Genies waren in ihrem Lehrplan vorgesehen #
Sie war Revolutionärin der Mädchenbildung, Sozialarbeiterin und Mäzenin: Eugenie Schwarzwalds Biografie „Langeweile ist Gift“ zeichnet ein facettenreiches Sittenbild der Wiener Moderne.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 14. Februar 2013)
Von
Petra Fosen-Schlichtinger
Für die einen war sie „die Frau Doktor“, eine Frau, die vor Einfällen sprudelte und vor Leben strahlte. Für die anderen war sie frech, schrill und laut, überaus redselig, jemand, der seine Umgebung ständig in Aufruhr versetzte. Eugenie Schwarzwald prägte das Leben in Wien um die Jahrhundertwende entscheidend mit: Als Grande Dame der Pädagogik sollte sie Meilensteine in der Mädchenbildung setzen. Ihre vielen Sozial- und Selbsthilfeinitiativen wurden unter dem Namen „Schwarzwald`sches Wohlfahrtswerk“ bekannt. 1872 wird Schwarzwald als Eugenie Nussbaum in Galizien geboren, wo sie die Lehrerinnenbildungsanstalt besucht, aber nicht abschließt. Weil Frauen der Zugang zur Universität im Habsburgerreich noch verwehrt ist, geht sie zum Studium nach Zürich, wo sie 1900 als erste Frau im Fach Germanistik promoviert. Von den Beamten der Monarchie wird ihr akademischer Grad jedoch nie anerkannt. Im selben Jahr heiratet sie ihren Jugendfreund Hermann. „Hemme“ ist ihr Alter Ego und unterstützt sie – für damals ungewöhnlich - bei all ihren Plänen tatkräftig. Ihre lebenslange Beziehung sprengt die Normen einer bürgerlichen Ehe: Das Ehepaar Schwarzwald führt eine Ménage à trois mit Maria Stiasny, einer ehemaligen Schülerin und Mitarbeiterin Schwarzwalds.
Die erste Matura für Mädchen #
Ihre Lebensaufgabe fi ndet Eugenie Schwarzwald, als sie 1901 ein Mädchenlyzeum am Wiener Franziskanerplatz übernimmt. Dort verwirklicht sie ihre Vision von einer „fröhlichen Schule“, an der sich Mädchen mit Musik und bildender Kunst gleichermaßen beschäftigen wie mit Mathematik und Chemie. Schwarzwalds Mädchenlyzeum wird die erste Schule in Österreich, an der Mädchen maturieren dürfen. Sie baut die Schule zum ersten Realgymnasium mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt für Mädchen aus und gründet die erste koedukative Volksschule Österreichs. „Langeweile ist Gift“ lautet Schwarzwalds pädagogisches Motto: Unterricht müsse anregend sein und die Persönlichkeit formen, ist die Reformpädagogin überzeugt. Ihre eigene Schulzeit beschreibt sie als „Kerker und Tretmühle“. Als Direktorin der „Schwarzwald`schen Schulanstalten“ gewinnt sie namhafte Künstler wie Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg oder Adolf Loos für den Unterricht. Unter ihren Schülern befi nden sich die Schauspielerin Helene Weigel, der spätere US-Ökonom Peter Drucker oder die Schriftstellerin Hilde Spiel. Parallel zu ihrer pädagogischen Arbeit führt die Netzwerkerin Schwarzwald einen Salon, engagiert sich sozial und arbeitet journalistisch. „Es lebe die Protektion“ lautete das Motto der Weltverbesserin, die selbst kinderlos bleibt, aber alle unter ihre Fittiche nehmen will. Sie richtet während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit die „Schwarzwaldküchen“ in Wien und später in Berlin ein. Ab 1918 führt sie Ferienkolonien für Kinder und Jugendliche am Semmering und am Grundlsee, um ihnen Sport- und Erholungsmöglichkeiten fern vom kriegsgebeutelten Wien zu bieten. „Langeweile ist Gift“ lautet auch der Titel der Schwarzwald-Biografi e, die Deborah Holmes, englische Literaturwissenschaftlerin und Kulturhistorikerin, im Auftrag des Ludwig Boltzmann Institutes verfasst hat. In sechsjähriger Recherchearbeit reiste Holmes an Schwarzwalds Wirkungsorte, befragte ehemalige Schüler und durchforstete Archive in den USA, Dänemark und in der Schweiz. Trotz detailreicher Ausführungen auf rund 360 Seiten bleibt die Privatperson Schwarzwald seltsam schemenhaft. Holmes Stärke liegt viel mehr in ihren Beschreibungen des Bildungswesens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Autorin zeichnet ein facettenreiches Bild der sich verschlechternden Lebensumstände nach dem Auseinanderbrechen der Monarchie.
Ächtung, Armut und Exil #
An vielen Stellen zeigt Schwarzwalds Biografi e, welche Probleme es einer engagierten Frau damals bereitete, ihren Weg zu gehen: So wird der unbequemen Reformerin etwa ein männlicher Kollege als Schulleiter vorgesetzt. Spätestens in den Dreißigerjahren bekommt die Jüdin Schwarzwald die zunehmenden antisemitischen Ressentiments in voller Härte zu spüren: Die Nazis schließen ihre Schule und „arisieren“ ihre Wiener Wohnung genauso wie ihr Feriendomizil am Grundlsee. 1938 kann Schwarzwald gerade noch ins Schweizer Exil fl üchten, wo sie zwei Jahre später völlig verarmt an Brustkrebs stirbt. Es ist „ein Tod in Würde, im eigenen Bett“, für jüdische Menschen in der NS-Zeit geradezu ein Geschenk, so Holmes, deren Biografi e hier endet. Zeitgenossen erinnern sich an Schwarzwald als einen rastlosen Menschen, eine starke und emanzipierte Frau, die Bildung als Schlüssel zur Unabhängigkeit sah. Dass in Wien noch keine Tafel an Eugenie Schwarzwald erinnert, liegt laut Biografi n an einer antisemitischen Bemerkung, die Schwarzwald 1931 in einem Brief tätigte.
Langeweile ist Gift. Das Leben der Eugenie Schwarzwald.
Von Deborah Holmes
Residenz Verlag 2012 360 Seiten, gebunden, € 28,90