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Schattenwesen der Konsumparadiese #

Tiere sind die namenlosen Opfer einer industrialisierten Mast. Sie sind Waren und bedürfen einer starken Lobby. Ein Plädoyer für Achtung und Achtsamkeit im Umgang mit hilflosen Geschöpfen. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 31. Juli 2014)

Von

Björn Hayer


Hühnermast
Hühnermast
Foto: © Shutterstock

Die Regale der Wohlstandsgesellschaft sind reich bestückt. Das saftige Fleisch der Theken, kompakt in allerlei Stückelung und Zubereitung, lockt den Verbraucher mit günstigen Preisen. Erst in den letzten Jahren stellen sich Verbraucher verstärkt die Frage nach den Quellen allen Überflusses. Die Schreckensbilder im Fernsehen über industrielle Mastaufzucht von Tieren, die meist als mit toll klingenden Zertifikaten versehene Waren im Einkaufskorb landen, bewirken allmählich ein Umdenken. Dass die Forderungen nach adäquater Haltung jenseits der Tierschutzverbände zum Thema der politischen Grundsatzdebatten werden, ist überfällig. Jährlich werden Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen entweder geschreddert oder mit Giftgas getötet. Das Licht der Welt für all jene, die nicht als Legehenne zu gebrauchen sind, ist nur die Kulisse für eine schauerliche Todesmaschinerie.

Nun denken Experten über eine Hormonprüfung des Eis vor der Schlüpfung oder eine etwaig kostspieligere Aufzucht der männlichen Küken zur Fleischproduktion nach. Doch die ordnungspolitischen Maßnahmen verdecken nur den Abgrund. Nicht zuletzt der Bestseller „Tiere essen“ (2010) von Jonathan S. Foer dokumentiert die umfassenden Folgen eines noch immer wachsenden Fleischkonsums für Mensch und Umwelt: Dieser führt zu einer höheren Treibhausbelastung als der globale Verkehr, Gülle-Seen so groß wie manch ein Provinzdorf, CO2-Ausstoß durch umständliche und Tier-quälende Transportstrecken sowie Regenwaldabholzung zum Bau neuer Zuchtstätten.

Impulse durch Kirchen und Wissenschaft #

Bewusster mit den Ressourcen und der „Marke“ Fleisch umzugehen, ist zur Wahrung der Schöpfung unabdingbar. Selbst wenn die christlichen Schriften nicht zweifelsohne für einen asketischen Verzicht à la Vegetarismus plädieren, geht aus ihnen Maß und Mitte hervor. Bereits das Alte Testament legt einen verantwortungsbewussten Umgang des Menschen als Gottes Gärtner nahe. Während die Genesis noch generell ein gefühlvolles Miteinander fordert, wird der Katechismus Nr. 2416 schon recht klar: „Tiere sind Geschöpfe Gottes und unterstehen seiner fürsorgenden Vorsehung. Schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen sie Gott. Darum schulden ihnen auch die Menschen Wohlwollen. Erinnern wir uns, mit welchem Feingefühl die Heiligen, etwa Franz von Assisi und Philipp Neri, die Tiere behandelten.“ Was sich hieraus ableiten lässt, soll nicht als Dogmatismus zu verstehen sein, sondern als Absage an einen sinnlosen Tod, wie er etwa im profitablen, millionenfachen Kükentod stattfindet. Treiben die mächtigen Großproduzenten damit kleine und mittlere Strukturen in den Ruin, könnten die Kirchen in dieser Frage an Bedeutung gewinnen. Ihre ethischen Diskussionen um Tierschutz und Schöpfungserhalt sind eine Chance für eine zu zaghafte gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Laborratte: Forschung an Tieren
Forschung an Tieren. An Tierversuchen entzünden sich heftige Debatten: Wie können medizinische Forschung und der Tierschutz zusammengebracht werden?
Foto: © Shutterstock

Dagegen tut sich einiges in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die „Animal Studies“ befassen sich mit der literarischen Reflexion über das Verhältnis des Menschen zu seinem Vieh; die Politologen und Juristen entdecken zunehmend das Tierrecht. Die Ideen reichen von Ansätzen einer Mitleidsethik bis zur bewussten Anerkennung des Fremden. Während den einen die Menschenähnlichkeit im Sinne eines schmerz- und leidempfindlichen Wesens als Begründung für Achtung und Schutz gilt, wählen andere eine gegensätzliche Argumentation. Statt verkrampfter Spekulationen über etwaige Gemeinsamkeiten scheint Letzteren eben das Nicht-Wissen über das, was das Tier ausmacht, Ausgangspunkt einer Tierethik zu sein: Gerade weil wir nicht über genügend Kenntnisse über die Mitgeschöpfe verfügen, scheint es geboten, sie entschieden zu behüten.

Industrialisierung des Lebens #

Die Realität hingegen scheint mittelalterlich. Im Zivilrecht gelten die haarigen Begleiter als Sache, im Supermarkt als Konsumartikel, auf dessen Verpackung uns grotesk ein lachendes Schwein mit Schürze und Grillgabel entgegengrinst, und in der Pharmaindustrie als Rohmaterial für allerlei grausame Experimente. Man fühlt sich erinnert an René Descartes’ mechanistisches Weltbild. Ob Fuchs oder Kuh, Schwein oder Elefant – was in der Fauna kreucht und fleucht, sind aus seiner Sicht Maschinen. Tiere bewegen sich „wie eine Uhr, die nur aus Rädern und Federn gebaut ist“. Selbst „ihre Schmerzensschreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Rades!“ Indem sie der Philosoph ihres Gefühls- als auch jedweden Reflexionsvermögens beraubt, ebnet er den geistigen Weg zu einer Industrialisierung des Lebens. Im 20. Jahrhundert wird das Tier Teil einer auf Effizienz und Wachstum errichteten maschinellen Produktionskette.

Erst allmählich scheinen immer mehr Menschen zu begreifen, dass die Mast von Hasen, Hühnern und Kühen nicht dasselbe wie von Karotten oder Zuckerrüben ist. Es geht um Leben, das von uns eine adäquate Ethik einfordert. In einer Welt, deren Ressourcen umkämpfter werden, müssen wir auch bei unserem Speiseplan und täglichen Einkauf ein Wertebekenntnis formulieren. Dies heißt, alte Denkstrukturen zu hinterfragen. So gehört noch für viele das Fleisch zur Norm der täglichen Mahlzeit. Würden wir uns alle etwas mäßigen und nur ein bis zweimal pro Woche darauf zugreifen, wäre diese Ware wieder etwas Besonderes. Das Tier erhielte dadurch ein wenig Würde zurück.

Empathie für Tiere #

Dasselbe betrifft die Menschen, die Teil der Schlachtmaschinerie sind. Unzählige Billigkräfte aus Osteuropa übernehmen an den Förderbändern der Großschlachtereien die groben Aufgaben – schlimm genug die Ausbeutung jener modernen Arbeitssklaven. Noch schlimmer muten freilich die Folgen für das Tier an. So belegen Studien einen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsbedingungen und systematischem Sadismus gegenüber hilflosen Lebewesen. Je unfairer die Behandlung der Arbeitnehmer, desto höher der Grad an Gewalt an den Schlachttieren. Grausig erscheinen etwa auf Zeugenberichten beruhende Beschreibungen von Verletzungen am „Nutzvieh“. Zudem förderten journalistische Recherchen zutage, dass nicht wenige Tiere am Fließband aus Zeitnot oder Schlamperei bei vollem Bewusstsein getötet werden. Die behördlichen Kontrollen kommen den tausendfachen Rechtsverletzungen kaum nach. Um von der Industrialisierung wieder zur Feldarbeit vor Ort zurückzukehren, wo der Verbraucher das Tier tatsächlich auch wahrnimmt, braucht es überzeugte Konsumenten sowie nachhaltige Politiker. Seit Jahren plädieren Verbände und Parteien dafür, die EUSubventionen nicht mehr für bloße Flächen, sondern gezielt für ökologische Bewirtschaftungen zu vergeben. Auch die Verbraucher müssen bereit sein, gutes Fleisch zu einem wertschätzenden Preis zu erstatten. Bis dahin bedarf es einer starken Lobby für Tiere. Sensibilisierungen dazu sollten auch von den Schulen kommen. Couragiert schreibt sich etwa der deutsche Verein „Schüler für Tiere“ die Vermittlung von Tierschutz in Bildungseinrichtungen auf die Fahnen. Was anfangs einige als Waldschrat verschriene Pädagogen begannen, ist nun zum Deutschland- weiten Projekt avanciert, mehrfach prämiert mit Auszeichnungen wie den UNESCO- Preis für Nachhaltigkeit.

Mastschwein
Fleischkonsum. Seit 1950 hat sich der weltweite Fleischkonsum mehr als verdoppelt.
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Abgepacktes Fleisch im Supermarkt
Ärzte und Ernährungsexperten, aber auch Umweltschützer kritisieren den hohen Fleischverbrauch. Denn die Fleischproduktion trägt maßgeblich zum Klimawandel bei. Foto: © ValeStock/Shutterstock.com
Sich in die Position des Tieres einzufühlen, schult uns darin, auch unseren Mitmenschen mit mehr Empathie zu begegnen. Wenn die Bildungspolitiker den Tierschutz in die Bildungspläne aufnähmen, was sich als Querschnittthema in Ernährungskunde, Biologie und Ethik anböte, könnte dies für das soziale Klima günstig sein. Phytagoras sagte: „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück.“ Und auch Mahatma Gandhi stellte einmal klug fest: „Die Größe einer Nation und ihre moralische Reife lassen sich daran bemessen, wie sie ihre Tiere behandeln.“

Warum steht uns der Hamster im Kinderzimmer näher als jener, der oft grausam im Versuchslabor verendet? Kühe und Mastkaninchen können bekanntermaßen nicht klagen. Würden Institutionen stellvertretend für sie vor Gericht ziehen können, wäre zumindest gegen den Missbrauch einiges zu erreichen. Und beim Einkauf sind wir alle frei: Bleibt also nur die Frage, wie viel Freiheit wir bereit sind abzugeben, um sie dem fremden Leben zu gewähren.

DIE FURCHE, Donnerstag, 31. Juli 2014


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