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Den Konflikt schürt die Politik#

Vielfalt der Lebensentwürfe statt Klischees des Gemeindebaubewohners#


Von der Wiener Zeitung, (Mittwoch, 13. Februar 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Thomas Müller


Forscher-Team sprach mit Bewohnern über das Leben im Gemeindebau.#

Foto-Serie 'Into the Living Rooms'
Mit den Interviews entstand auch die Foto-Serie "Into the Living Rooms" (2010-2011).
© Simonetta Ferfoglia, Heinrich Pichler, Julia Rosenberger

Wien. Über die Wiener Gemeindebauten wird viel geredet und viel geschrieben, nicht zuletzt in Wahlkampfzeiten. Dass dabei viel Kluges herauskommt, ist eher unüblich. Etwas systematischer und abseits politischer Polemik hat sich ein Team von Forscherinnen und Forschern der Universität Wien an das Thema herangewagt. Unter anderem vom Wiener Wahlkampf 2010 inspiriert, haben sie unter Leitung der Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger das Forschungsprojekt "living rooms: The art of mobilizing belonging(s)" gestartet. Die grundlegenden Fragen lauteten: Wie wird das Gefühl von Zugehörigkeit von den Bewohnern beschrieben? Wie wird es von den politischen Parteien mobilisiert? Die Antworten suchten die Forscher einige Monate lang in drei Gemeindebauten in Wien Margareten - ob bei Veranstaltungen, in umliegenden Lokalen, in den Höfen oder meist in den eigenen vier Wänden der Befragten. Deren Wohnzimmer wurden für ein angeschlossenes Kunstprojekt auch fotografiert.

Klischees von schrulligen Gemeindebaubewohnern, wie sie der "Kaisermühlen Blues" oder zuletzt der Privatsender ATV kultivierte, haben die Forscher nicht gefunden. Vielmehr war es eine Vielfalt der Lebensentwürfe, die in den oft recht kleinen Wohnungen aus den 1920er Jahren Platz finden. "Ziel war kein repräsentatives Sample, sondern wir wollten möglichst verschiedene Gruppen dabei haben. Junge, Alte, Arbeiterinnen, Migranten zum Beispiel", erklären die Politikwissenschafterin und Projekt-Mitarbeiterin Julia Mourão Permoser. "Wir haben so lange weiter rekrutiert, bis aus jeder Gruppe wer dabei war." Besonders schwierig sei es bei älteren Bewohnern gewesen, denn diese wollten eher keine Fremden in ihre Wohnungen lassen. Am Ende standen den Forschern 30 ausführliche Interviews als Grundlage zur Verfügung.

Da erzählt etwa eine ältere Dame, die sich ihre Wohnung als eleganten Salon eingerichtet hat, von ihrer Liebe zu Wien, die sie auch gerne in Form von Wienerliedern besingt.

Kärntner Heimat als Sehnsuchtsort#

Oder ein junger Mann, der sich gleichzeitig als Punk und Patriot bezeichnet und den kleinen Kärntner Ort Burgen zu seiner Heimat erklärt, wo er eigentlich nur zwei Jahre gelebt hat. Dass seine Mutter von dort kommt, reicht vollkommen aus, um sehnsüchtige und nostalgische Gefühle für diesen Ort zu entwickeln. In seiner Wohnung hängt sowohl eine große österreichische Fahne als auch eine Bob-Marley-Fahne. Obwohl er selbst von Sozialleistungen lebt, ist er kritisch gegenüber Einwanderern, die das ebenfalls tun.

Am weitesten entfernt ist die Heimat der Familie Kaya, wie sie anonymisiert im Forschungsbericht genannt wird. In ihrem Wohnzimmer ist die Türkei und hier vor allem die Heimatstadt Imasos omnipräsent. An den Wänden hängen unter anderem Kalligrafien, Gebetsketten und eine türkische Fahne aus Stuck. Während des Interviews läuft ein Fernsehprogramm, das praktisch nur Straßenszenen aus Imasos umfasst oder türkische Hochzeiten in der Diaspora. Die Elterngeneration, die als Gastarbeiter nach Wien gekommen ist, sieht in der alten Heimat noch immer ein Idealbild. Deren Kindern ist bereits bewusst, dass sie in der Türkei praktisch nur noch Touristen sind, aber auch als Österreicher fühlen sie sich nicht. "Mein Eindruck war, wenn man die Menschen individuell befragt, kommt das ethnische Element nicht sehr stark hervor. Eher in Konfliktsituationen", resümiert Permoser ihre Besuche in den Gemeindebau-Wohnungen.

Sie standen zwar nicht im Mittelpunkt der Forschung, aber die Konflikte im Gemeindebau waren als Thema bei den Gesprächen nur schwer zu vermeiden. Dabei kamen auch die in den Medien eher selten befragten Einwanderer zu Wort. "Unsere Erfahrung war, dass Menschen mit Migrationshintergrund versuchen, dieses Thema zu vermeiden und sagen: ,Wir haben keine Probleme‘, und sie wollen sich auch nicht als Auslöser von Problemen sehen", berichtet Permoser, die selbst einige der Interviews geführt hat. "Es gab bei einigen Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit, vor allem bei den türkischen Familien." Die häufigste Aussage, die den Forschern begegnete, war allerdings: "Es gibt Konflikte, aber nicht mit mir!"

Kommunikation der Parteien dringt in Alltag#

Diese Wahrnehmung ohne eigene Erfahrung sei sowohl für Bewohner mit als auch solche ohne Migrationshintergrund typisch gewesen, so die Politikwissenschafterin. "Dort, wo Konflikte tatsächlich auftauchen, werden sie einerseits einer bestimmten Herkunft zugeschrieben und andererseits gerne von den Medien aufgegriffen", weiß Studienleiterin Sieglinde Rosenberger. Sozialer Wandel werde als ethnischer Wandel gedeutet. Für Rosenberger zeigt das, wie die politische Kommunikation der Parteien bis in den Alltag durchdringe. Eine Rolle spielen hier eigentlich nur die SPÖ und die FPÖ: "Während die FPÖ versucht, ethnische Zugehörigkeit zu politisieren, versucht die SPÖ das Ganze in eine entpolitisierte Frage des Zusammenlebens und der Regeln umzudeuten." Wie bei den Interviews immer wieder festgestellt wurde, werden diese Zugänge im Alltag dann auch gerne vermischt, wenn es sinngemäß heißt: "Die Ausländer halten sich nicht an die Regeln, sie gehören nicht dazu."

Und wie könnte nun ein Exit-Szenario aus diesem Wechselspiel aus Politik und Alltagserfahrung aussehen? "Diese Vielfalt, die wir in den Gemeindebauten gesehen haben, auch abgesehen vom Migrationshintergrund, müsste politisch mehr anerkannt werden. Auch in den Medien kommt das nicht an", findet Permoser. "In einer Wettbewerbssituation wie einem Wahlkampf gibt es natürlich ein Interesse an einem Konflikt", meint dazu Rosenberger. "Gleichzeitig sehen wir auch große Zufriedenheit in den Gemeindebauten. Aber so lange Konflikte überbewertet und ethnisiert werden, und da geradezu ein Bedarf besteht, sehe ich hier keinen Ausweg." Allenfalls sei abzuwarten, wohin die Strategie der Zugehörigkeit durch Regel-Einhaltung führe, die die SPÖ propagiert. Verschoben habe sich auch die FPÖ-Kommunikation in Richtung der Eingebürgerten, die nun teilweise als "gute Ausländer" gelten. Ein vorläufiges Fazit der Forscherin: "Da könnte sich noch einiges bewegen, wir können neugierig sein, wie es weitergeht."

Wiener Zeitung, Mittwoch, 13. Februar 2013