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Der Pflegeroboter muss warten#

Die Digitalisierung ist eine große Chance für die Pflege. Gut eingesetzt, kann sie Pflegenden und Pflegebedürftigen im Alltag helfen.#


Von der Wiener Zeitung (18. Dezember 2019) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Gunnar Landsgesell


Sobald man das "Haus St. Teresa" betritt, fällt auf, wie neu und up to date sich hier alles anfühlt. In dem Pflegeheim der Caritas in Wien Donaustadt ist man auf bunte schöne Farben und ein angenehmes Ambiente bedacht. Gleich im Foyer begrüßt einen ein Baum, auf den neue Mitbewohner Karten mit ihren Vorstellungen und Bedürfnissen hängen können; und die Einzelzimmer werden – im Rahmen der Möglichkeiten – individuell nach dem Geschmack der Bewohner adaptiert. 136 Menschen leben hier, viele von ihnen sind hochbetagt, zwei Drittel sind dement. Die Caritas ist bestrebt, dass dieses Heim ein Zuhause für sie ist. Nicht Menschen sollen in eine Einrichtung kommen, sondern Betreuer zu den Menschen, die hier leben. So erklärt es Michael Huber, der Leiter des Hauses. Auch wenn es klarerweise nicht mehr so läuft wie in den eigenen vier Wänden, soll die Selbstbestimmung beim Übersiedeln nicht auf der Strecke bleiben.

Lebensqualitätsbaum
Der Lebensqualitätsbaum steht im Foyer des Pflegeheims St. Teresa der Caritas in Wien. Die Bewohnerinnen und Bewohner können hier formulieren, was Lebensqualität für sie bedeutet und auf Karten an den Baum hängen. Wer hier wohnt, soll sich zuhause fühlen.
Foto: © Christoph Liebentritt

Es hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges weiterentwickelt in der Betreuung älterer Menschen. Das hat nicht nur mit klientenorientierten Pflegekonzepten zu tun, sondern auch mit den technischen Möglichkeiten, die zunehmend auch in den Gesundheits- und Pflegesektor Einzug halten.

Die öffentliche Diskussion ist bereits von spürbarer Skepsis bestimmt. Der Pflegeroboter ist zum Sinnbild für moralische und ethische Verwerfungen einer technikgestützten Pflege geworden, die manche – vielleicht nicht zu Unrecht – befürchten. Schließlich wird die Pflege wohl zunehmend auch von Kostendruck und Effizienzbestrebungen bestimmt sein. Darüber hinaus fehlen bereits jetzt Pflegekräfte und diese Lücke wird in den kommenden zehn Jahren noch deutlich größer werden.

Was bedeutet Digitalisierung in der Pflege aber tatsächlich? Besteht Anlass zur Sorge, Roboter könnten eines nicht allzu fernen Tages Pflegekräfte ersetzen?

Mehr Zeit für die Menschen#

Im Donaustädter Pflegeheim ist der Einsatz digitaler Technologien bislang überschaubar. Neue Technologien, das wird schnell klar, haben hier ausschließlich einen Zweck: die Arbeit zu erleichtern. Die entsprechenden Lösungen muten dabei auf den ersten Blick ganz einfach an. Die EDV zur Verwaltung der Daten der Bewohnerinnen und Bewohner wurde zum Beispiel mobilisiert. Den Laptop mit diesen Daten können die Pflegerinnen und Pfleger auf einem eigenen Wagen in die Zimmer mitnehmen. Das erspart im Pflegealltag viele Wege und macht die Arbeit für die Mitarbeiter transparenter und sicherer. Es bleibt mehr Zeit für die Menschen, um die es geht.

Mehr als zwei Drittel der Bewohner im Haus St. Teresa sind von Demenz betroffen, manche stärker, andere schwächer. Das macht den Pflegebedarf intensiv. Der mit Demenz oftmals verbundene Bewegungstrieb erfordert besondere Betreuung und viel Aufmerksamkeit. "Wenn jemand hinaus auf die Straße geht, ist das mit einer großen Sorge verbunden", erzählt Huber. Im Haus Teresa hat man es mit einer digitalen Lösung als Gratwanderung zwischen Kontrolle und Freiheit geschafft.

Es gibt ein "Desorientierungssystem", das den Pflegekräften anzeigt, wenn sich jemand der Funkglocke im Eingangsbereich nähert. Die Bewohner tragen dafür eine Art schwarze Armbanduhr aus Plastik ohne Ziffernblatt und Zeiger. Huber: "Wir wollen die Leute nicht limitieren, sondern wir wollen wissen, ob sich jemand in einen Gefahrenbereich begibt." Über die Uhr am Arm gelingt dies. Die Betreuer werden automatisch informiert, sollte sich jemand potenziell in Gefahr begeben. "Darauf können wir reagieren und die Person begleiten", so Huber. Ein derartiges Eingreifen ist durch Datenschutz und Bewohnerrecht geregelt, eine Meldung an die Bewohnervertretung ist Pflicht.

Eine neue Generation von sensorverstärkten Krankenbetten, von denen bereits einige in Pflegeheimen der Caritas im Einsatz sind, ist eine weitere digitale Neuerung im Haus St. Teresa: Die Betten sind in der Lage, Feuchtigkeit zu messen. Bei Bewohnern mit Inkontinenz, die bettlägerig sind, kann Wundliegen, Dekubitus, wesentlich einfacher verhindert werden. Sobald es zu feucht wird, werden Pflegekräfte informiert und können die Bettwäsche wechseln. Niemand muss mehr unnötig gestört werden.

Sensoruhr
Eine Sensoruhr, die das Pflegepersonal benachrichtigt, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner des Pflegeheims sich dem Eingangsbereich nähert. Mehr als zwei Drittel der Bewohner im Pflegeheim sind dement und könnten sich in Gefahr begeben, wenn sie allein auf die Straße gehen. - © Christoph Liebentritt

Der Pflegeroboter muss also noch warten, auch wenn er in den Diskussionen über Pflege und Digitalisierung sehr präsent ist. Diese Präsenz mag damit zu tun haben, dass in der aktuellen Diskussion zwei parallele Entwicklungen aufeinander treffen: Der erwartete Pflegekräftemangel und die rasant fortschreitende Digitalisierung, die es jeden Moment möglich zu machen scheint, dass jedwede menschliche Tätigkeit ersetzt wird.

Pflege attraktiver machen#

In den kommenden Jahren wird es weit mehr hochbetagte und vor allem demente Menschen geben, die Pflege und intensive Betreuung brauchen werden. Eine Bedarfsprognose der Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz schätzt, dass in den nächsten zehn Jahren 327.000 Menschen in Österreich über 85 Jahre alt sein werden. In den kommenden zehn Jahren braucht Österreich 75.000 zusätzliche Pflegekräfte, so die Studie.

Inge Köberl-Hiebler, Pflegekoordinatorin der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), bestätigt den steigenden Bedarf: "Die gesellschaftliche Entwicklung ist bekannt, die Menschen werden älter, und damit gibt es auch mehr pflegebedürftige Menschen. Darauf muss man auch bei der Ausbildung reagieren", sagt die Pflegeexpertin.

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es in Zukunft aber nicht nur mehr ältere Menschen geben, die Betreuung brauchen, sondern auch weniger jüngere Menschen, die diese Betreuung übernehmen könnten und dies auch wollen. "Der wachsenden Anzahl von pflegebedürftigen Menschen stehen immer weniger Jugendliche für Ausbildungen und somit in Folge potenzielle Pflege- und Betreuungskräfte gegenüber", heißt in der Studie von Gesundheit Österreich. Der Sozialstadtrat der Stadt Wien, Peter Hacker, hat unter anderem deshalb angekündigt, auch auf den Philippinen Pflegefachkräfte ausbilden zu wollen.

Pflegekoordinatorin Köberl-Hiebler plädiert dafür, den Pflege-Beruf für junge Menschen attraktiver zu machen, damit sie sich wieder dafür interessieren. Dort sei noch viel Potenzial, meint sie. "In der Praxis sehen wir, dass dieser Beruf nicht attraktiv dargestellt wird, und auch monetär dürfte es nicht das sein, was sich junge Menschen von ihrer beruflichen Zukunft erwarten." Eine 2016 erfolgte Novellierung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, das eine Diplomausbildung an Fachhochschulen vorsieht sowie die neu geschaffene Berufsgruppe der Pflegefachassistenz hätten die Situation bislang nicht gebessert, berichtet Köberl-Hiebler.

Kann die Digitalisierung Pflege anders gestalten und den Beruf vielleicht wirklich attraktiver machen?

Digitale Selbsthilfe#

Nicht nur die Demografie lässt den Pflegebedarf steigen. Auch Pensionierungen und ein Rückgang der informellen Pflege durch Angehörige oder Freunde werden in den kommenden Jahren zum Mangel an Pflegekräften zusätzlich beitragen.

Hier setzt "Youtoo" von Michael Matzner an: 2014 erkrankte seine Mutter an Demenz. Der nunmehrige Social Entrepreneur stand voll im Berufsleben, als Einzelkind sah er sich mit der Pflegeaufgabe allein. Matzner suchte Abhilfe und entwickelte eine digitale Plattform, über die Angehörige, Freiwillige und Freunde eines pflegebedürftigen Menschen den Alltag – vom Arzt- und Friseurbesuch über Spaziergänge bis zur Reinigung der Wohnung – koordinieren können.

Matzner will Pflege wieder zu der sozialen und kooperativen Tätigkeit machen, die sie ist. "Bei ‚Youtoo‘ geht es darum, Menschen zu stimulieren, mit Personen im Alter in Kontakt zu treten und etwas Bereicherndes zu tun. Mein Gedanke war, die Digitalisierung für soziale Kontakte zu nutzen", erzählt er.

Die App ist ein großer Erfolg: Seit 2017 nutzt etwa das Ordensklinikum Barmherzige Schwestern Elisabethinen in Linz die App. Matzner erinnert sich, wie überrascht er anfangs über das Interesse war: "Ein Orden, der sich an einem Start-up beteiligt, das war damals unique." Mittlerweile aber, so sagt er, sei das Thema Digitalisierung auch in der Pflege angekommen.

Ein Anzeichen dafür dass die Digitalisierung in der Pflege angekommen ist, aber auch für den großen Bedarf an Kommunikation besonders in der häuslichen Pflege, ist wohl, dass "Youtoo" auch immer mehr von Freiwilligen-Organisationen eingesetzt wird, um unentgeltliche Hilfe zu koordinieren. "Das hat auch mit Trends zu tun: Menschen in früheren Generationen haben Geld gespendet, an die Caritas, die Volkshilfe, den WWF; heute spenden junge Menschen Zeit", glaubt der Social Entrepreneur Matzner. Wenn bei einem Studierenden etwa eine Vorlesung ausfällt, könnte er oder sie über "Youtoo" ein- oder zweistündige Tätigkeiten, wie etwa Besuche oder Einkäufe oder einen Spaziergang, buchen.

Zukünftig wird "Youtoo" auch mit "Belohnungen" in Form von Punkten arbeiten. Matzner ist überzeugt, dass die Digitalisierung soziale Kontakte ermöglichen kann bzw. die Vernetzung aller Beteiligten erleichtert. "In der Polarität einer Welt, die ausschließlich aus Pflegerobotik und menschlicher Vereinsamung besteht, wollte ich mit einem Kontrapunkt von sozialer Wärme eine Anregung schaffen."

Matzners Hoffnung besteht auch darin, die Verhältnisse real zu verändern und der Pflege zu Hause den Stress und die Isolation zu nehmen. 240.000 Pflegegeld-Bezieherinnen stehen 240.000 pflegende Angehörige gegenüber, zumeist Frauen, rechnet Matzner vor. "Das entspricht einem Verhältnis von 1:1. Vielleicht regt man Menschen an, dass dieser private unentgeltliche Pflege- und Betreuungsschlüssel sich auf 1:2 oder 1:3 verschiebt, sodass man sieht, es gibt auch andere Menschen, die hin und wieder aktiv werden." In der häuslichen Pflege ist die Isolation der Pflegenden ein großes Problem, insbesondere für pflegende Angehörige. Sich die Pflege teilen zu können oder sich mit anderen auszutauschen, kann den Alltag leichter machen.

Dr. Google für alle?#

An den Schnittstellen der demografischen und digitalen Entwicklungen stellen sich allerdings einige Herausforderungen: Wie kann die Patientensicherheit gewährleistet werden, wenn die medizinische Versorgung an Tools ausgelagert wird und Ärzte, Pflegekräfte wie auch die Patienten selbst neue Kompetenzen erlernen müssen? Wer profitiert, wer verliert bei diesen Entwicklungen? Und wie können die gesammelten und nunmehr vernetzten Daten vor Missbrauch geschützt werden? Die Digitalisierung birgt offenbar auch Risiken.

Harald Willschke ist Anästhesist und von den digitalen Möglicheiten überzeugt. Insbesondere die Telemedizin sei eine große Chance für die Pflege. Willschke leitet das neu gegründete Ludwig Boltzmann Institut Digital Health and Patient Safety. Er ist außerdem der Bereichsleiter Präklinische Notfallmedizin an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie in Wien. - © Harald Willschke Harald Willschke ist Anästhesist und von den digitalen Möglicheiten überzeugt. Insbesondere die Telemedizin sei eine große Chance für die Pflege. Willschke leitet das neu gegründete Ludwig Boltzmann Institut Digital Health and Patient Safety. Er ist außerdem der Bereichsleiter Präklinische Notfallmedizin an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie in Wien. - © Harald Willschke

Harald Willschke, Anästhesist und leitender Oberarzt an der Medizinischen Universität Wien, ist der Leiter des Ludwig Boltzmann Institute for Digital Health and Patient Safety in Wien. Es ist eines von zwei neu eingerichteten Instituten der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, die sich der Erforschung des gesamten Behandlungsweges eines Patienten, von der Erstdiagnose bis zur Reha, unter den Prämissen der Digitalisierung widmen. Ziel ist es, herauszufinden, wie das Gesundheitssystem zu einem stärker patientenorientierten System verändert werden kann.

Der digitale Behandlungsweg, dessen Konturen gerade erst sichtbar werden, ist einer der Schwerpunkte. Insbesondere geht es um die Frage, wie Gesundheitsverhalten und Patientensicherheit auf diesem digitalen Weg gestaltet werden können. Willschke spricht von drei Forschungslinien: "Eine Linie beschäftigt sich mit dem Empowerment des Healthcare-Professionals, also wie die Pflegekraft oder der Arzt dabei unterstützt werden können, dass die Medizin sicherer wird. Dabei geht es darum, Frühwarnsysteme auf der Basis von Daten zu entwickeln, wobei ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, eine zentrale Rolle spielen dürfte. Konkret heißt das etwa: Wir versuchen, anhand von Extremwert-Statistiken und mit künstlicher Intelligenz frühzeitig zu erkennen, ob ein Patient eine Sepsis hat oder ein Herzinfarkt droht, um präventiv darauf reagieren zu können. Bisher ist so etwas nicht möglich." Ein Einsatz auch außerhalb von Kliniken, etwa im Rettungsdienst, könnte eine Option für die Zukunft sein, meint Willschke.

Neben einer Verbesserung der medizinischen Prävention, ein wichtiger Baustein, wenn es um den Erhalt der Gesundheit geht, hat die zweite Forschungslinie einen eher offenen Ansatz: Man möchte versuchen, über Chat-Plattformen Lösungen für Themen wie etwa Patientensicherheit zu finden. Dafür werden Patienten in großen Foren über ihre Erfahrungen befragt. Dabei werden auch Patientenanwälte eingebunden. Die großen Mengen an Daten, die etwa Krankenhäuser über Jahre gesammelt haben, sollen ausgewertet und produktiv gemacht werden. So sollen Problembereiche lokalisiert und Ursachen für medizinische Fehler identifiziert werden.

Die dritte Forschungslinie der neuen Institute betrifft Telemedizin bzw. Tele-Health. Beides ist auch für den Pflegebereich von besonderer Relevanz, wird aber dort noch relativ wenig eingesetzt. Die Idee: Mittels Telemedizin soll medizinische Kompetenz angeboten werden, wo es derzeit wenig bis keine gibt. Konkret heißt das, dass etwa in Pflegeheimen in bestimmten Situationen eine hochausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegeperson oder ein Arzt über Video, Monitoringsysteme und sichere Datenleitungen zugeschaltet werden kann. Um Möglichkeiten wie diese auszuloten, hat das LBI eine Kooperation mit den Caritas Pflegeheimen vereinbart, unter anderem mit dem Haus St. Teresa.

Die Integration von Telemedizin in die Pflege wäre aus Sicht von Willke ein nächster Schritt in der Entwicklung der Telemedizin, die in Österreich aber noch Zukunftsmusik ist. Technisch gibt es allerdings keine Hindernisse, erzählt Willschke. "Man ist ja heute schon in der Lage, ein Ultraschallbild oder ein EKG zum Beispiel von Wien nach Chicago zu schicken und in Echtzeit beurteilen zu lassen. Und es kommen auch heute in der Notfallmedizin bereits Monitoring-Systeme zum Einsatz, wo der Patient hochaufgelöst über Video gesehen werden kann. Im Pflegebereich ist mir das aber unbekannt. Da müssen wir schauen, wie weit wir kommen, wobei natürlich auch wichtig ist, ob die Patienten und Angehörigen bereit dafür sind, dass der Arzt nicht mehr vor Ort ist."

Im Haus St. Teresa profitieren die Bewohner schon jetzt von einer Art "Telemedizin light". Praktische Ärzte müssen hier nicht für jeden Behandlungsschritt in das Pflegeheim anreisen, erzählt Pflegeheimleiter Michael Huber. "Die Bewohner bei uns im Haus haben freie Arztwahl, das heißt, es sind verschiedene praktische Ärzte, die zu uns kommen. Sie haben auch Zugang zu unserem Dokumentationssystem und können Laborwerte und andere Daten abrufen – und zwar auch in ihren eigenen Ordinationen. Das ist eine tolle Veränderung durch die Digitalisierung, weil der Arzt damit rasch medizinische Anordnungen geben kann, was ein immenser Vorteil für unsere Bewohner ist."

Artzbesuch per Video#

Angesichts der vernetzten Daten erscheint eine Video-Visite damit fast als logische Weiterentwicklung der Telemedizin. Für Harald Willschke gibt es keinen Zweifel über ihre Vorteile. Er verweist auf die USA, wo bereits das "virtuelle Krankenhaus" im Einsatz ist, das man physisch nicht betreten kann (oder muss). "So etwas wird auch in Europa kommen", glaubt der Mediziner. "Die Frage ist nur, ob wir mitspielen und die Entwicklungen mitgestalten oder ob sie uns jemand anderer vorgeben wird."

Die große Chance der digitalen Umwälzung sieht Willschke jedenfalls darin, dass in Zukunft stärker in die Prävention investiert wird. Gerade durch die Analyse und Vernetzung großer Datenmengen sei man einem Gesundheitssystem näher, das sich nicht mehr darauf beschränkt, dann zu reagieren, wenn bereits eine Erkrankung da ist.

Eines der Headquarter des Digitalgiganten Amazon in Seattle
Eines der Headquarter des Digitalgiganten Amazon in Seattle, USA. Amazon ist seit einigen Jahren auf dem Gesundheitssektor aktiv. Gesundheit ist ein lukratives Geschäft.
Foto: © APAweb / AFP Jason Redmond

Eines der Headquarter des Digitalgiganten Amazon in Seattle, USA. Amazon ist seit einigen Jahren auf dem Gesundheitssektor aktiv. Gesundheit ist ein lukratives Geschäft. - © APAweb / AFP Jason Redmond

Immer dabei: Amazon & Co.#

Ein Blick in die USA zeigt auf, welche Chancen es gibt, aber auch, warum der Diskurs über die Digitalisierung des Gesundheitsbereichs wohl nicht zu Unrecht von Skepsis getragen wird. Diese Skepsis hat nicht in erster Linie mit den Robotern zu tun, sondern mit der kommerziellen Nutzung der sensiblen Gesundheitsdaten.

Es sind derzeit vor allem große private Konzerne, die Gesundheit als lukratives Geschäft für sich entdecken. Amazon etwa rüstet gerade im Gesundheitsbereich kräftig auf: Der Online-Riese kaufte kürzlich den E-Medicine-Pionier "Health Navigator", eine Plattform, die Patienten bei der Entscheidungsfindung telemedizinisch unterstützt. Zudem erstand man "PillPack", eine Online-Apotheke, die unter anderem chronisch Erkrankte kontinuierlich mit den benötigten Medikamenten beliefert. Bereits vor zwei Jahren gründete Amazon mit zwei weiteren Unternehmen die Non-Profit-Einrichtung "Haven Healthcare", die derzeit Gesundheitsleistungen für die eigenen Angestellten bietet. Vermutungen zufolge könnte Haven aber zu einer Krankenversicherung für eine globale Kundschaft ausgebaut werden, die dann natürlich auch auf den europäischen Markt strebt.

Anfang November 2019 kündigte Google, bzw. der Mutterkonzern Alphabet, an, für 2,1 Milliarden Euro die Fitness-App "Fitbit" zu kaufen. Der beliebte Tracker zeichnet Parameter wie Herzschlag, Temperatur, Blutdruck usw. auf und sammelt damit eine Menge gesundheitlich relevanter Daten. Diese, so die Kritik, werden nur unzureichend gesichert bzw. sollen aus ihnen neue kommerzielle Produkte entstehen. Sie werden also recht schnell verwertet, ohne dass die Nutzer dies wissen oder beeinflussen können. Das Problem daran: Erhalten in Zukunft etwa Versicherungen Zugriff auf solche Datenbanken, könnte das Risiko-Assessment Leistungen für die Versicherten verteuern oder sogar zu einer Ablehnung eines Antragstellers führen. Entwicklungen, die auch Inge Köberl-Hiebler skeptisch sieht. "Als Berufsangehörige der Gesundheits- und Krankenpflege bin ich kritisch, weil man nicht weiß, woher das Wissen solcher Konzerne stammt, welche Kompetenz es gibt und ob die Daten korrekt sind. Bei chronisch Erkrankten ist man etwa auf die richtige Information über die Lebensweise angewiesen, sonst kann das zu falschen Medikationen und einem Gesundheitsrisiko führen."

"Youtoo"-Entwickler Matzner arbeitet derweil an den Chancen, die die Digitalisierung bringen könnte. Gemeinsam mit dem Ordensklinikum der Elisabethinen, der Fraunhofer Gesellschaft, einer Universität in Warschau und dem iHomeLab in Luzern sowie der Pariser Organisation E-Seniors und weiteren Partnern aus Europa entwickelt Matzner gerade ein neues Tool, um Stürze von älteren Menschen zu verhindern. Das Projekt heißt sinnigerweise "Salsa" und startete im Oktober 2019.

Matzner erklärt: "Menschen über 60 Jahre stürzen zumindest einmal im Jahr. Wir wollen die Sturzprävention mit Mitteln der künstlichen Intelligenz modernisieren. Dafür beschäftigen wir uns intensiv mit akustischer Forensik. Über ein akustisches Profil kann man erkennen, ob die Sturzgefahr einer Person sinkt oder steigt. Falls man einen Verlauf zu einem erhöhten Sturzrisiko erkennt, kann man primärpräventiv nach dem Care-on-Demand-Prinzip intervenieren und Menschen einladen, sturzpräventive Maßnahmen in Kooperation mit einem Physiotherapeuten oder einer medizinischen Fachkraft auszuführen. Das ist die schöne Seite an der Digitalisierung."

Wiener Zeitung, 18. Dezember 2019


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