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Wasserstoff um jeden Preis? #

Die Hürden bei der Energiewende. #


Von der Wiener Zeitung (4. Mai 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Gero Vogl


Ein Gespenst geht um in den Medien: Wir müssen die "Wasserstofftechnologie" entwickeln, dann sind unsere Probleme mit der Speicherung des volatilen "grünen" Solar- und Windstromss gelöst, während bekanntlich gegenwärtig die Stromspeicherung nur sehr unzureichend in Hochgebirgswasserspeichern und Lithiumbatterien möglich ist. In Wasserstoffgas speichern wir überschüssige Energie, die anfällt, wenn zwischen den gefürchteten "Dunkelflauten" einmal zu viel Wind weht oder zu viel Sonne scheint. Da entstehen dann durch elektrolytische Spaltung von normalem Wasser Sauerstoff und der gewünschte Wasserstoff.

Gero Vogl ist Materialwissenschaftler. Er war von 1999 bis 2001 Direktor am heutigen Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie sowie von 1985 bis 2009 Ordinarius für Physik an der Universität Wien.
Gero Vogl ist Materialwissenschaftler. Er war von 1999 bis 2001 Direktor am heutigen Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie sowie von 1985 bis 2009 Ordinarius für Physik an der Universität Wien.
Foto: © Erich Leonhard

Zusätzlich könnten wir durch den Transport von Wasserstoff aus sonnenreichen (oder auch wind-- oder wasserreichen) Gegenden den dort erzeugten und in Wasserstoff gespeicherten Strom importieren. Diesen "grünen Wasserstoff" könnten wir nach dem Abschied von den fossilen Energieträgern dringend brauchen, besonders wenn die Elektromobilität Fahrt aufnimmt oder gar das Wasserstoffauto, dessen Antrieb mit Brennstoffzellen arbeitet, Realität werden sollte. Und wenn die Stahlerzeugung bei der Reduktion der Erze demnächst vom klimaschädlichen Kohlenstoff auf Wasserstoff umstellt. Wasserstoff ist darum oft ein Zauberwort, vor allem für Politiker. Aber schauen wir doch einmal etwas genauer hin, wofür der Wasserstoff tatsächlich gut ist.

Natürlich wollen wir nur "grünen" Wasserstoff, um das Weltklima nicht noch weiter zu gefährden, heißt es offiziell. Also nicht "grauen" Wasserstoff, der aus Erdgas erzeugt wird, denn dabei fällt viel CO2 an, sodass man nicht besser - sogar eher schlechter - wegkommt als durch direkte Verstromung, also Verheizung des Erdgases in Gasturbinen, wie es gegenwärtig zum Beispiel im Wiener Kraftwerken Simmering geschieht. Wir wollen also "grünen" Wasserstoff, der durch Wasserspaltung mit "grünem" Strom gewonnen wird, also Strom vor allem aus Wind und Sonne, eventuell aus Wasserkraft.

Unser eigener Beitrag aus Wind, Sonne und Wasser #

Vor kurzem veranstaltete die "Wiener Zeitung" zusammen mit dem Postgraduate Center der Universität Wien unter der geschickten Moderation der Redakteurin Eva Stanzl ein Podiumsgespräch unter dem Motto: "Wieviel Zukunft steckt im grünen Wasserstoff?" Da ging es vor allem um die österreichischen Anliegen. Nur wenige Tage später referierte Jens Jürgensen von der Ruhr-Universität Bochum in einem Webinar der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde über "Werkstoffliche Herausforderungen von Wasserstoff als Energieträger".

Beim Podiumsgespräch ergab sich deutlich, dass Österreich für die riesigen benötigten Mengen an "grünem" Wasserstoff nur durch einen riesenhaften Zubau von Windkraftwerken, sehr vielen Solarpaneelen und einen weiteren Ausbau der Wasserkraft einen wesentlichen eigenen Beitrag liefern könnte. Der wahrscheinlich ausschlaggebende Faktor ist dabei die Frage der Akzeptanz des Ausbaus von Windkraft und Wasserkraft in der Bevölkerung.

So könnte für die Salzburg AG für Energie, deren Chefin am Podium mitdiskutierte, die bisher mehr als bescheidene Akzeptanz von Windrädern in der Bevölkerung (in Salzburg gibt es offenbar noch kein einziges) und der weiteren Denaturierung von Flüssen und Hochgebirgstälern ein Scheitern aller schönen Pläne bedeuten. Dann bleibt nur der Bezug von "grünem" Wasserstoff aus zweifelhaften und politisch unsicheren Herkunftsländern. Sozusagen ein Ersatz von russischer Abhängigkeit durch Abhängigkeit von nahöstlichen und afrikanischen Partnern mit fragwürdigem Politik- und Demokratieverständnis. Ist dies eine gute Idee? Vielleicht erinnert sich mancher Leser noch an das groß propagierte aber gescheiterte Wüstenstromprojekt Desertec.

Ob der Wasserstoff in tausenden Kilometer langen Pipelines oder unter viel Energieverlust auf minus 253 Grad Celsius verflüssigt oder komprimiert auf viele hundert Atmosphären angeliefert werden könnte, ist offen. Sehr teuer wird das in jedem Fall. Die Umwandlungsverluste von Strom zu Wasserstoffgas und eventuell wieder zurück zu Strom betragen weit mehr als 50 Prozent.

Wasserstoff in Metallen ist keine einfache Geschichte #

Das Webinar der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde über "Werkstoffliche Herausforderungen von Wasserstoff" legte offen, was ein alter Materialwissenschafter in wesentlichen Teilen schon wusste, denn in seinem Umfeld war schon seit den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts intensiv über Wasserstoff in Metallen geforscht worden, damals noch ohne den Aspekt, dass einmal solch ein Hype um das kleine Wasserstoffatom die Welt bewegen würde. Diese Forschung war um die Jahrtausendwende eingeschlafen, auch weil sich das oberste Ziel, Wasserstoff im Inneren der Metalle zu speichern, als unrealistisch herausstellte. Der Schreiber dieses Artikels hat als Metallphysiker jahrelang mit Kollegen, die an der Speicherung von Wasserstoff forschten, mitgelitten: Das winzige Atom ließ sich auch in teuren Metallen wie Niob oder Titan nicht in den erhofften Mengen speichern, und aus normalen Stahlrohren entwich (diffundierte) es recht schnell - Probleme, die nicht bewältigt werden konnten.

Manches wird heute wiederentdeckt: Eine der zentralen Fragen ist die Versprödung der Stahlrohre der Pipelines, aber auch der Motorenkomponenten der Kraftfahrzeuge, deren Antrieb mit Brennstoffzellen arbeitet. Lösungen zeichnen sich ab: Die exakte Wahl der Stähle wird das zentrale Anliegen sein. Ob alle vorhandenen Erdgaspipelines für Wasserstoff umgewidmet werden können, wird sich erst herausstellen.

Alles in allem kann die Wasserstoff-Speicherung sicher einen Beitrag zum - leider vermutlich nicht allzu baldigen - Ausstieg aus fossilen Energien leisten. Und der ist aus mehreren Gründen nötig, nicht nur um das Weltklima zu retten, sondern auch um wertvolle Rohstoffe nicht zu verheizen, und letztlich auch - wie uns eben auf schreckliche Weise vorgeführt wird -, um Abhängigkeiten zu verringern. Letztere aber durch andere zu tauschen, kann es auch nicht unbedingt sein.

Für einen Wissenschafter sind ja alle Projekte interessant, nicht zuletzt weil bei beiden Veranstaltungen nicht verborgen blieb, dass noch viel Forschung und Entwicklung nötig sein werden, um Wasserstoff als Energieträger durchzusetzen. Andererseits wäre es durchaus vorstellbar, dass der gleiche Aufwand für wissenschaftlich und technisch voll bekannte Arten der Stromerzeugung wie etwa die Kernenergie volkswirtschaftlich sinnvoller wäre, gäbe es bei uns nicht wiederum das Akzeptanzproblem: Fragen der Endlagerung und der Sicherheit könnten mit dem gleichen Aufwand noch besser untersucht werden, doch allein schon für solche Untersuchungen gibt es ideologische Hemmungen, also läuft wiederum alles auf die Frage der Akzeptanz hinaus. Fast scheint es, dass unsere Energiefrage keine technisch-physikalisch-chemische ist, sondern eine soziopsychologische.

Wiener Zeitung, 4. Mai 2022