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Alle spielen – aber nicht dasselbe #

Das Wien Museum widmet sich in einer vielfältigen Schau dem Thema Spiele und Spielen und zeigt damit ein Stück Sozial- und Kulturgeschichte der Stadt: Wer was wann und wo mit wem gespielt hat, sagt mehr aus, als man vielleicht annehmen würde … #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 15. November 2012)

Von

Michael Kraßnitzer


Kartenspielen
Kartenspielen war in den bürgerlichen Salons sehr verbreitet. (Bild: Marie von Ebner-Eschenbach beim Kartenspiel mit Betty Paoli und Ida von Fleischl, um 1890).
Foto: © Wien Museum
Lotto
Lotto. Spielorte waren neben Wohnungen, Cafés und Gasthäusern auch Lottokollekturen (Annahmestellen). (Bild: August Mansfeld, Lotto-Kollektur, 1902.
Foto: © Wien Museum

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“: Vielleicht übertreibt Friedrich Schiller mit seinem Diktum ein wenig, doch das Spielen ist seit jeher eine Beschäftigung, der sich Menschen jeden Alters und jeder Herkunft mit Hingabe widmen. Den Spielen, die in den letzten 250 Jahren in Wien gespielt wurden, geht die Ausstellung „Spiele der Stadt. Glück, Gewinn und Zeitvertreib“ im Wien Museum nach. Nicht nur die Spiele selbst, sondern auch die Orte, an denen gespielt wird, sind Thema der Schau. „Spiele sind eine faszinierende Querschnittsmaterie, über die sich viele Zusammenhänge erschließen lassen“, meint Direktor Wolfgang Kos.

Gespielt wurde bzw. wird in aristokratischen Salons und bürgerlichen Wohnungen, in Cafés und Gasthäusern, auf der Straße und am Spielplatz, aber auch in der Lottokollektur, der Schule, im Hinterzimmer oder der Automatenhalle. Unübersehbar sind die sozialen Differenzen. Im bürgerlichen Wohnzimmer wurden andere Spiele gespielt als in der Arbeiterwohnung, im Kaffeehaus andere als im Wirtshaus.

Dezent erotische Note #

Gesellschaftsspiele – von Blindekuh bis zu pantomimischen Darstellungen – waren beliebt in den besseren Kreisen. Unter Erwachsenen hatten diese Spiele durchaus eine dezent erotische Note, bei Kindern wurde Wert darauf gelegt, dass diese Spiele nicht nur unterhaltsam, sondern auch lehrreich waren. Anfangs ein aristokratisches Vergnügen, wurde Billard im 19. Jahrhundert zum Spiel des Bürgers schlechthin. Billard entsprach den Ideen der Aufklärung: Es beruht auf mechanischen Gesetzen, schafft eine Gleichheit der Bedingungen für alle Teilnehmer und verlangt nach Konzentration und Übung. Nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten Donaumonarchie war Tarock in bürgerlichen Kreisen – aber auch unter Offizieren – sehr beliebt. Das Kartenspiel der einfachen Leute war Schnapsen. In der Unterwelt sorgte das Stoß-Spiel noch bis in die 1970er-Jahre für hohe Umsätze.

Schach
Schach. Bis 1938 war Wien eine Schachmetropole. Der NS-Terror bereitete auch diesem Aspekt jüdischen Lebens in Wien ein jähes Ende.
Foto: © Wien Museum

Ein eigenes Kapitel widmet die Ausstellung dem Schachspiel. Bis 1938 nämlich war Wien eine Schachmetropole, die einige Weltmeister hervorbrachte. Der Nationalsozialismus jedoch bereitete der jüdisch geprägten Wiener Schachszene ein brutales Ende. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Wien rund 40 Schachcafés – heute existiert kein einziges mehr.

Allespielen
Foto: © Wien Museum

Die Geschichte der Spiele ist auch eine Geschichte des Vergessens. So ist „Hammer und Glocke“, in ganz Europa eines der beliebtesten Spiele des 19. Jahrhunderts, heute komplett aus der Erinnerung verschwunden Ähnlich dürfte es bald Rummy ergehen, das nach dem Ersten Weltkrieg angesagt war. Man sprach vom „Rummy-Rummel“, auf das eher simple Kartenspiel wurden sogar Schlager gedichtet („Die Emmy spielt Rummy“). Während von Adel und Bürgertum relativ viele Spiele erhalten geblieben sind, haben jene der Plebejer und Proletarier nur wenige Spuren hinterlassen. Die Spielregeln sind vergessen, die Spielgewohnheiten nicht mehr eruierbar, ihre Existenz ist oft nur noch in behördlichen Verboten, Polizeiprotokollen und Gerichtsurteilen dokumentiert.

Ein weiteres zentrales Thema der Schau ist die radikale Reduktion der öffentlichen Spielräume für Kinder. Lange Zeit war die Straße der Ort, wo Kinder Ballspiele, Reifentreiben oder Tempelhüpfen praktizierten. Mit der Motorisierung wurden sie von der Straße vertrieben und in eigens eingerichtete Spielplätze verwiesen. Heute ziehen sich die Kinder zunehmend in ihre privaten Räume zurück und vertiefen sich dort in Videospiele – ein vom Wien Museum ausgeklammerter Aspekt. Die Tendenz zur Vereinsamung findet in den Automatenkabinen ihre Entsprechung, in denen Spielsüchtige ganz für sich allein ihr Geld verspielen. Zum Glück werden diese das gesamte Stadtbild in Mitleidenschaft ziehenden Orte ab 2015 mit der Abschaffung des kleinen Glücksspiels in Wien verschwinden.

DIE FURCHE, 15. November 2012


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