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Der überzeichnete Revolutionär#

Vor 50 Jahren starb Che Guevara, der die Armen Südamerikas mit einer Mischung aus kubanischer Guerilla und Stalinismus befreien wollte. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 12. Oktober 2017)

Von

Ralf Leonhard


Che Guevara-Plakat
Kult und Heldentum. Der Revolutionär, der den Unterdrückten die Freiheit bringt, das ist die Rolle, die Che Guevara zugeschrieben wurde. Am 9. Oktober 1967 starb er im Alter von 39 Jahren
Foto: Shutterstock

Das Volksstimmefest im Wiener Prater zieht jedes Jahr kurz vor Schulbeginn Kommunisten und Solidaritätsbewegte, Alternative und orthodoxe Revolutionsveteranen an. Besonders gut besucht ist meist der Kuba-Stand, wo zu karibischen Rhythmen getanzt und süßer Mojito geschlürft werden kann. Ein mit Portraitfotos von Che Guevara ausgestaltetes Zelt erinnert daran, dass der argentinische Revolutionär vor 50 Jahren ermordet wurde. Der argentinische Revolutionär, der gemeinsam mit den Gebrüdern Castro das Batista-Regime in Kuba gestürzt und dort den Sozialismus ausgerufen hatte, war auf Befehl des bolivianischen Präsidenten René Barrientos im südostbolivianischen Dorf La Higuera erschossen worden. Keine 24 Stunden vorher hatte er sich, verletzt und eingekesselt, mit einem Grüppchen Guerilleros einer gewaltigen Übermacht der bolivianischen Armee ergeben.

Rebellisches Blut #

Die Legendenbildung um die Ikone der Revolution reicht bis in die Familiengeschichte zurück. So war sein Vater Ernesto Rafael Guevara Lynch besonders stolz auf seine irische Abstammung und erklärte später die revolutionäre Laufbahn seines berühmten Sohnes mit dem rebellischen irischen Blut. Che selbst vergötterte seine Mutter, von deren Großgrundbesitz die Familie lebte, und deren Einfluss er seine Entwicklung zum Kommunisten zuschrieb.

Ernesto Guevara de La Serna kam 1928 in wohlhabenden Verhältnissen in der argentinischen Provinzstadt Rosario zur Welt. Wenig später übersiedelte die Familie in die Hauptstadt Buenos Aires. Juan Martín, sein 15 Jahre jüngerer Bruder, beschreibt Ernesto in einer kürzlich erschienenen Biografie als besessenen Leser, liebenden Bruder und Scherzbold, mit dem man immer viel Spaß haben konnte, obwohl er von Kindheit an von schweren Asthma-Anfällen geplagt wurde.

Ständig sei Ernesto von einer gewissen Abenteuerlust getrieben gewesen. So unternahm er mit 23 Jahren, noch bevor er sein Medizinstudium abschließen konnte, mit einem Freund eine Motorradtour, um den Kontinent zu erkunden. Zwei Jahre später, Guevara war inzwischen promovierter Arzt, brach er erneut auf. Diesmal sollte er von seiner Reise nicht mehr zurückkommen. In Guatemala erlebte er den vom US-Geheimdienst CIA inszenierten Putsch gegen den Reformpräsidenten Jacobo Arbenz, der es gewagt hatte, für eine Landreform die brachliegenden Ländereien des Bananenkonzerns United Fruit anzutasten. Ein Schlüsselerlebnis für den jungen Arzt Guevara, das ihn lehrte, dass in Lateinamerika friedlicher Wandel nicht möglich sei. In Mexiko lernte er 1955 die Brüder Fidel und Raúl Castro kennen und begeisterte sich für die Sache der kubanischen Verschwörer, die einen abenteuerlichen Plan hatten, das Regime von Diktator Fulgencio Batista zu stürzen.

Seinen Spitznamen bekam er von den Kubanern, weil er wie die meisten Argentinier, jeden Satz mit dem Einwurf „Che“ zu beginnen pflegte. Das heißt soviel wie „Hallo“ oder „Also“. Daneben fiel Guevara durch sein spartanisches Leben auf, das er auch als Messlatte für alle anderen anlegte. Von Kameraden und Untergebenen verlangte er absolute Hingabe und Disziplin. Er zögerte auch nicht, Deserteure oder Verräter eigenhändig hinzurichten.

Tatsächlich gelang es den Revolutionären, von der Sierra Maestra im verarmten Osten Kubas aus einen guten Teil der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen und einen demoralisierten Batista schließlich in die Flucht zu treiben. Che Guevaras entscheidender Anteil an der Endoffensive war die Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Santa Clara: Dort brachte er einen Zug mit Waffen und Verstärkung aus Havanna zum Entgleisen und nahm so die Stadt ein. Damit war das Tor nach Havanna aufgestoßen. Vor den Revolutionären lag nur noch die Ebene, und Che wurde zur Legende.

Strategischer Geniestreich in Santa Clara #

Als die bärtigen Kämpfer Anfang Jänner 1959 triumphal in Havanna einmarschierten, war Comandante Che Guevara die Nummer Zwei hinter Fidel Castro. Und als einer der wenigen Intellektuellen wurde er bald als Allzweckwaffe für den Neuaufbau des Landes eingesetzt. Neben der Nationalbank übernahm er auch das Industrieministerium. Er war von der Idee besessen, das agrarische Kuba binnen kürzester Zeit nach dem Vorbild der Sowjetunion in einen Industriestaat zu verwandeln. Schon im ersten Fünfjahresplan versprach er Vollbeschäftigung, Selbstversorgung mit Lebensmitteln und ein jährliches Wirtschaftswachstum von 15 Prozent.

Guevara verfügte de n Austritt aus dem Internationalen Währungsfonds mit der Begründung, dass sich Kuba der technologisch überlegenen Sowjetunion anschließen werde. In Moskau schüttelte man den Kopf über den Ungestüm und wirtschaftspolitischen Unverstand des Comandante, der eine Schwerindustrie ohne eigene Kohle- und Eisenerzvorkommen aufbauen wollte. Noch bevor der „neue Mensch“, von dem so viel die Rede war, entstehen konnte, setzte er auf das revolutionäre Bewusstsein der Kubaner. Wenn er zur Zuckerrohrernte fuhr, nahm er nicht einen Fototermin wahr, sondern schwang einen Monat lang im Schweiße seines Angesichts die Machete. Ökonomische Anreize für gute Arbeit waren verpönt. Die Folge war ein drastischer Rückgang der Arbeitsleistung in Fabriken mit nur mehr 60 Prozent Auslastung.

Unvergessen ist Ches Auftritt vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1964, wo er zur atomaren Abrüstung aufrief und die neokolonialen Ambitionen der USA geißelte. Innenpolitische Repression war für ihn kein Widerspruch dazu. Guevara schickte Homosexuelle, religiöse Menschen und jede Art von „Antisozialen“ in Umerziehungslager. Durchaus in der Tradition seines Vorbildes Joseph Stalin. Die sowjetische Führung unter Nikita Chruschtschow fand er zu lasch. So war es fast unausweichlich, dass er sich mit der Sowjetunion überwarf und sich Peking zuwandte. Das dürfte auch zum Bruch mit dem pragmatischeren Fidel Castro geführt haben. Als Che Guevara 1965 plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwand, wurde spekuliert, er sei einer Säuberung zum Opfer gefallen. Dann tauchte er im Kongo auf, wo er mit den Anhängern des ermordeten Sozialisten Patrice Lumumba eine Revolution anzetteln wollte, aber bald enttäuscht über die geringe Kampfmoral der Afrikaner wieder abzog. Erst vor Kurzem erschienen seine desillusionierten Tagebuchaufzeichnungen aus diesen Tagen. Wenig später reiste er unter der Tarnung eines kahlköpfigen uruguayischen Geschäftsmannes mit dicker Brille in Bolivien ein.

Scheitern in Bolivien #

Einmal mehr scheiterte der Revolutionsheld an einer Fehleinschätzung der Wirklichkeit. Er war überzeugt, das kubanische Modell der Revolution könne als Blaupause für die Revolution in ganz Lateinamerika dienen. Von einer kleinen Gruppe entschlossener Kämpfer sollte sich die Revolution unter den Bauern und der Arbeiterschaft wie ein Lauffeuer ausbreiten. Die Wirklichkeit war eine andere. Isoliert von den revolutionären Bergleuten und unverstanden von den Kleinbauern standen die Guerilleros von Anfang an auf verlorenem Posten. Geplagt von Asthma und Durchfall konnte Guevara oft gerade noch den Bleistift halten, mit dem er sein Bolivianisches Tagebuch führte: ein Dokument des Scheiterns.

Dass der Held von Santa Clara, dem nach seiner militärischen Großtat vieles, was er anpackte, misslang, zur Ikone wurde, hat er dem bolivianischen Diktator Barrientos zu verdanken, der ihn ermorden und dann die Fotografen holen ließ. Die halbnackte Leiche mit den geöffneten Augen erinnerte viele an die Figur des Erlösers am Kreuz, der sein Leben für die Menschheit gegeben hatte. Dann war da noch das Foto aus dem Jahr 1960, das der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli bald nach dem Tod Guevaras in einer Schublade des kubanischen Fotografen Alberto Korda fand und als Poster millionenfach vermarktete. Als Revolutionsikone aufgegriffen wurde es von der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, und Guevara mutierte zu einer der Leitfiguren der Studentenrevolten von 1968. Dank dieser ikonischen Fotografie lebt die Legende noch heute.

DIE FURCHE, Donnerstag, 12. Oktober 2017