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Ein Elefant mit 1800 Gulden Kostgeld#

Schicksale grauer Riesen im Wien der Frühneuzeit.#


Ein Geschichtsfeuilleton aus der Wiener Zeitung vom 23. Oktober 2009 mit freundlicher Genehmigung.

Von

Alfred Schiemer


Elefant-in-Wien
Der erste Dickhäuter in Wien flößte 1552 den Bürgern Angst ein - und erntete Beifall

Hatten die alten Wiener eine dicke Haut? Von dem Menschenschlag, der den lieben Augustin hervorbrachte, müsste man das eigentlich glauben. Aber eines macht stutzig: Mit echten Dickhäutern tat man sich an der Donau einst recht schwer.

Begonnen hatte die heikle Beziehung anno 1552 mit einem Ereignis, um das sich eine bald so, bald so ausgeschmückte Erzählung rankt. Äußerst lebendig wirkt unter diversen Varianten eine Schilderung für jene Altersgruppe, der sich augenzwinkernd die gesamte Zeitreisen-Gemeine zuzählen darf, und die der Publizist Moriz Bermann (1823–1895) als „reifere Jugend“ klassifiziert. Der der Residenzstadt eng verbundene Autor berichtet in seinem Werk „Alt-Wien in Geschichten und Sagen (...)“ vom ersten Elefanten in der Residenz. Erzherzog Maximilian (1564– 1576 Kaiser Maximilian II.) wollte mit einer Überraschung aufwarten, doch als die Schaulustigen am Graben dem „langnasigen Ungeheuer“ gegenüberstanden, schlotterten ihnen die Knie.

Die Stimmung schlug um, „als mehrere Herren aus des Prinzen Gefolge, und zwar der Kanzler Widmannstadt, der Geheimschreiber Christobal de Castillejo und der (...) Kammerdiener Leopold Heyberger sich dem vermeintlichen Unthiere genähert und dasselbe furchtlos betastet hatten“. Auf diese Weise „entstand allmälig sogar ein Gedränge um den klug darein sehenden Elefanten“.

Augenblicke später fuhr dem Publikum neuerlich der Schreck in die Glieder: Im Gewühl entglitt einer Mutter ihr Kleinkind „und dieses, fortgestoßen, kollert vor die Füße des Riesenthieres“. Die Frau stieß einen Entsetzensschrei aus, ein „hundertstimmiger Hilferuf“ aus der Menge folgte.

Das Volk starrte entsetzt auf den grauen Koloss. „Dieser aber sah ernst um sich“, hob kurz danach mit dem Rüssel „fein säuberlich und gemach das weinende Kind auf (...) und reichte es mit dem Anstande eines dienstthuenden Cavaliers unverletzt der (...) Mutter hin“.

Sofort tobten die Leute vor Freude, „ja, es wurden dem edlen Thiere Lebehochs gebracht“. Summa summarum machten sich gemischte Gefühle breit; man traute dem Giganten wohl nicht.

Glück war dem „Soliman“ gerufenen Exoten (M. Bermann nennt den Namen übrigens nicht) in Österreich keines beschieden. Das Geschöpf heißer Zonen musste 1551 seinen Weg von Spanien per Schiff bis Genua und zu Fuß über die Alpen machen; „Elefantenhäuser“ in Brixen, Lambach, Linz markieren diese Route. Einige Zeit nach dem Auftritt im Herzen Wiens kam der Dickhäuter in die Menagerie von Schloss (Kaiser-)Ebersdorf. Sein Leben hinter Gittern währte bis Dezember 1553. Erfror er? Erhielt er unzureichendes Futter? Wurde das allein gehaltene Tier gemütskrank? Vermutlich wirkten alle Faktoren zusammen.

Etwas besser gestaltete sich in Wien über zwei Jahrhunderte später, in der Aufklärungs-Ära, das Zoo-Leben eines grauen Riesen. Weder zitterte das Publikum vor dem Exoten noch gab es unkundige Pfleger. Die große Crux blieb trotzdem: Tierhaltung auf engstem Raum.

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Das Kluge Rüsseltier in freier Wildbahn (Idealbild aus dem frühen 20. Jh., Teilwiedergabe) Repros: St. Koch/ R. Kienzl

Die „Wiener Zeitung“ meldete vor 225 Jahren, also am 23. Oktober 1784, auf der Titelseite:

Die K. K. Menagerie des Schlosses Schönbrunn hat am 16. d. M. (= des Monats) den Elephanten verlohren, der, nach einer vorhergegangenen 6 Wochen langen unbekannten Krankheit, gestorben ist. Er war im dritten Jahre, und noch ziemlich klein, da (= als) er vor ungefähr 15 Jahren von dem Erbstatthalter der vereinigten Niederlande, dem Prinzen von Nassau-Oranien dem Kaiser zum Geschenke aus Holland hieher gesandt worden ist.

Ein Alter von ca. 18 Jahren mochte man für einen Tiergarten-Elefanten damals zwar hingehen lassen (die Lebenserwartung ist wesentlich höher), aber Lob dürfte sich die Menagerie auch nicht verdient haben.

Im „Wiener Zeitung“-Artikel von 1784 finden sich Details zur Obsorge für den Dickhäuter. So habe er in Schönbrunn beträchtlich an Grösse zugenommen. Und: Seine Nahrung bestand in Brod, Reis und Möhren (gelben Rüben). Zudem erfuhr man: Sein Unterhalt kostete alljährlich 1800 Guld. (= Gulden). Das war ein Vermögen. Bedürftige Menschen erhielten einst zur Linderung ärgster Not zuweilen an die 60 Gulden im Jahr. Das Kostgeld des schwergewichtigen Zoo-Bewohners hätte also für 30 Arme gereicht. Schwingt im Hinweis auf den sehr teuren grauen Riesen gar ein Vorwurf mit? Klingt ein Seufzer – Devise: So viel hat der Kerl verschlungen und jetzt stirbt er – durch? Wir wissen es nicht; gelernte Österreicher werden freilich sagen, dass solche Denkweisen im Land vorkommen...

Wie auch immer, der Wissenschaft wurde jedenfalls Tribut gezollt: Der todte Körper ist unter der Aufsicht des Hrn. Professors der Anatomie, Dokt. Barth (Dr. Joseph B. (1745–1818) war Anatom und Augenarzt in Wien. Er operierte viele am grauen Star Leidende – arme Leute unentgeltlich), ausgeweidet worden; das Fell wird ausgespannet, und in das Musäum der Naturgeschichte an hiesiger Universität gebracht.

Wiener Zeitung vom 23. Oktober 2009


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