Emanzipierte Weiber#
Wer sich in einer Zeit, da Frauen weder studieren noch politisch agieren durften, als Frau in der Öffentlichkeit engagierte, musste eine starke Persönlichkeit sein.#
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE .
Von
Evelyne Polt-Heinzl
Die erste bürgerliche Frauenbewegung, die sich 1893 im „Allgemeinen österreichischen Frauenverein“ sammelte, stellt Chronist/inn/en vor eine Reihe von Schwierigkeiten. Dass rasch und in wechselnden Konstellationen Zank und Hader ausbrach zwischen Rosa Mayreder, Auguste Fickert (geboren 1855), Marie Lang (geboren 1858) und Marianne Hainisch (geboren 1839), wird als peinlich empfunden und mit gewundenen Formulierungen umschifft. Doch eigentlich war das kaum anders möglich. Wer sich in einer Zeit, da Frauen weder studieren noch politisch agieren noch Verträge unterzeichnen durften, als Frau in der Öffentlichkeit zu engagieren begann, musste eine starke Persönlichkeit sein; die sind nicht immer kompatibel, das weiß man von Künstlervereinigungen jeder Art.
„Allgemeines“ und „Frauen-Wahlrecht“#
Ein weiterer Stolperstein in der Rezeption liegt in der Unwissenheit der Nachgeborenen. Noch in der Information des Bundespressedienstes zum 60. Todestag Rosa Mayreders 1998 war zu lesen: „Dieser Frauenverein stand wohl den bürgerlichen Parteien nahe, allerdings agierten die Frauen bewußt überparteilich, sie wollten ‚über dem Tagesgewühl‘ der Parteien stehen.“ Das tut so, als hätten sich die Frauen freiwillig diese Option gesucht, und das ist ein verhängnisvoller Irrtum, der mit undifferenzierten Sprachusancen zu tun hat. Als 1907 in Österreich ein Gesetz in Kraft trat, das erstmals den erwachsenen Männern aller Bevölkerungsschichten das Wahlrecht sicherte, wurde dafür der Begriff „Allgemeines Wahlrecht“ eingeführt; als elf Jahre später auch Frauen das Wahlrecht erhielten, wurde das sprachlich als eine Art Sonderregelung gefasst, indem man dafür den Begriff „Frauenwahlrecht“ erfand. Bis heute schreibt sich diese falsche Begriffl ichkeit fort, indem leicht darauf „vergessen“ wird, dass „überparteilich“ zu agieren für Frauen wie Rosa Mayreder keine freiwillige Entscheidung, sondern die einzige Option darstellte, da ihnen schon die bloße Mitgliedschaft in einem politischen Verein verboten war. Und schließlich treten bei der Generation dieser um 1850 geborenen, in der Vormoderne wurzelnden Frauen die inneren Widersprüche zwischen Emanzipations ansprüchen und inneren Ressentiments besonders schmerzlich zutage. Als die „neue Zeit“ in den 1920er Jahren für Frauen einiges möglich, anderes selbstverständlich machte, was die erste Frauenbewegung als Forderung formuliert hatte – Zugang zu Bildungsinstitutionen, Berufsmöglichkeiten, freizügigere Kleidung, Erringung von politischen und Persönlichkeitsrechten – vermochten die Pionierinnen die Formen, in denen das neue Frauenleben sich ausdrückte, nicht mehr zu verstehen. Rosa Mayreder nahm mit ihrem programmatischen Verzicht auf das Korsett zu ihrem 18. Geburtstag 1876 eine Vorreiterrolle ein im Kampf gegen die Immobilisierung der Frau durch Kleidervorschriften – auf Bildern Marie von Ebner-Eschenbachs kann man sehen, wie sie vor lauter kleiderbauschiger Steifheit nicht an ihren Schreibtisch passt. Doch die Bubikopfgeneration verstand Mayreder nicht mehr, und ihre moralische Entrüstung etwa über Josefi ne Baker unterscheidet sich nicht von den Attacken der diversen Schutzund Trutz-Vereinigungen, in denen sich im Kampf gegen den Sittenverfall die Rechte zu formieren begann.
Haarverlust durch geistige Tätigkeit#
Geboren wird Rosa Mayreder am 30. November 1858 als Tochter eines wohlhabenden Wiener Gastwirts. Der Vater ist ein despotischer Familienpatriarch, der zwar durchaus zeituntypisch auf physische Strafmaßnahmen verzichtet, dem sich aber alles zu fügen hat. Rosa wächst inmitten von 13 (Stief-)Geschwistern auf; für die Mädchen ist der Besuch von privaten Mädcheninstituten vorgesehen, dazu Französisch- und Klavierunterricht, die Teilnahme an den Griechisch- und Lateinstunden ihrer Brüder muss sie sich erkämpfen. Das Risiko, wegen geistiger Beschäftigung ihre Haare zu verlieren, wie man ihr prophezeit, nimmt sie in Kauf; schon dass sie Tagebuch schreibt, gilt als „Blaustrümpfi gkeit“. Ab 1879 nimmt sie auf Anraten des Architekten Karl Mayreder, den sie 1881 heiratet, Malunterricht bei Hugo Darnaut – an der Akademie der Bildenden Künste wurden Frauen erst 1920/21 als ordentliche Hörerinnen zugelassen. Im Kreis um Friedrich Eckstein lernt sie Marie Lang kennen, Rudolf Steiner und Hugo Wolf, für den sie das Libretto zur komischen Oper „Der Corregidor“ verfasst. Auch wenn die Oper nicht erfolgreich war, sichert ihr diese Kooperation manchen Eintrag in den historischen Darstellungen der Epoche. Denn generell ist das soziale Gefüge des intellektuellen Milieus um 1900 geprägt von der weitgehenden Absenz der Arbeiten und Publikationen jener Frauen, die gleichzeitig tätig waren. Außer sie eigneten sich gut für kollektive männliche Belustigung. Kaum einer verzichtet darauf, Eugenie Schwarzwald als Person lächerlich zu machen, wenngleich sie alle ihr geschicktes Networking gern nutzten. Karl Kraus hat sich hier wie in manchem anderen unrühmlich hervorgetan, Rosa Mayreder bekam das im Prozess rund um die Bordellbesitzerin Riehl zu spüren. Kraus apostrophierte sie als „Tugendmegäre“, als eines der hysterischen, unbefriedigten, „von der Frauennatur emanzipierten Weiber“. Während Kraus die Bordellbesitzerin gegen die bürgerliche Scheinmoral wortreich verteidigte, vor allem aber wohl prinzipiell im Bordellwesen eine nützliche und notwendige Einrichtung für die (heranwachsenden) bürgerlichen Herren sah, kämpften Rosa Mayreder und der Frauenverein gegen ein Frauenbild und seine Implikationen.
Distanz zur Sozialdemokratie#
Das wirkt rasch altbacken, doch bei aller Widersprüchlichkeit von Mayreders Persönlichkeit liegt in diesem Punkt auch ihre Kühnheit. In einer Zeit, in der von Sigmund Freud bis Otto Weininger, von Richard Krafft-Ebing bis Paul Julius Möbius – seine Abhandlung „Über den psychologischen Schwachsinn des Weibes“ erschien 1900 – sich eine wahre Publikationsfl ut mit der Erforschung und Festschreibung des Phänomens Frau beschäftigte, verfasst Mayreder ihrerseits Essay um Essay zum Thema Frau und Gesellschaft und Sexualität. Privat geriet ihr Leben zunehmend in die Krise. Ihre Ehe blieb nach einer Fehlgeburt kinderlos und scheint zunächst glücklich, bis zum Ausbruch der psychischen Krankheit ihres Mannes, zuerst Mitte der 1880er Jahre, stärker dann ab 1912. Im Ersten Weltkrieg engagiert sie sich wie viele erfolglos in der Friedensbewegung und wird zunehmend deprimiert von der allgemeinen Situation. Den Anschluss an die Zeit vermag sie nicht mehr zu fi nden, wohl auch, weil sie zeitlebens am Konzept des elitären Ausnahmemenschen festhielt – eine Annäherung an die Sozialdemokratie lehnte sie radikal ab. Die 1988 erschienenen Auszüge aus Mayreders Tagebüchern 1873 bis 1937 zeigen diese innere Zerrissenheit – auch privat mit leidenschaftlich gelebten platonischen Affären – und die enorme Energie, die für die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Fassade notwendig war. Erspart geblieben ist ihr der Einmarsch der Nationalsozialisten: Rosa Mayreder verstarb, etwas mehr als zwei Jahre nach ihrem Mann, am 19. Jänner 1938 in Wien.