„Fraudoktor" Eugenie Schwarzwald und die Lebensluft der neuen Schule: #
Gewaltfreiheit, Kreativität und Matura für Mädchen!#
Von
Irmgard Neubauer
Eugenie Nussbaum, geboren 1872 in Polupanowka bei Tarnopol in Galizien, wuchs in Czernowitz, einer multikulturellen Stadt in der Bukowina, dem Randgebiet der Monarchie auf. Sie besuchte das Lyzeum und für drei Jahre das Lehrerinnenseminar, das sie aber frühzeitig verlässt. Über ihre Gründe schrieb sie:
"In solchen Kleidern, mit einer solchen Haartracht konnte man nicht jung sein. Unser Geist trug ein Fischbeinkorsett und in unsere Herzen gruben sich Metallschienen. Wer so aussah, konnte weder denken noch fühlen...War man reich, wartete man auf einen Mann...Die Zwischenzeit zwischen Schule und Ehe wurde eben vertrödelt, weil es nicht lohnt, einen Zustand, der keine Dauer verspricht, zu füllen. War man arm, dann wartete man erst recht auf einen Mann, denn er war der einzige Gewinn in der Lebenslotterie."
Sie selbst wollte auf keinen Fall heiraten, sie wollte studieren. Eugenie ging nach Zürich, damals die einzige Stadt in Europa, wo Frauen studieren durften. Sie war damit eine der Pionierinnen des Frauenstudiums und am 30.Juli 1900 promovierte sie zur Dr. Phil.„Fraudoktor" Eugenie Schwarzwald und die Lebensluft der neuen Schule: Gewaltfreiheit, Kreativität und Matura für Mädchen!
Im selben Jahr übersiedelte sie nach Wien und heiratete kurz darauf doch, und zwar Hermann Schwarzwald. 1901 übernahm sie von Eleonore Jeiteles das Mädchen-Lyceum am Franziskanerplatz, das später (1913) in die Wallnerstraße übersiedelte. Während des Ersten Weltkriegs richtete Eugenie Schwarzwald Gemeinschaftsküchen, Tagesheime, Land- und Ferienheime für Kinder und Erwachsene ein.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus dem Mädchen-Lyceum ein ganzes Schulzentrum: dazu gehörten eine koedukativ geführte Volksschule (ab 1903/04), eine Kleinkinderschule für 3- bis 6-Jährige (1913/1914), ein Realgymnasium sowie humanistische und allgemeine gymnasiale Fortbildungskurse. Der Unterricht war zwar kostenpflichtig, doch arme und begabte Schülerinnen erhielten einen Freiplatz. 1914/15 kamen ein einjähriger Hausfrauenkurs und chemische Fachkurse für Frauen hinzu. Ab 1916/17 beherbergte die Schwarzwaldschule auch eine Rechtsakademie für Frauen.
Das ab 1911 geführte achtklassige Mädchenrealgymnasium war die erste Schule in Österreich, an der Mädchen maturieren konnten - die vierjährigen humanistischen Gymnasialkurse und die dreijährigen Fortbildungskurse machten in Österreich Mädchen und jungen Frauen erstmals den Weg zur Universität frei.
Die jüdische Intellektuelle, die allseits "Fraudoktor" genannt wurde, durfte ihre Schule offiziell nicht selbst leiten, denn ihr in Zürich erworbener akademischer Grad wurde in Österreich nicht anerkannt. Auch fehlte ihr die Lehramtsprüfung. Das Ministerum genehmigte ihr erst mal die provisorische Leitung der Schule – allerdings nur für drei Jahre. Anschließend wurde ihr die Genehmigung für die „provisorischen Leitung“ nicht weiter erteilt und Eugenie Schwarzwald musste Prof. Ludwig Dörfler als offiziellen Leiter der Schule anstellen.
Die Grundideen der Pädagogik von Eugenie Schwarzwald, die auch in Kontakt und Austausch mit Maria Montessori stand, waren Gewaltfreiheit und Kreativitätsförderung - insbesondere von Mädchen und jungen Frauen. In ihrem Buch „Die Lebensluft der neuen Schule“ schreibt sie: „Die Schule muss versuchen, eine Künstlereigenschaft, die alle Kinder besitzen - die Vitalität - zu erwecken und zu erhalten.“
Fröhlichkeit statt Langeweile (welche sie als Gift betrachtete) lautete ihr Grundsatz. Angstfreies Lernen, Freizeit mit Freundinnen, Besuche in der Oper und im Burgtheater, Waldspaziergänge und Turnunterreicht am Dachgarten der Schule waren fixer Bestandteil des Unterrichts. Sie stellte u.a.Adolf Loos und Arnold Schönberg als Lehrer für ihre Schule an - und auch den damals sehr umstrittenen Oskar Kokoschka als Zeichenlehrer, der dringend Geld braucht, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
Letzterer durfte allerdings nicht lange bleiben - die Schulbehörde intervenierte. Doch Eugenie Schwarzwald ließ sich nicht so einfach abwimmeln, sogar bis zum Unterrichtsminister drang sie vor: "Exzellenz, Oskar Kokoschka ist ein Genie, man weiß es nur noch nicht!". Es half nichts - sie erhielt darauf nur die lapidare Antwort: "Genies sind im Lehrplan nicht vorgesehen."
Ihre eigene Schulzeit beschrieb sie als „Kerker und Tretmühle“ - und das wollte sie künftigen Generationen ersparen: „Ich wollte eine Schule, die ich mir gewünscht hatte, wenigsten anderen verschaffen.“
Schule sollte für Kinder Freude, nicht Langweile oder gar Schmerz, bringen und sie wünschte sich, dass ihre Schülerinnen „den letzten Schultag als traurigsten Tag im Jahr bezeichnen.“
Das dürfte ihr sehr gut gelungen sein – ehemalige Schülerinnen (wie z.B. die Schriftstellerinnen Hilde Spiel und Vicky Baum, die Schauspielerin Helene Weigel und die Psychoanalytikerin Else Pappenheim) beschrieben die Zeit in der Schwarzwaldschule als die glücklichsten Jahre ihres Lebens.
Schwarzwalds Ideen bildeten die Grundlage für Otto Glöckels umfassende Schulreform nach 1918, welche das „Rote Wien“ prägte. Otto Glöckel sagte über sie: „Eugenie Schwarzwald hatte die Schulreform schon praktisch geübt, als selbst noch ihre Theorie unbekannt war.“
1926, zum 25-jährigen Bestehen der Schwarzwaldschule reisen ehemalige Schülerinnen an, tragen Gedichte vor und sogar der Präsident des Stadtschulrates ist voll des Lobes: "Die Leiterin und Begründerin der Schwarzwaldschulen pflegt durchzusetzen, was sie sich vorgenommen hat."
1938, als die Nazis in Österreich einmarschierten, befand sich Eugenie Schwarzwald auf einer Vortragsreise in Dänemark und auch, weil sie sich dort einer Brustkrebsoperation unterziehen wollte. Da ahnte sie noch nicht, dass sie nicht mehr nach Österreich zurückkehren sollte. Währenddessen verkauften die Nazis ihren Besitz, liquidierten ihr Vermögen und schlossen ihre Schule. Nicht alle ihrer (jüdischen) Schülerinnen konnten rechtzeitig fliehen. Sie selbst emigrierte in die Schweiz, kurz davor schrieb sie noch einem Freund: "Mein Haus in Wien ist weg, das in Grundlsee muss schleunigst verkauft werden. Gerettet wird nichts, aber das macht mich nicht so traurig, als der Verlust meines Lebenswerkes und die gegenwärtige Trennung."
Sie starb 1940 in Zürich.
Leider erinnert in Wien keine Gedenktafel an Eugenie Schwarzwald, die bis heute in der Geschichte des österreichischen Bildungswesens als Pionierin der Reformpädagogik gilt.
Literatur#
- Heike Herberg/Heidi Wagner: Wiener Melange - Frauen zwischen Salon und Kaffeehaus, Edition Ebersbach, Berlin 2002
- Eugenie Schwarzwald, Beatrix Schiferer, Arno Russegger, Renate Göllner: Eugenie Schwarzwald und ihr Kreis, Picus Verlag, Wien 2002
- Alice Herdan-Zuckmayer: Genies sind im Lehrplan nicht vorgesehen, S. Fischer Verlag, Frankfurt 3. Auflage 1980
© Irmgard Neubauer