Todesfreuden#
Begräbnisse werden in Wien mit Pomp und Trara begangen. Das war schon immer so. Ein Rückblick auf die Promi-Bestattungen von damals. Von Anzengruber bis Sisi.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 30. Oktober 2019
Von
Thomas Hofmann
Die Bestattung Wien startete im Jahr 2015 die Plakatkampagne "Abschied leben". Dem Thema Tod wurde mit Sprüchen wie "Mozarts Requiem? Nur über meine Leiche" mit einem Augenzwinkern begegnet. Manche mögen sich an "Bemalt meinen Sarg bunt und kommt ja nicht in Schwarz" oder den Slogan der zweiten Werbewelle "Mein Begräbnis soll einmal so laut wie mein Leben sein" erinnern. Ganz so, als wollte der Verstorbene noch eine letzte Runde schmeißen.
Der jüdische Friedhof in der heutigen Rossau ist der älteste erhaltene Friedhof Wiens. 1629 wurde er erstmals erwähnt. Man geht aber davon aus, dass hier schon ab 1540 (bis 1783) Mitglieder der jüdischen Gemeinde begraben wurden.
Retrospektiv betrachtet ist alles schon dagewesen und zwar vor 200 Jahren. Als der 79-jährige Charles Joseph Fürst von Ligne im Dezember 1814 in Wien verstarb, soll - so die "Lemberger Zeitung" vom 13. Jänner 1815 - der alte Feldmarschall und Diplomat gesagt haben: "Ich bin zu arm, um den erhabenen Gästen meines Kaisers ein Fest zu geben; wenigstens will ich ihnen ein Schauspiel verschaffen, welches sie in Wien noch nicht gesehen haben, das Begräbnis eines Feldmarschalls." Wer ihn besuchen will, findet sein schön renoviertes Grab am Kahlenberg, in einem der schönsten Friedhöfe Wiens mit einem Aus- und Weitblick, der für Wiener Friedhöfe einzigartig ist.
Wobei, das sei allen Nichtwienern gesagt, "Leich" steht nicht etwa für den Leichnam, den toten Körper. Der Terminus leitet sich vom Leichenbegängnis, dem mit Pomp und Trara inszenierten Begräbnis ab.
Was alles, dazugehört, damit dann womöglich ganz Wien sagt: "Das war a schöne Leich!", ist eine ganze Menge. Ganz gut veranschaulichen dies Begräbnisse von Prominenten. Einer der großen Männer des öffentlichen Lebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Geologe Eduard Suess. Der Universitätsprofessor war langjähriger Präsident der Akademie der Wissenschaften und gilt als "Vater" der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung. Als Suess am 26. April 1914 verstarb, wurde er in seiner Wohnung in der Afrikanergasse 9 in der Leopoldstadt aufgebahrt. Damals war es Brauch, dass Tote zu Hause aufgebahrt wurden, wo Angehörigen und Freunde bei offenem Sarg Abschied nehmen konnten. Das seiner Familie angebotene Ehrengrab der Gemeinde Wien wurde abgelehnt. Suess hatte sich ein einfaches Begräbnis gewünscht. Er wurde in seiner Wohnung eingesegnet, ehe er nach Márcfalva, dem heutigen Marz im Burgenland, überführt und im Familiengrab bestattet wurde.
Am 28. April war es im Sterbehaus sehr feierlich: "Die Wände und der Plafond der Wohnung waren schwarz drapiert. Der Sarg ruhte auf einem Podium, das von hohen Silberkandelabern mit brennenden Wachskerzen umgeben war. Zu Häupten des Sarges wölbte sich ein Baldachin aus schwarzem Tuche mit einem mächtigen Kreuz, und zu Füßen des Sarges stand ein Kruzifix. Schwerer Blumenduft erfüllte das düstere Gemach und den anstoßenden Salon. Dutzende herrlicher Gewinde aus frischen Blumen erfüllten die beiden Gemächer. Rechts und links vom Sarge standen je zwei Chargierte des alten akademischen Korps ,Marchia‘ in voller Wichs mit gezücktem Schläger auf Ehrenwache. Um den Sarg hatte sich vor zwei Uhr fast ausschließlich die Familie versammelt: die Kinder Ingenieur Adolf Sueß, Paula Neumayr-Sueß, Jur. Dr. Hermann Sueß, Professor Dr. Franz Eduard Sueß, Ingenieur Otto Sueß und Med. Dr. Erhard Sueß, die Schwiegertöchter, die Enkel und Urenkel und anderen Verwandten." So beschrieb die "Wiener Zeitung" am 29. April 1914 den Abschied des Prominenten.
Blumen, vor allem Kränze, waren und sind wichtige Zeichen der Anerkennung für Verstorbene. Kranzschleifen mit Grußadressen waren aber nicht nur Überbringer letzter Wünsche und Huldigen an den Toten, sondern auch Visitkarten derjenigen, die den Kranz gespendet hatten. Wer etwa verhindert war, an einem Begräbnis persönlich teilzunehmen, der konnte mit einem Kranz seine Referenz überweisen, oder - um es etwas überspitzt auszudrücken - er konnte sich selbst inszenieren.
Kränze für den Volksdichter Anzengruber#
Kränze wurden stets genau inspiziert. Einen Beweis finden wir beim Dichter Ludwig Anzengruber, der am 10. Dezember 1889 in Wien verstorben war. Die ihm übersandten Kränze waren ein Abbild des damaligen "Who is Who" der kulturellen Szene, wie Medienberichte belegen. "Im Laufe des gestrigen Tages wurden in das Sterbehaus [Gumpendorfer Straße 58b] des verblichenen Dichters Ludwig Anzengruber viele prächtige Blumenspenden zur Schmückung des Sarges überbracht. Unter der Menge der Blumen fallen besonders in’s Auge die Kränze von: Alexander Girardi, Verein des Deutschen Volkstheaters: ,Dem unvergeßlichen Ausschußmitgliede‘, von der Direction des Deutschen Volkstheaters: ,Dem unersetzlichen Freunde‘, von den Mitgliedern des Deutschen Volkstheaters, von Ludwig und Louise Martinelli: ,Dem Freunde‘, von der Direction und den Mitgliedern des Carl-Theaters, vom Vereine der Literaturfreunde: ,In dankbarer Erinnerung‘, von Baronin Ebner-Eschenbach, Adelar und Christine v. Breden (Ada Christen): ,Dem Dichter, dem Freunde‘, und Anderen. Aus Berlin kam ein prachtvoller Kranz von den Mitgliedern der Freien Bühne." ("Deutsches Volksblatt", 10. Dezember 1889). Anzengruber, der 1839 in Wien geboren wurde, am Zentralfriedhof ein Ehrengrab bekam (Ehrengrab Grab 14A, Nummer 1), dem 1905 ein Denkmal gesetzt wurde, der auch Namenspate der Anzengrubergasse und der Anzengruberstraße ist, bekam alle in Wien möglichen Ehrungen. Volksdichter, was willst du mehr?
Weg von den düsteren Räumen der Sterbehäuser, hinaus auf die Straße zu den Trauerzügen. Vor dem Begräbnis von Kaiserin Elisabeth am 17. September 1898 gab es sogar zwei Leichenzüge.
Tausende nehmen Abschied von Sisi#
Die Frau von Kaiser Franz Joseph wurde am 10. September 1898 von einem Anarchisten, Luigi Lucheni, in Genf mit einer Feile erdolcht. Am 15. September um 10 Uhr abends kam ihr Leichnam am Kaiserin-Elisabeth-Bahnhof - dem heutigen Westbahnhof - an. Von dort wurde er in die Hofburg überführt. "Auf der Strecke von der Penzinger Eisenbahnbrücke bis zum Perron standen 500 Bedienstete der k. k. Staatsbahnen mit brennenden Fackeln zu beiden Seiten des Geleises", war in der "Wiener Zeitung" vom 16. September 1898 zu lesen. Noch am Bahnhof, im Hofsalon, wurde sie von Burgpfarrer Dr. Laurenz Mayer eingesegnet, ehe sich der Kondukt formte, mit dem sie über die Mariahilfer Straße zur Hofburg geführt wurde.
"Wo er vorüberkam, erscholl gedämpfter Trommelwirbel. Die Menge entblößte das Haupt." In der Hofburg wartete Franz Joseph. Es war wohl einer der traurigsten Momente seines Lebens, als er den Sarg seiner Frau empfing.
Am 17. September 1898 wurde sie in der Kapuzinergruft bestattet. Der nunmehr zweite Trauerzug nahm von der Hofburgkappelle seinen Ausgang, der weitere Verlauf führte vom inneren Burgplatz über Michaeler- und Josephsplatz durch die Augustinerstraße am Philipphof vorbei, via Tegetthoffstraße zu den Kapuzinern auf den Neuen Markt. "Von der Michaeler- und Augustiner-Kirche flatterten mächtige schwarze Fahnen herab, alle Häuser waren mit Trauerfahnen geschmückt, viele Balkone und Erker schwarz drapirt."
Während die Kaiserin abermals eingesegnet wurde, hatten sich riesige Menschenmassen auf dem verhältnismäßig kurzen Weg angesammelt, um noch einen letzten Blick zu erhaschen. Die Ordnungskräfte hatten alle Mühe, den letzten Weg für den Trauerzug freizuhalten. "Nachmittags rückte das Militär in die abgesperrten Straßen und grenzte die ungeheure Menschenmenge in einer geraden Linie gegen den freigehaltenen Fahrweg ab." Erst um 4 Uhr nachmittags setzte sich der Zug von der Hofburg in Bewegung. "Ernst und würdig harrten diese ungezählten Tausende durch Stunden ruhig auf ihren Plätzen aus, um einen letzten Blick auf den Trauerzug werfen zu können, welcher die todte Kaiserin zu Ihrer letzten Ruhestätte in die Kaisergruft geleiten sollte."
Drehen wir das Rad der Zeit ein Stück weiter, ins Jahr 1913. Am 11. Februar war der sozialdemokratische Politiker Franz Schuhmeier Opfer eines politischen Attentats geworden. Paul Kunschak, der arbeitslose Bruder des Begründers der christlichen Arbeiterbewegung und späteren Nationalratspräsidenten Leopold Kunschak, hatte ihn am Nordwestbahnhof erschossen.
Am Sonntag, dem 16. Februar 1913, war am Ottakringer Friedhof das Begräbnis. Die Trauerfeierlichkeiten begannen um zwei Uhr nachmittags im Ottakringer Arbeiterheim, Kreitnergasse 29-33, der Zentrale der Ottakringer Sozialdemokraten.
Schumeiers Begräbnis als politischer Akt#
Die "Arbeiter-Zeitung", das Organ der sozialdemokratischen Arbeiterschaft, schildert in der Nachlese am Tag danach alles über "Franz Schumeiers letzte Fahrt". Dass er sie nicht alleine antreten würde, war klar. Dass sich aber "Eine Viertelmillion Trauergäste" versammeln würde, hat alle überrascht und die damaligen Rekorde weit übertroffen. "Von überwältigendster Wirkung war der Zug, vom Eisenbahnviadukt der Vorortelinie aus gesehen." Doch nicht nur am Gürtel und in Ottakrings Straßen wimmelte es nur so von Menschen. Auch auf den damals noch nicht verbauten Areal rund um den Ottakringer Friedhof harrten die Trauernden aus.
"Den Feldern entlang standen sie dicht gedrängt, Männer und Frauen, manche von ihnen aufs dürftigste gekleidet, fröstelnd in der scharfen Winterluft, aber doch voll Geduld, die die Verehrung und Teilnahme für einen unsäglich teuren Toten gibt. ,Hab’n S’ ’hn aa kennt? Wer hat ’n Schuhmeier net kennt, wer?‘ Das war eine Frage, die man, an den Reihen vorübergehend, immer wieder hören konnte."
Aus allen Bezirken waren Delegationen und Züge gekommen, die zu einem einzigen Menschenzuge verschmolzen. "Das war eine gewaltige Heerschau." Alleine im Friedhof säumten 1800 Ordner den Weg zum Grab. Wer es nicht glaubt, der findet "Das Leichenbegängnis des Reichstagsabgeordneten Franz Schuhmeier" als Doku auch im Internet.
Selbstredend wurde Schuhmeier in einem ehrenhalber gewidmeten Grab (Gruppe 14, Reihe 1, Nummer 1/2) bestattet.
Weiters lebt sein Name im Ottakringer Schuhmeierhof sowie in der Franz-Schuhmeier-Gasse in Liesing und die Schuhmeierbrücke in Penzing weiter fort. Eine "schöne Leich" mit allem, was dazugehört.