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Digitale Störungen des Kapitals #

Der Kapitalismus nimmt der Arbeit die Erdschwere, die Digitalisierung eliminiert den Menschen. Wie geht es weiter in einem System, das seinen Schöpfer abschafft? #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE, 15. März 2018

Das Gespräch führte

Oliver Tanzer


Debatte in Dürnstein
Debatte in Dürnstein. Das Stift Dürnstein und Prälat Fürnsinn sind Gastgeber und Initiatoren des Symposions Dürnstein. Vortragende Komlosy und Binswanger (m.) bei der FURCHE-Diskussion mit Oliver Tanzer.
Foto: Sigrid Rulitz

Fortschritt als Gefahr? Bis zu 30 Prozent der bestehenden Jobs könnten mit der Digitalisierung wegfallen. Was tun mit jenen, die nicht umgeschult werden können? Woher die Steuern nehmen, die heute aus der Lohnsteuer kommen?

Was bedeutet Arbeit im Zeichen der Digitalisierung und was soll mit jenen geschehen, die das System in die Arbeitslosigkeit abschiebt? Ein Meinungsaustausch zwischen Ethik, Geschichtswissenschaft und Ökonomie: Prälat Maximilian Fürnsinn, die Historikerin Andrea Komlosy und der Ökonom Mathias Binswanger.

Die Furche: Das Symposion Dürnstein hatte sich dieses Jahr einen Spruch des Apostels Paulus als Titel gewählt: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Dieses Wort steht in Gegensatz zu einer Stelle im Matthäusevangelium, in der Jesus mit dem Satz zitiert wird: „Seht die Vögel unter dem Himmel, sie arbeiten nicht, sie säen nicht und der Herr sorgt doch für sie.“ Unter eben diesen beiden Polen läuft auch unsere aktuelle Diskussion zwischen bedingungslosem Grundeinkommen und bedingungsloser Arbeitsgesellschaft. Wo stehen wir ethisch?

Maximilian Fürnsinn: Ich knüpfe an den Begriff der Arbeitsgesellschaft an. Wir sind durch die modernen Entwicklungen, Automatisierung, Digitalisierung in diese Richtung getrimmt. Das beginnt schon mit der Bildung und Erziehung. Konrad Paul Liessmann sagt, Bildung komme ihm heute so vor wie eine Kompetenzerzeugungsmaschine. Man trimmt alles auf Kompetenzen hin, was bedeutet, dass wir andere Bereiche stark vernachlässigen. Wir wollen die Menschen möglichst schnell in dieses wirtschaftsdominierte System bringen. Das wird zum Problem. Natürlich gehört die Arbeit zur conditio humana. Aber heute geht die Entwicklung dahin, dass uns im Zuge der Digitalisierung die Arbeit ausgeht.

Andrea Komlosy: Sie sagen, dass die Arbeit zur conditio humana gehört: Wenn man durch die verschiedenen historischen Phasen geht, gibt es vor dem, was wir Kapitalismus nennen, eine Werktätigkeit, die durchsetzt war von Phasen des Spiels, des Kults und der Muße. Eigentlich also in einer großen Gelassenheit verrichtet wurde. Der Begriff der Muße ist ein ganz wichtiger.

Mathias Binswanger: Die Muße ist ja schon Teil der Schöpfungsgeschichte. Gott erschafft die Welt in sechs Tagen und am siebenten ruht er, das ist schon ein fundamentaler Bestandteil der Erschaffung der Welt und auch ein sehr wichtiger. Gott und Mensch brauchen Arbeit, aber auch Muße.

Komlosy: Erst im 18. Jahrhundert wird Arbeit rein nutzenorientiert, utilitaristisch begriffen, von Ökonomen, die dann die Muße als Müßiggang diffamieren.

Die Furche: Herr Binswanger, nach ökonomischer Lesart hat mit dem Kapitalismus aber der Reichtum begonnen, im Sinne des Wachstums. Also mit Arbeit ohne Muße.

Binswanger: Der Kapitalismus ist entstanden mit der Möglichkeit zu investieren und damit das Kapital zu einem wesentlichen Produktionsfaktor neben der Arbeit zu machen. Damit wurde das Wirtschaftswachstum in Gang gesetzt. Das war ursprünglich etwas Positives, da Menschen heute im Durchschnitt unter wesentlich besseren Umständen leben als im 19. Jahrhundert. Aber heute wird das Wachstum mehr und mehr zu einem Zwang. Wir wissen nicht mehr, wozu wir noch mehr materiellen Wohlstand erwirtschaften sollen. Man kann vielleicht mit Nietzsche sagen, Gott ist tot, er hat sich aus dem Leben der meisten Menschen entfernt. Und er wurde ersetzt durch die Hoffnung auf ein besseres Leben durch mehr materiellen Wohlstand. Das ist aber für einen wachsenden Anteil der Menschen in entwickelten Ländern kein glaubhaftes Heilsversprechen mehr.

Maximilian Fürnsinn
Maximilian Fürnsinn
Foto: Sigrid Rulitz

Komlosy: Ich sehe nicht, dass der Wachstumszwang zu mehr Wohlstand geführt hat. Sehen wir uns doch die Arbeitshäuser an und andere Institutionen dieser Anfangszeit. Menschen, die vorher im Rahmen ihres Standes genügsam gelebt haben, wurden dazu gebracht, intensiver und regelmäßiger nach einem neuen Takt zu leben. Das war eine massive Zwangsmaßnahme, in der die Menschen in den Takt der Maschine hineingedrillt worden sind. So gesehen sehe ich die positive Seite nicht.

Binswanger: Aber heute leben wir doch in sehr guten Verhältnissen. Ich glaube, es hat noch nie ein so großer Teil der Gesellschaft in so viel materiellem Wohlstand gelebt. Und das möchte ich nicht kleinreden, bei aller Kritik an diesem System. Weil dieser Zwang zum Wachstum immer auch ein Drang war, die Situation zu verbessern.

Komlosy: Ein wichtiger Punkt ist doch: Das, was sich an Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherheit im 19. und 20. Jahrhundert in den alten Industrieländern verbessert hat, ging auf Kosten des Restes der Welt. Ohne die ungleiche internationale Arbeitsverteilung, die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskraft im Kolonialismus wäre es nicht gelungen, diese Art von Wachstum und auch die Möglichkeit zur Krisenüberwindungen zu schaffen. Nur so war es dann den Unternehmern möglich, den Arbeitern zu Hause Zugeständnisse zu machen. Der Kapitalismus hat manchen Wohlstand gebracht, vielen anderen aber nicht.

Binswanger: Ich glaube aber, dass sich die Situation auch global verbessert hat. Es gibt weniger Menschen, die unterhalb einer absoluten Armutsgrenze leben.

Fürnsinn: Ich will da einen Gedanken einwerfen zu Wachstum und übermäßigem Wachstum aus der Erfahrung der Ordensgemeinschaften. In der Benediktregel heißt es „ora et labora“, bete und arbeite. Du musst also einen gewissen Ausgleich schaffen. Es ist interessant, was etwa die Kartäuser in Bezug auf die Arbeit gemacht haben. Jeder Kartäuser bewohnt ja sein eigenes Haus und hat seinen Garten und erzeugt Produkte. Er gibt von den von ihm erzeugten Produkten einen gewissen Teil ab, damit das Kloster existieren kann. Aber wenn er darüber hinaus zuviel produziert, muss er die Gefäße, die er zuviel produziert hat, zerstören. Das alles, um eben nicht in diesen Leistungszwang zu verfallen. Wir glauben ja immer, mehr ist mehr. Aber hier geht es um das Gegenteil. Das heißt, ich kann eine gewisse Reduktion vornehmen, die tut mir gut zu meiner menschlichen Entwicklung.

Binswanger: Das ist ein zentraler Gedanke. Alle traditionellen Gesellschaften haben immer Wert darauf gelegt, Maß zu halten, weil das dem Menschen guttut. Alle Zustände, die wir als gut empfinden, sind Zustände, bei denen sich verschiedene Kräfte die Waage halten. Zum Beispiel Freiheit und Sicherheit. Oder Verzicht und Konsum. Dieser Ausgleich gerät aber in Widerspruch zu unserer Wirtschaft, die darauf ausgelegt ist, dass man immer mehr konsumieren soll.

Die Furche: Wie kommt es eigentlich, dass ein solches System des Wachstums und des Kapitalismus im Christentum erfunden wurde und seine Erfolge feierte?

Fürnsinn: Ich glaube, es ist eine protestantische Erfindung (lacht). Gerade im calvinistischen Raum, wo man sogar den Wohlstand als ein besonderes Geschenk Gottes verstanden hat. Wenn du Wohlstand hast, dann bist du ein von Gott Gewollter und Gesegneter. Das kommt auch schon im Alten Testament so vor – ein gefährlicher Satz.

Komlosy: Ich meine, der Kapitalismus ist kein christliches System. Es ist ein ökonomisches System, das aus gewissen Bedingungen, sozialer Differenzierung und der Aneignung von Mehrprodukt entsteht. Viele der kapitalistischen Handelspraktiken haben Europäer aus dem Raum des Indischen Ozeans übernommen. Auch in China gab es bedeutende technische und organisatorische Innovationen, die eine vergleichbare ökonomische Blüte mit sich brachten.

Binswanger: Aber kein anderes System hat auch nur annähernd die gleiche Power wie das kapitalistische. Nichts konnte sich ihm entgegenstellen. Es hat alle Länder erobert in kürzester Zeit.

Komlosy: Weltgeschichtlich gesehen sind 250 Jahre aber eine sehr kurze Zeit.

Binswanger: Aber der Kapitalismus ist die erste Wirtschaftsform, die sich global erfolgreich durchgesetzt hat.

Die Furche: So erfolgreich, dass es seine Erfinder gleich miterobert hat ...

Andrea Komlosy
Andrea Komlosy
Foto: Sigrid Rulitz

Binswanger: … und seine Kritiker auch. Frühere Systeme mussten gegen ihre Kritiker vorgehen und sie mundtot machen. Das muss dieses System nicht mehr. Auch die Kritik ist willkommen, denn die schafft auch einen Markt, und dann gibt es Bücher und Veranstaltungen für die kritische Minderheit sind schon in den Markt integriert.

Komlosy: Dennoch ist derzeit ein Umbruch im Gange. Nicht, dass ich eine Linderung der Probleme des globalen Südens sehe. Aber einige große Schwellenländer wie China, die an die Regeln des Systems appellieren, setzen die alten Industrieländer massiv unter Druck und die Nervosität darüber kann man überall beobachten. Die globale Verteilungsdebatte sollte aber nicht dazu führen, uns zu fragen, wie können wir denn unsere Privilegien absichern, sondern: Wie fangen wir an umzudenken? Da wäre es wichtig einzugestehen und andere aufzuklären, dass unser westlich-konsumorientierter Weg bisher nicht der beste war und auch das Glück, das damit verbunden wird, ein Bumerang ist, der das Wohlbefinden zerstört.

Fürnsinn: Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber wenn die Digitalisierung so weitergeht, werden wir doch gesellschaftlich vor einigen unglaublich großen Herausforderungen stehen. Ich weiß beispielsweise nicht, ob unser Generationenvertrag halten wird. Wenn immer weniger Menschen Arbeit haben, wie geht das weiter? Wie werden wir Wohlstand und Arbeit verteilen? Zeigt sich da nicht ein Paradigmenwechsel?

Komlosy: Welche gestalterischen Kräfte sehen Sie denn außerhalb des Marktes?

Fürnsinn: Zum Beispiel Religionsgemeinschaften und Kirchen, vielleicht müssen wir Institutionen erfinden, die den Wandel betreiben, sonst bleibt das ja theoretisch. Vor allem, wenn man sieht, dass die Staaten gegenüber den internationalen Konzernen immer weniger Einfluss haben. Ich sehe da ein völlig neues Spannungsverhältnis, das man nicht dem Markt alleine überlassen darf. Wenn der Markt alleine spricht, werden wir bald eine Zehntagewoche haben – überspitzt formuliert. Alles wird auf den Markt ausgerichtet sein. Familie, Beziehungen, Religion und Kunst könnten unter die Räder kommen.

Komlosy: Je globaler das System ist und je stärker die Verflechtungen mit der Politik, desto schwieriger ist es, Alternativen zu denken. Ich sehe einerseits, dass das Kapital die Staaten antreibt, ihnen die entsprechenden Bedingungen zu schaffen, andererseits profitiert ja auch die Politik vom Kapital. Sie will diese Wirtschaft ja auch besteuern und lässt sich von ihr in die Pflicht nehmen. Es ist eine Verflechtung von Interessen und das macht es schwer, Widerstand zu leisten.

Binswanger: Das System beruht letztlich auf Glücksversprechen, die es nicht einlösen kann. Denn was man wirklich möchte, ist selten käuflich. Begehrte Dinge wie Liebe, Anerkennung oder Freude bleiben auch bei materiellem Überfluss knapp. Stattdessen muss man sich dann mit einem neuen iPhone oder einem neuen Auto als Ersatz begnügen. Hier setzt dann oft die Unzufriedenheit ein, was dazu führt, dass Menschen vermehrt die Frage stellen, was dieses ganze Streben nach immer mehr materiellem Wohlstand soll. Wozu rackere ich mich Tag für Tag ab und was ist das Ziel meiner Tätigkeit? Der Wunsch, immer mehr Geld zu verdienen, reicht irgendwann nicht mehr. Erst wenn man solche Widersprüche aufzeigt, setzt auch ein Umdenken ein.

Mathias Binswanger
Mathias Binswanger
Foto: Sigrid Rulitz

Komlosy: Das sehe ich auch so. Als Inseln des Widerstands sehe ich die reziproke Arbeit, den Widerstand gegen das Verwandeln von gegenseitiger Sorge und Versorgung in ein neues Produkt. Lassen wir uns von der Digitalisierung doch nicht wegrationalisieren. Wenn wir uns in der Arbeit verwirklichen wollen, dann wollen wir Dinge auch angreifen und uns mit dem Produkt identifizieren. Hier könnte die Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Derzeit laufen die Förderungen in die umgekehrte Richtung. Die Politik könnte genauso gut sagen, je ökologischer und sozialer, desto mehr wird gefördert. Das könnte viel bewirken.

Fürnsinn: Ganz wird die Politik auch nicht an der Frage des Grundeinkommens vorbeikommen. Das muss entschieden werden. Insofern wird die Politik auch da gezwungen sein, Stellung zu beziehen.

Komlosy: Ich sehe das Grundeinkommen als einen Steigerungsschritt im kapitalistischen System selbst. Zuerst behauptet man, es gäbe nicht genug Arbeit, und dann geben wir denen, die aus der Erwerbsarbeit herausfallen, dieses Einkommen. Das löst das Problem nicht. Jeder sollte Zugang zu Erwerbseinkommen haben und auf dieser Basis die Möglichkeit und auch die Verpflichtung, ehrenamtliche Arbeit zu leisten.

Fürnsinn: Ein solches Grundeinkommen bedeutet für mich nicht, dass es vollkommen zum Leben ausreichen soll, sondern dass man auch selbst Erwerb dazu geben muss. Das halte ich für sehr wichtig.

Die Furche: Wie sieht für Sie die Welt in 50 Jahren aus, wenn sie sich wünschenswert entwickeln würde?

Binswanger: Die größte Chance der Digitalisierung sehe ich darin, dass die traditionelle Unterscheidung von Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmt und dass wir wegkommen von dieser fixen Trennung, die uns in der Zeit der Industrialisierung aufgezwungen wurde. Arbeit wird man in Zukunft nicht mehr an Stunden festmachen können, sondern es geht darum, gewisse Aufgaben zu erfüllen. Wo und wann man diese genau erfüllt, ist dem Einzelnen dann frei gestellt. Und im Idealfall macht die Erfüllung dieser Aufgaben sogar Freude.

Komlosy: Ich würde mir eine dezentralere Welt wünschen, in der die Globalisierung an ihre Grenzen stößt und sich auf wenige Dinge beschränkt, in denen ein globaler Austausch Sinn macht. Es würde Vorrangregeln für regionales Wirtschaften geben. Dadurch wären entspanntere Arbeitsverhältnisse und Arbeitsformen möglich.

Fürnsinn: Wir sind heute stark an Marktwirtschaft orientiert und nicht an Gemeinwirtschaft. Wir sind am Verdienen orientiert, und die anderen Momente des Menschseins kommen einfach zu wenig zum Tragen. Ich würde mir wünschen, dass Wirtschaft sich in eine kooperative Richtung entwickelt, nicht so sehr in Richtung Konkurrenz. Auch die anderen Bedingungen des Menschseins wären dann möglich.

DIE FURCHE, 15. März 2018