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Risse im Fundament des Internets#

Bisher hält es sich erstaunlich gut, jedoch hat das Netz heute einen anderen Stellenwert als bei seiner Gründung. Demokratiepolitisch ist Obacht angesagt. Schon lange gibt es "die Gesellschaft" nicht mehr.#


Von der Wiener Zeitung (29. November 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Wolfgang Glass


Vereinfacht gesagt kann man Internet-Verbindungen mit dem Telefonieren vergleichen: Sie wollen Teilnehmer X anrufen, geben eine Nummer ein und werden dann von einer Vermittlungsstelle durchgestellt. Beim Internet ist es ähnlich: Sie geben in den Browser den Namen einer gewünschten Website ein, und das elektronische Telefonbuch, das Domain Name Service (DNS), vermittelt Sie, ordnet Ihnen die Seite zu, und diese erscheint dann bei Ihnen am Schirm. Das DNS ist das technische System, das die Domains zuordnen soll. Grundsätzlich sollte das sicher sein - das ist es aber nicht mehr wegen des enormen Datentransfers. Ein DNS Secure könnte die Verbindung verschlüsseln, würde aber viel kosten und ist somit nicht markttauglich.

Auch das Border Gateway Protocol (BGP) - es dient zur Koordination der Daten, um diese möglichst flott von A nach B zu bringen - könnte eine Secure-Lösung erhalten. Doch auch diese ist zu kostspielig. Manche Staaten nutzen diese Lücken, um eine Art digitale Mauer bauen zu können. Andere nutzen sie, um Betriebe oder Privatpersonen zu erpressen. Die Technik stammt noch aus den 1990er Jahren. Damals war das Internet tatsächlich noch eine elitäre Runde. Heute geht ohne das Netz nichts mehr.

Wolfgang Glass ist promovierter Politologe in Wien
Wolfgang Glass ist promovierter Politologe in Wien.
Foto: © privat

Das Problem wird uns dann bewusst werden, wenn Hacker auch auf wichtige Infrastrukturen oder Betriebe stoßen, deren Arbeit sie womöglich tage-/wochenlang oder noch länger blockieren können (Medien, Energienetze, Identitätsdiebstahl - beweisen Sie einmal, dass Ihre Identität gestohlen wurde . . .). Das Internet nimmt in allen Lebensbereichen einen riesigen Platz ein. Man kann eigentlich nur noch im System sein. "Nur ein bisschen dabei sein" ist heute nicht mehr möglich. Die Bedienung von schwarzen Platten in Küchen muss ebenso gekonnt sein wie das Hantieren auf Smartphones.

"Smarte Diktatur" der Dinge, die wie nicht mehr verstehen#

Nachvollziehbar ist das für kaum noch jemanden. Stellen sie sich vor, jemand wäre im Jahr 1900 eingefroren worden und 1980 aufgetaut worden. Er hätte das Leben halbwegs verstanden: Autos und Bahnen fuhren nun, aber wie man Feuer mit einem Gasofen macht oder sich eine Karte für die Bahn besorgt, war nachvollziehbar. Ganz anders heute: Wir fummeln über schwarze Platten und öffnen Türen, ohne etwas zu tun, oder zahlen im Vorbeigehen (mit Near Field Communication - NFC). Solange es funktioniert, ist das alles sehr praktisch.

Der deutsche Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer spricht in dem Zusammenhang von einer "smarten Diktatur", weil sich alles so praktisch und gut anfühlt, wir aber immer mehr die Daseinsbevollmächtigung über unser Dasein verlieren. Dinge sind seltener nachvollziehbar, die Rückkopplung mit der Mitwelt (etwa Fauna und Flora) ist kaum noch vorhanden. Sie wird verfälscht durch das, was uns vor der Linse gezeigt wird - liebe Hunde, "die Natur", zwitschernde Vögel. Aber woher die Lebensmittel kommen, ist uns egal, weil nicht sichtbar. Und Natur will eigentlich auch niemand - sie ist kalt, nass und schmutzig. Aus dem Spa-Bereich heraus sieht sie natürlich anders aus.

Auch medienpolitisch sind wir fast alle Nackerpatzerl und unsicher. Selbst die älteren Semester kapieren Begrifflichkeiten wie Quellenstudium im Internet nicht. Wozu auch? Früher kannte man die Einstellung der Zeitung, die man las, und seine Freunde und Kollegen, mit denen man sich verabredete. Heute werden wir von einer Flut an Bildern, Videos und Texten dauerbeschallt, ohne einordnen zu können, woher das alles kommt und was es eigentlich im Detail bedeutet. Ein großer Teil der Tweets auf Twitter kommt von Bots, also von keinem Menschen.

"Russia Today Deutschland" (die am dritthäufigsten retweetete Site in Deutschland) hat sich massiv im Bundestagswahlkampf eingemischt mit bewusster Dramatisierung verschiedener Nachrichten, nur um Unruhe zu sähen. Krankenhäuser wurden bereits Opfer von Hackerangriffen und konnten OPs nicht mehr durchführen. Die Produktion in einer Käserei in Belgien fiel aus, weil sie gehackt wurde. Hybride Kriege finden auch in Österreich täglich statt. Nicht konventionell mit Panzern, also sichtbar und nachvollziehbar, aber eben hybrid. Hinzu kommen gesellschaftliche Scheinnormen die auch normativ verstanden werden und den Menschen nicht mehr den nötigen Rückhalt fürs Leben geben können, wie es vielleicht zur etwas übersichtlicheren Zeit der Eltern beziehungsweise Großeltern möglich war.

Endlich Medienkompetenz in den Schulen lehren#

Die Zeit hat sich in den vergangenen zehn Jahren (Smartphone-Revolution) schneller gewandelt als die Entwicklungen, die sich früher innerhalb einer bis zweier Generationen (40 bis 50 Jahre) abgespielt haben. Wer meint, er glaubt, was er sieht, der irrt. Wir sehen, was wir glauben, und das führt dazu, dass wir immer mehr in unseren Blasen zurückgezogen leben. Hysterisch aufgeladen mit emotionalen Scheinwirklichkeiten anderer, die für sich in Anspruch nehmen wollen, es wäre die Wahrheit. Eine nähere Reflexion oder ein Diskurs mit einem Thema ist kaum noch möglich, weil die Oberflächigkeit regiert. Die Zeit für näheres Hinschauen hat man nicht, weil da schon die nächste Geschichte da ist.

Wichtig wäre die Schaffung von technischen Voraussetzungen (siehe den Beginn dieses Textes), um dieses vernetzte Leben entsprechend absichern zu können. Nicht nur, um Hackern das Leben schwerer zu machen, sondern auch, um die Identität von Menschen sichern zu können. Weiters muss endlich in den Schulen Medienkompetenz gelehrt werden, damit nicht jeder jedem Deppen auf den Leim geht. Die Vervielfältigung von Meinungen ohne Begründung - eine Schwester der Denkfaulheit - nimmt im Netz überhand und kann bei Bedarf Massen gegen demokratische Errungenschaften aufwiegeln.

Wiener Zeitung, 29. November 2021


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