbischofs. Auf allen Ebenen war das Repräsentationsprinzip in der Beschickung des Konzils im Vormarsch. Diese Entwicklung setzte sich auf dem Konzil von Basel fort. Nur mehr 5-15 % der Teilnehmer waren dort Bischöfe. Die Vertreter des kollegial-korporativen Milieus machten ein Vielfaches aus. Allein der Universitätsklerus stellte 22 % der Teilnehmer. In Konstanz war dessen Anteil noch geringer. Die Universitätsvertreter hatten jedoch auch hier enormen Einfluss. So wurde etwa die Organisation der Konzilsverhandlungen von der „Congregatio doctorum“ vorbereitet. Die selbst nach dem Prinzip der Repräsentation aufgebauten Universitäten waren die wichtigsten Vertreter des Konziliarismus und damit des innerkirchlichen Parlamentarismus.

Von der Gruppe der Universitätstheologen beeinflusst, wurde vor allem der Modus der Abstimmung, der sich bei den Beschlüssen des Konstanzer Konzils durchsetzte. Das kanonische Recht und die konziliare Überlieferung kannten nur die Abstimmung „per capita“ – also jeder Konzilsvater mit einer Stimme. Demgegenüber legte die Konstanzer Kirchenversammlung die Abstimmung „per nationes“ fest, innerhalb derer nach Teilnehmermajoritäten entschieden wurde. Fünf Nationen konstituierten sich auf dem Konzil: die italienische, die französische, die englische, die deutsche und die spanische. Die Konzilsnationen waren - wie die Universitätsnationen der Zeit - nicht sprachlich bestimmt. Vielmehr wurden Großregionen der Westkirche in ihnen zusammengefasst. Alle „partes“ der Christenheit sollten mit gleichem Gewicht mitentscheiden. Auch bei der Repräsentanz der Nationen war man um gleichgewichtige Vertretung der einzelnen Regionen bemüht. Als man den Kardinälen zur Wahl des neuen Papstes je sechs Vertreter der fünf Konzilsnationen an die Seite stellte, wurde um diese Frage besonders gerungen. Die Natio Germanica etwa wählte folgende Vertreter der ihr angehörigen Völker in das Wahlgremium: den Erzbischof von Riga, den Erzbischof von Gnesen, den Bischof von Traú in Dalmatien, den Prior von Bertrée und die Universitätsprofessoren Konrad von Soest aus Heidelberg und Nikolaus von Dinkelsbühel aus Wien – letzterer nicht Vertreter der Universität, sondern Herzog Albrechts von Österreich.

Das Problem einer ausgewogenen Berücksichtigung von Ländern und Regionen stellte sich also schon bei dieser großen europäischen Kirchenversammlung des Spätmittelalters.

Mit dem Konzil von Konstanz – der größten Kirchenversammlung des europäischen Mittelalters – hat die innerkirchliche Partizipation eine enorme Ausweitung erfahren. Mit dem Bruch zwischen Papst und Konzil wurde diese Entwicklungslinie der innerkirchlichen Demokratisierung allerdings schon wenige Jahrzehnte später abgebrochen. Die monarchischen, partizipationsfeindlichen Kräfte behielten für ein halbes Jahrtausend die Oberhand. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil eine neue Perspektive innerkirchlicher Partizipation eröffnete, so keineswegs in unmittelbarer Kontinuität zum Konziliarismus des Spätmittelalters. Die vorsichtige Öffnung gegenüber demokratischer Strukturen im 20. Jahrhundert steht zweifellos unter dem Einfluss von Demokratisierungsprozessen im weltlichen Bereich. Dass sich in Europa – sehr zum Unterschied von anderen Kulturräumen – parlamentarisch-demokratische Strukturen entwickeln konnten, geht jedoch letztlich auf die Wechselwirkung kirchlicher Synoden und weltlicher Ständeversammlungen zurück, die im Kommunalismus des Spätmittelalters ihren Höhepunkt erlebte. Es tritt in der historischen Darstellung des Konstanzer Konzils meist in den Hintergrund, dass gleichzeitig hier zwei deutsche Reichstage stattfanden. Viele der teilnahmeberechtigten Personen waren deckungsgleich. Der deutsche König Sigismund hatte – wenn auch nicht als offizieller Einladender – das Zusammentreten des Konzils betrieben. Bei den Agenda von Kirchen- und Reichsversammlungen ergaben sich vielfältige Überschneidungen. So sind die großen Konzilien des Spätmittelalters sicher in eine Vorgeschichte des modernen Parlamentarismus einzubeziehen. Eine solche Sichtweise hat vor allem dann Aktualität, wenn die Organisation europaweit ausgreifender Ordnungsformen der Partizipation in der Gegenwart zur Debatte steht.