Zukunft des Christentums#
Vom Papstkreuz, von der Präsenz des Religiösen im öffentlichen Raum und deren Kritikern: Kursorische Anmerkungen zur Debatte um Säkularisierung und Wiederkehr der Religion. #
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 21. Juni 2012).
Von
Rudolf Mitlöhner
„Hat die Säkularisierung nicht das Christentum entschärft, heruntergekühlt auf zivilisatorisch verträgliche Temperatur?“
Wer also ist der Herr über die Stadt Wien? Glaubt man dem Physiker Heinz Oberhummer, seines Zeichens Obmann der „Initiative Religion ist Privatsache“ (IRiP), ist es niemand Geringerer als Gott selbst. Daneben muss Michael Häupl (v)erblassen. Zwingendes Indiz für Oberhummers Befund ist das generalsanierte und soeben im Rahmen einer Segensfeier gewissermaßen der Öffentlichkeit wieder übergebene sogenannte Papstkreuz im Donaupark. Es erinnert an den Gottesdienst, den Papst Johannes Paul II. bei seinem Österreich-Besuch 1983 an dieser Stelle mit 250.000 Menschen feierte und markiert somit auch einen Höhepunkt des jüngeren, postkonziliaren österreichischen Katholizismus, der nur wenige Jahre später in einem ungeahnten Ausmaß zu erodieren beginnen sollte.
42 Meter, 56 Tonnen … #
Knapp dreißig Jahre später wird dieses Erinnerungszeichen offenbar dennoch als Bedrohung empfunden, als Ausdruck eines unangemessenen Macht- und Herrschaftsanspruchs, als ein „pompöses Prestigeobjekt, um zu zeigen“ – siehe oben – „wer der Herr in der Stadt Wien ist“, so Oberhummer. Um der Causa den Hautgout des Skandalösen zu verleihen, weist die „Initiative“ darauf hin, dass sich die Gemeinde Wien zur Hälfte an den Sanierungskosten von insgesamt 200.000 Euro beteiligt habe und dass das Kreuz – horribile dictu – immerhin 42 Meter hoch (und 56 Tonnen schwer) sei. Eine 42 Meter hohe Stahlkonstruktion am Rande der Stadt, neben dem 252 Meter hohen Donauturm, im Umfeld von UNO-City und jeder Menge Hochhäuser – na wenn das kein forscher Herrschaftsanspruch ist! Vorwärts, Häupl – in hoc signo vinces („in diesem Zeichen wirst du siegen“)!
Nein, im Ernst: Man müsste Oberhummer und seiner IRiP nicht soviel Beachtung schenken, wenngleich sie durch zunehmende Umtriebigkeit auffällt und zweifellos vor dem Hintergrund der kircheninternen Verwerfungen Morgenluft wittert – was legitim ist. Und auch das Papstkreuz könnte man – im doppelten Sinn – so stehen lassen. Doch hinter dem aktuellen Anlassfall leuchtet einmal mehr die brisante Frage nach der Präsenz von Religion im öffentlichen Raum auf – und die IRiP ist nur eine von mehreren Organisationen, die zugespitzt und kämpferisch für Ziele agiert, die dem lauen Beliebigkeitsagnostizismus der breiten Masse durchaus entgegenkommen.
Klar ist auch, dass, wenn in europäischen Landen von Religion die Rede ist, das Christentum, insbesondere jenes katholischer Observanz, im Fokus steht. Die Debatte über die Sichtbarkeit des Islam wird auf einer anderen Ebene, auch in anderer Tonalität geführt – hat aber zweifellos die Sensibilität für die Thematik insgesamt geschärft: Kirchtürme und Minarette, Glocken und Muezzin, Kopftuch und Ordens-/Klerikergewand werden heute zusammengedacht – ob und inwieweit zu Recht, ist eben Gegenstand der Kontroverse.
Kultur- und Glaubenszeugnisse #
Für das Christentum in Europa gilt freilich, dass sich, zu Ende gedacht, die Frage nach seiner Präsenz im öffentlichen Raum gar nicht sinnvoll stellen lässt. Denn mehr als Kruzifixe, Mönchskutten, mehr als jedes Papstkreuz – all dies ließe sich notfalls aus der Öffentlichkeit verbannen – prägen ja historische bauliche Dokumente das Bild unserer Städte und Dörfer: von den Domen und Kathedralen in den Zentren über die Klöster in der Landschaft bis hin zu den Madonnen- und Heiligenfiguren in zahllosen Häusernischen. Dem entspricht der Niederschlag christlichen Glaubens in Musik, Literatur, bildender Kunst – und natürlich auch in der Geistesgeschichte, in der philosophisch- denkerischen Auseinandersetzung mit Welt und Mensch. Das alles sind gleichermaßen kulturhistorische Denkmäler in Stein, Bild, Ton oder Wort – wie auch Zeugnisse gelebten Glaubens. Wer an der öffentlichen Sichtbarkeit des Christentums Anstoß nimmt, müsste zuallererst an diesen Zeugnissen Anstoß nehmen. Zu Ende gedacht, liefe das auf das Postulat einer Art rückwirkenden Entflechtung der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte hinaus – was freilich nur absurd genannt werden kann.
Aber die Säkularisierung! Hat diese nicht all die religiös konnotierten, aufgeladenen Symbole und damit das Christentum insgesamt entschärft, relativiert, heruntergekühlt auf zivilisatorisch verträgliche Temperatur? Einer, der sich mit diesem Thema wie kaum sonst jemand beschäftigt hat, ist der kanadische Philosoph Charles Taylor, der dieser Tage wieder einmal in Wien, beim Institut für die Wissenschaften vom Menschen und auf der Katholisch-Theologischen Fakultät, zu Gast war. Der 80-jährige Taylor, selbst Katholik, steht gewissermaßen zwischen den Fronten. Er wendet sich strikt gegen eine eindimensional religionskritische Sicht von Säkularisierung, wonach der Zugewinn an Freiheit und Autonomie notwendig mit dem Niedergang von Religion verbunden sei. Gleichzeitig macht er aber auch klar, dass er keineswegs einer Rechristianisierung oder gar Rekatholisierung das Wort redet.
Kein Zurück hinter die Säkularisierung #
Sein Thema ist das Zueinander von Religion und Moderne, getragen von der Überzeugung, dass Religion ihre Potenziale in einer säkularen Gesellschaft besser entfalten kann als in einer vormodern-religiösen: weil Religion, christliche zumal, nicht im Widerspruch zu Freiheit und Autonomie steht, sondern diese für sein Selbstverständnis konstitutiv sind. Das Christentum, so könnte man vielleicht daran anknüpfend sagen, kommt demnach in der Moderne, die sich ja ganz wesentlich auch aus christlichen Quellen speist, erst zu sich.
Mit Sicherheit ist indes Religion für Charles Taylor eines nicht: Privatsache. Denn Religion braucht Frei- und Schutzräume, um gerade in der säkularen Gesellschaft wirken zu können; sie erschöpft sich eben gerade nicht im „etwaigen privaten Herrgottswinkel“, von dem die IRiP spöttisch auf ihrer Website spricht. Gerade das Christentum ist eine res publica, eine öffentliche Angelegenheit: in seinem Handeln, aber auch in seinem Feiern und in seinen Symbolen – bis hin zu Prozessionen und Papstkreuz. Umgekehrt muss sich freilich auch das Chris tentum, gerade wenn es diesen öffentlichen Anspruch ernst nimmt, gefallen lassen, kritisch befragt und zur Rede gestellt zu werden. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Die Zukunft des Christentums entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob es genügend Menschen gibt, die dazu bereit und imstande sind. Aber unter diesem Anspruch wird es in einer säkularen Gesellschaft nicht gehen. Und billiger sollten es die Christen auch gar nicht geben wollen.