Freude an der Völkervielfalt#
Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek sind vielfach unbekannte Ansichten der Völker der Habsburgermonarchie zu sehen. Die Ausstellung ist aber viel mehr als bloß eine nostalgische Rückschau – sie zeigt die kulturelle Moderne dieses Vielvölkerreiches.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 19. Mai 2011).
Von
Severin Heinisch
Im Vergleich zur mittlerweile dominierenden Blockbuster-Philosophie der großen Museen ist der Ausstellungsbetrieb der Österreichischen Nationalbibliothek eine wohltuende Ausnahme. Die aktuelle Präsentation ist vergleichsweise unspektakulär, aber sie bietet einen faszinierenden Einblick in den Versuch der Habsburgermonarchie, sich dem eindimensionalen Nationalstaatskonzept des 19. Jahrhunderts entgegenzustemmen. Dazu kommt ein schöner und umfangreicher Katalog, der vom Kurator und Sammlungsleiter Hans Petschar mit wissenschaftlicher Akribie gestaltet und kommentiert wurde, und der auch im Buchhandel erhältlich ist.
Verstellter Blick#
Um 1800 begann man erstmals, das Territorium des österreichischen Imperiums in seinen vielen Dimensionen zu erfassen. Das betraf die nüchterne topografische Vermessung und genaue kartografische Erfassung, aber auch die Darstellung der landschaftlichen Schönheiten und vor allem der ethnischen Vielfalt mit der Beschreibung der Gebräuche und Mentalitäten der Bewohner sowie schließlich die Erfassung der wirtschaftlichen Potentiale. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution sollte damit auch ein Gegenmodell zum französischen Nationalstaat propagiert werden, geprägt durch Vielfalt in Harmonie.
Gerade im Licht der aktuellen Integrationsdebatte fällt dabei auf, wie sehr unser Blick durch die virulenten Nationalismen in Europa verstellt ist. Mehr als ein Jahrhundert war man stolz auf die Vielfalt und den kulturellen und wirtschaftlichen Reichtum der Völker im Alpen-, Adria-, und Donauraum. Erzherzog Johann hat seine Kammermaler und Geographen in die entlegensten Gebiete der Monarchie geschickt, um genau das zu dokumentieren. Viele Originale, die in populären Druckschriften international reproduziert wurden, wurden der kaiserlichen Fideikomißbibliothek einverleibt, deren Bestände lange Zeit unbeachtet in der Österreichischen Nationalbibliothek lagen. Das gilt insbesondere auch für die um 1830 entstandenen statistischen Tafeln – inklusive ethnografischer Abhandlungen des Nepomuk Freiherrn von Metzburg, die einen ungewöhnlich detaillierten Einblick in die ethnische, wirtschaftliche und kulturelle Vielfalt der Monarchie geben.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde auf Initiative von Kronprinz Rudolf noch ein letztes Mal der Versuch unternommen, die Völker der Monarchie gleichberechtigt darzustellen. Im größten editorischen Unternehmen seiner Zeit wurden die namhaftesten Wissenschafter, Publizisten, Fotografen und Künstler der Monarchie verpflichtet und publizierten zwischen 1884 und 1902 24 deutsche und 21 ungarische Bände unter dem Titel „Die österreichischungarische Monarchie in Wort und Bild“. Dieses „Kronprinzenwerk“ wurde – zumindest im österreichischen Teil der Monarchie – ungeheuer populär. Auf die Gleichwertigkeit in der Darstellung der Volksgruppen unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Bedeutung wurde besonders geachtet. Darunter finden sich auch Namen wie Huzulen, Podhalanen, Phillippowaner, Goralen und andere, die durch die nationalen Einebnungen des 20. Jahrhunderts aus unserer Erinnerung verschwunden sind und uns heute fremd klingen.
Moderne Habsburger#
Wenn heute multinationale Unternehmen unter dem Schlagwort „Diversity Management“ versuchen, der kulturellen und ethnischen Vielfalt ihrer Mitarbeiter nicht nur tolerant zu begegnen, sondern diese aktiv zu fördern, weil ihr ein erheblicher Mehrwert innewohnt, dann mutet der Versuch der Habsburger im 19. Jahrhundert erstaunlich modern an. Die „Vienna Insurance Group“ hat das erkannt und trägt dieser Idee als Sponsor der Ausstellung Rechnung.
Ausstellung:#
Altösterreich. Menschen, Länder und Völker in der Habsburgermonarchie.
Prunksaal der Nationalbibliothek
Josefsplatz 1, 1010 Wien
bis 30. Oktober, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr
Begleitbuch:#
Gleichzeitig mit der Ausstellung ist ein prächtiges Buch von Dr. Hans Petschar, dem Leiter des Grafik und Bildarchivs der Nationalbibliothek erschienen, das ein MUSS für alle ist, die sich für den Vielvölkerstaat interessieren. Das Bildmaterial ist inhaltlich und qualitativ so einmalig, wie der Text interessant ist.
Dr. Hans Petschar „Altösterreich. Menschen, Länder und Völker in der Habsburgermonarchie.“
Verlag Christian Brandstätter, € 39,90
Leider waren die "Nationalitäten" der Monarchie weit davon entfernt, gleichberechtigt zu sein. Kronprinz Rudolf scheiterte. Franz Joseph musste praktisch alles durch eine Niederlage abgerungen werden, wie etwa die Gleichstellung der Ungarn, aber nur dieser ! nach der Niederlage von Königgrätz. Die Habsburger-Monarchie ist ein klassisches Paradigma für das Scheitern eines Vielvölkerstaates......, die vielfachen Ungleichheiten förderten die Zentrifugalkräfte enorm. Beleg: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wollten die bis dahin Unterdrückten endlich ihre eigenen Staaten und gründeten diese auch, nachdem durch die Ereignisse die Dynastie abgeschüttelt werden konnte...
-- Glaubauf Karl, Mittwoch, 25. Mai 2011, 18:10