Der radikale Schnitt#
Wie der "Bubikopf" in den zwanziger Jahren sowohl die Geschlechterordnung als auch die politischen Anschauungen durcheinander brachte#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 18. Dezember 2009) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Susanne Breuss
"Die schöne Frau", ein Magazin für Kosmetik und Körperpflege, brachte 1926 einen Beitrag unter der Überschrift "Wenn die Kaiserin Elisabeth von Österreich einen Bubikopf getragen hätte!" Zur Illustration dieser Überlegung waren neben einem bekannten Sisi-Portrait auch zwei retouchierte Versionen mit Bubikopf- Frisuren abgedruckt.
Diese Gedankenspielerei erscheint im historischen Rückblick als Ausdruck einer aus den Fugen geratenen Geschlechterordnung. Sisis berühmt üppige Haarpracht war Zeichen einer normativ fixierten Form von Weiblichkeit, wie sie bis zum Ersten Weltkrieg Geltung hatte. Lange Haare galten bis dahin als Inbegriff von Weiblichkeit, sie waren die übliche, von niemandem in Frage gestellte Haartracht der Frauen und Mädchen, auch wenn sie bei erwachsenen Frauen in der Regel durch Hochsteck- und Flechtfrisuren gebändigt wurden. Umso schockierender musste es anmuten, als in den 1920er Jahren im Zuge des allgemeinen Trends zu einer Versachlichung und Vereinfachung der Frauenmode nicht nur die Kleider, sondern auch die Haare immer kürzer wurden. Und zwar so kurz, dass nicht wenigen – vor allem männlichen – Zeitgenossen das Schreckbild einer geschlechtlich indifferenten, nicht mehr eindeutig als Frau erkennbaren, mit Männern durchaus verwechselbaren Gestalt vor Augen trat.
Die "Neue Frau"#
Der "Bubikopf" oder "Bubenkopf" avancierte in den zwanziger Jahren zum signifikantesten Merkmal und Symbol der "Neuen Frau". Er stand für Emanzipation, Selbstbestimmung, Fortschrittlichkeit, Modernität und Urbanität. Während der Kriegsjahre erstmals in den USA aufgetaucht, erreichte er Anfang der zwanziger Jahre Europa, unter anderem durch den Einfluss der französischen Modeschöpferin Coco Chanel, die für sich in Anspruch nahm, den Kurzhaarschnitt popularisiert zu haben. Zunächst wurde der Bubikopf vor allem durch Film- und Revuestars wie Louise Brooks, Asta Nielsen oder Josephine Baker bekannt, aber auch Schriftstellerinnen und Künstlerinnen zählten zu den Vorreiterinnen dieser neuen Frisurenmode. Der Bubikopf erhitzte vor allem in seiner Anfangszeit in einem heute nur noch schwer vorstellbaren Ausmaß die Gemüter, denn vielen galt er als Ausdruck und Symbol einer drohenden "Vermännlichung" der Frauen. Wie nicht anders zu erwarten, wurde das kurzgeschnittene Frauenhaar ein beliebtes Thema für Karikaturen, und die Medien veröffentlichten Pro- und Contra-Stimmen, ja sogar Horrorgeschichten über Glatzenbildung als drohende Folge waren im Umlauf. Während die einen den Bubikopf als praktisch, hygienisch, fortschrittlich und zeitgemäß begrüßten, lehnten ihn andere als unweiblich, unmoralisch, unschön, würdelos, dekadent und undeutsch ab.
Sogar wissenschaftliche Untersuchungen beschäftigten sich mit dem neuen Haarschnitt. Die berühmte sozialpsychologische Studie von Erich Fromm über "Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches" aus dem Jahr 1929 enthielt auch die Frage "Gefällt Ihnen der Bubikopf?" Allerdings interessierte ihn diese Frage weniger hinsichtlich der ästhetischen Einstellung zu einer Mode, sondern in Bezug auf die Haltung der Befragten gegenüber den mit dieser Frisur assoziierbaren Wertbegriffen wie Frauenemanzipation und Fortschrittlichkeit. Die Antworten fielen großteils zustimmend aus. Lediglich die Älteren und die politisch rechts Stehenden tendierten deutlich zu einer ablehnenden Haltung. Sie beharrten zum Teil kategorisch auf dem langen Haar als Merkmal "natürlicher" weiblicher Schönheit.
Der Bubikopf tangierte aber nicht nur die Geschlechterordnung, sondern auch die politischen Haltungen. Konservativklerikalen sowie deutsch-nationalen Kreisen war er nicht zuletzt deshalb ein Ärgernis, weil er im sozialdemokratischen und kommunistischen Milieu für das neue Selbstbewusstsein der jungen, klassenbewussten Proletarierin stand – sie verunglimpften ihn daher als "Propaganda für den Bolschewismus". Der linke Journalist Ernst Fischer hingegen zählte ihn zu den "republikanischen Institutionen" und sah in ihm einen Ausdruck für freieres Denken.
Ähnliches konstatierte ein gewisser Richard Wagner in "Die Unzufriedene": "Wir, die Zukunft wollenden und bejahenden Sozialisten, haben, obgleich wir dem noch immer vorherrschenden Geschlecht der Männer angehören, keinen Anlaß, in das reaktionäre und erfolglose Entrüstungsgeschrei über Bubikopf und Frauenhose mit einzustimmen. Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Geschlechter, neue Schönheit, freie und ehrliche Sittlichkeit, das muß unsere Stellungnahme sein."
Der Architekt Adolf Loos, der sich in zahlreichen Texten kritisch über Phänomene des Alltagslebens äußerte, hielt es grundsätzlich für eine Frechheit, wenn sich Männer anmaßten, aufgrund ihrer persönlichen erotischen Vorlieben den Frauen die Haarlänge vorzuschreiben. Mit der Behauptung, langes Frauenhaar sei normal, ja naturgemäß, konnte er vor dem Hintergrund historischer und interkultureller Vergleiche überhaupt nichts anfangen. Zu solchen Auffassungen meinte er nur lakonisch: "Weshalb aber lange Haare weiblich und kurze männlich sein sollen – darüber mögen sich die alten Weiber unter den Männern den leeren Kopf zerbrechen." Glaubt man zeitgenössischen Berichten, so hat der Bubikopf bei seinem Erscheinen nicht nur zu heftigen Kontroversen, sondern sogar zu Familientragödien und Selbstmordversuchen geführt. Er war zunächst tatsächlich so etwas wie eine öffentlich demonstrierte Weltanschauung und galt vielen als ein Vorrecht der jungen Generation. Übrigens beklagten nicht nur Männer den Verlust des langen Frauenhaars. Ältere und konservativere Frauen hatten ebenfalls ihre Probleme damit und trugen weiterhin langes, in der Regel jedoch hochgestecktes Haar.
Frauen, die vor dem radikalen Schnitt zurückschreckten, aber trotzdem mit der Mode gehen wollten, behalfen sich mit Steckfrisuren, die die Silhouette des Bubikopfs nachahmten. Auch die Friseure waren mit den ihrer Meinung nach " glatt geschorenen" Köpfen nicht recht glücklich, denn, in der Tradition der Wiener Frisierkunst stehend, sahen sie sich gerne als „Bildhauer“ mit künstlerischen Ambitionen. Das mehr oder weniger simple Abschneiden der Haare ging so manchem gegen die Berufsehre. Doch auch die Kurzhaarfrisuren erforderten die Beherrschung entsprechender Schnitttechniken, und so gab es jahrelang eine starke Nachfrage nach qualifizierten „Bubikopf-Friseuren“.
Vom Protest zur Mode#
Als sich dann gegen Ende der zwanziger Jahre der Kurzhaarschnitt bei Frauen von der ausgesprochenen Protesthaltung zu einer verbreiteten Modefrisur entwickelt hatte, glätteten sich nicht nur die Wogen wieder einigermaßen, es war nun auch eine große Bandbreite an Ausformungen üblich geworden. Im Unterschied zu anderen Großstädten dominierte in Wien insgesamt das Bestreben, den "Stich ins Männliche" durch möglichst feminin und verspielt anmutende Details abzuschwächen.
Die Wienerinnen hatten sich zwar an die praktische Frisur gewöhnt, aber auf die "weibliche Note" wollten sie nicht verzichten. Um nicht verwildert und ungepflegt zu wirken, sollte der Bubikopf besonders gut gepflegt werden – und zwar mit dem erklärten Ziel, die "weiblichen" Haareigenschaften wie Feinheit, Geschmeidigkeit und Glanz zu erhalten.
Eine andere Methode, die Kurzhaarfrisur der Frauen von jener der Männer zu unterscheiden, war deren Präparierung mittels Ondulation, Wasser- oder Dauerwelle. Letztere hielt rasch Einzug in das Angebot der Friseure, denn sie erfreute sich aufgrund ihrer Haltbarkeit und Unempfindlichkeit bei sportlicher Betätigung großer Beliebtheit. Außerdem kamen gelockte bzw. gewellte Haare dem zunehmend wieder femininer werdenden Modeideal an der Wende zu den dreißiger Jahren entgegen.
Im Verlauf der dreißiger Jahre machte sich auch verstärkt eine "deutsche", ja explizit antisemitische Haltung gegenüber dem Bubikopf bemerkbar. So reimte etwa der niederösterreichische Dechant Georg Pfeifer in seiner 1931 erschienenen Lyriksammlung "Der Bubikopf und andere 'Dummheiten'" einigermaßen holprig:
"Leider auch die deutsche Maid
unser’m Volk zu Schmach und Leid
einst geachtet weit und breit
ob der edlen Sittsamkeit
Warf von sich die läst’ge Bürde
und damit die Menschenwürde
hat entweiht die Menschenblume
das gereicht ihr nicht zum Ruhme."
Hier klingt schon an, was in den nachfolgenden Jahren deutlicher formuliert werden sollte: der Bubikopf galt als "jüdische" Mode und Sinnbild für großstädtische Verderbtheit. Im Dritten Reich schließlich lautete ein weit verbreiteter Kinderreim: "Deutsche Maid, sei gescheit: Nur ein Judenmädel trägt einen Bubischädel".
Auch wenn die Kurzhaarfrisur in der Zwischenkriegszeit vielfach als Ausdruck der "Vermännlichung" interpretiert wurde, ist dieser Eindruck doch zu relativieren. Nur wenige mutige oder extravagante Frauen trugen nämlich richtige Herrenschnitte. Eher passend erscheint daher das Etikett „Verkindlichung“ – bezeichnenderweise hieß die populäre Frisur ja auch „Bubikopf“ und nicht „Männerkopf“. Im Zusammenhang mit dem damals herrschenden Jugendlichkeitskult ist zudem aufschlussreich, dass auch die Entfernung der Körperhaare – welche bekanntlich bei beiden Geschlechtern zu den Merkmalen der Geschlechtsreife zählen – zu einem wichtigen Thema wurde. Nicht nur verloren die Männer mit der modischen Bartlosigkeit ihre vormaligen Männlichkeitssymbole, auch bei Frauen wurde als Folge der beinfreien und ärmellosen Kleider die Rasur der Beine und Achselhöhlen obligat. Für eine jugendliche Erscheinung mussten Männer wie Frauen Haare lassen.