Es wird a Wein sein...#
Eine Hommage an das kultische Herzblut der Christenheit#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Kleinen Zeitung (Freitag, 30. Juni 2017)
Von
Bertram Karl Steiner
Es wird a Wein sein / und mia wer’n nimmer sein...“ Das ist eine eben weinselige Klage beim Heurigen, ein Abgesang ans doch irgendwie schöne irdische Leben; immerhin, der Wein, der bleibt. Aber wäre es nicht noch viel trauriger, nachgerade hoffnungslos, verhielte sich die Sache umgekehrt: Angenommen, wir wären immer noch da, aber wir hätten keinen Wein mehr. Denn dann würde es kein authentisches Christentum mehr geben, keinen sakramentalen Vollzug des zentralen Geheimnisses.
Die Muttergottes sah das einst genauso; mit ihrem Sohne eingeladen zu einer Hochzeit im galiläischen Kana, bemerkt sie, ganz große Dame aus priesterlichem Hause und verheiratet mit Joseph, aus dem königlichen Hause Davids, dass den Hochzeitern der Wein ausgegangen ist. Eine Blamage für das junge Paar; und eine große Dame leidet mit, wenn andere sich blamieren. Hochgebildet, wie sie ist – denken wir nur an ihr „Magnificat“ –, kennt Maria die Schrift auswendig. So weiß sie um die Bedeutung des Weines in der Geschichte des Hauses Israel, von Noah, der nach überstandener Sintflut zum Winzer wird, über den Hohepriester Melchisedech, König von Salem, der auf seinem Altar vor Abraham Brot und Wein opfert, bis hin zur Braut im „Hohen Lied der Liebe“, deren „Küsse süßer schmecken als süßer Wein“. Vielleicht ahnt Maria aber auch schon vage voraus, dass ihr Sohn, der Sohn Gottes, seine irdische Mission im Zeichen des Weinstocks vollbringen wird. Taktvoll flüstert sie Jesus ins Ohr: „Sie haben keinen Wein mehr …“ Jesus erscheint im Augenblick ein wenig irritiert, ob der offensichtlichen Aufforderung seiner Mutter, ein Wunder zu wirken; aber nicht einmal Gott selbst kann ihr die diskrete Bitte abschlagen. Wir kennen das Resultat: Sechs große Amphoren Wassers werden in Spitzenwein verwandelt. Nicht etwa in Traubisoda oder „gesunden Fruchtsaft“, wie mir das eine puritanisch angehauchte Fortschrittlerin einmal versuchte einzureden. Nein, es war Wein, Spitzenwein. Der Herr war kein Abstinenzler, auch nicht seine Jünger, was die Bigotten von damals auch prompt vermeinten ihnen vorwerfen zu müssen.
Nicht ohne Grund – gerade er musste es wissen – beharrt Jesus auf der mystischen Bedeutung des Weines. Nicht nur einmal, sondern immer wieder, das ganze Evangelium hindurch bringt der Weinstock Früchte, fließt der Wein. Jesus selbst ist im Gleichnis der Winzer, der einen Weinberg anlegt, er verlangt nach Arbeitern in demselben, er bezahlt ihnen (nicht ohne subtile Ironie) den ausbedungenen Lohn, er bestraft die ungetreuen Pächter des Weinbergs. Von sich selbst sagt er: „Ich bin der Weinstock“, und von seinen Jüngern: „Ihr seid die Reben.“ Und wie sein biblisches Vorbild Melchisedech bringt er Brot und Wein als Opfer dar. Brot und Wein sind das Produkt landwirtschaftlicher Arbeit, unser Begriff „Kultur“ leitet sich vom lateinischen „colere“ her, dem Wort für Ackerbau betreiben. Allerdings verwandelt Jesus beim Letzten Abendmahl das gebrochene Brot in seinen Leib und den Wein in sein Blut: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Danach sagt er, kurz vor seiner Hinrichtung am Kreuze, er werde ab nun nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis er den Wein mit uns allen im Reich seines Vaters trinken würde. In Weingegenden finden wir Darstellungen, wo Jesus an einen Weinstock genagelt ist, so zum Beispiel in der Kirche von Thallern, dem Weingut des Stiftes Heiligenkreuz, wo der tatsächlich köstliche „Prälatenwein“ gekeltert wird. In der Endzeit freilich erscheint der Weltenrichter auch als „Keltertreter“- Fazit: ohne Wein kein Christentum, keine Heilsgeschichte, keine Wandlung, keine Kirche, keine Kultur des Orients und des Okzidents.
Vorgeformt finden wir die kultische Bedeutung des Weines in den Zivilisationen des alten Orients und des Mittelmeerraumes. Im Kaukasus, im heutigen Georgien und Armenien, aber auch in Persien ist der Wein ein göttliches Getränk. Noch die (theoretisch) islamischen Dichter der Sufis besingen den ihnen vom Propheten eigentlich streng verbotenen Wein.
Vom Osten, aus Asien, habe Dionysos/ Bacchus den Wein vor vielen Jahrtausenden nach Griechenland gebracht. Tizian zeigt den Siegeszug des Weines in einem opulenten Bild, in dem sich Sinnlichkeit und Spiritualität vermählen. Die Archäologie entdeckter Zeugnisse dafür, dass es bereits in der Steinzeit Weinbau in Persien gegeben hat.
Die Philosophie des Abendlandes erstrahlte von Platos „Symposion“ aus, einem Weingelage, wo die sublimsten Geister Athens sich ebenso lässig wie präzise formulierend über die Macht des „himmlischen“ Eros unterhalten. Freilich, und das ist die unabdingbare Voraussetzung für einen spirituellen Umgang mit Wein, gelten hier die Worte des Apollo, aufgeschrieben im Orakel von Delphi: „Erkenne dich selbst“ und „Nichts im Übermaß“. Wein ist uns nicht zum Saufen, gar zum Niedersaufen geschenkt worden. Saufen entehrt die himmlische Gabe. Man hat respektvoll mit ihr umzugehen.
Der Wein galt seit jeher als selige Vorahnung, als irdischer Vorgenuss paradiesischer Freuden. Aber ganz konkret, wer von Klöch über die Rebhügel schaut, wer hinaufgeht zum Schloss in Stainz, wer im Herbst von Buschenschank zu Buschenschank die Südsteirische Weinstraße bewandert oder drüben, in Marburg, über den uralten Weinstock meditiert, der mag hinter dem Symbol die überirdische Realität erahnen. Was verspricht uns nicht alles an überirdischer Herrlichkeit die Wachau, das Weinviertel, die Südbahngegend, das Burgenland, wo die pannonischen Kreszenzen wachsen … Ja, auch durch Kärnten ist Bacchus zuletzt wieder gezogen, so wie er vordem den Collio und Istrien verzaubert hat.
Verzaubert hat der Wein die Literatur Europas, sie wäre ohne ihn nicht denkbar: Hölderlins Ode „Brot und Wein“ versucht die Symbiose zwischen der griechischen Götterwelt und dem Christentum, in Georg Trakls Gedicht „Brot und Wein“ findet ein lebensmüder Wanderer zu Weihnachten seine Zuflucht: „Wanderer tritt still herein, / Schmerz versteinerte die Schwelle. / Da erglänzt in reiner Helle / Auf dem Tische Brot und Wein.“
Wir leben allerdings längst noch nicht im Paradiese, wir irren alle miteinander in der Geschichte herum, und diese spielt sich bekanntlich im „Tal der Tränen“ ab. Doch auch hier entfaltet der Wein mitunter seine krampflösende Kraft.
Ich entsinne mich der dionysischen Reden des seligen Leopold Figl, die imstande waren, den Österreichern Mut zuzusprechen, an die vertraulichen Heurigenpartien, wo einstige politische Feinde im Zeichen des Weines zusammenfanden. Unvergesslich die Karikatur zu den brisanten Verhandlungen um den österreichischen Staatsvertrag im Kreml: „Jetzt singst noch die Reblaus, dann san s’ wach“, mit dem zitherspielenden Julius Raab, der die Sowjets im Zeichen des Weines sanftmütig gestimmt haben soll. Und hat nicht Figl einmal beim Wein mit dem Chruschtschow um ein Schweinderl gewettet? Er hat gewonnen!
Freilich, im christlichen Verständnis sind Dionysos/ Bacchus, aber auch Figl und Raab nur die Protagonisten einer vagen irdischen Vorahnung des Mysteriums der Eucharistie, wenngleich dennoch Protagonisten einer Vorahnung.
„Unter den Fichten dort, unter den Trauben“ sehnt sich Hölderlin nach dem Paradiese. Und Trakl tröstet sich in der Dunkelheit mit der Gewissheit: „Vielen ist ein Tisch bereitet / Und das Haus ist wohlbestellt.“ Es wird also „a Wein sein und mia wer’n immer sein“. „In vino veritas“? Ja, wie tröstlich ...