Fleisch hat sein Charisma verloren#
"Lieber kein Huhn als irgendein Huhn" – Essen zwischen Fleischskandalen und Klimakatastrophen#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag 21. April 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Julia Urbanek
Vegetarismus erobert über die Gourmetküche die Haushalte. Doku-Romane machten Umdenken über Ernährung massenfähig. Trendforscherin Hanni Rützler im Gespräch.#
"Wenn wir heute über das Essen von Tieren reden, steht nicht nur unsere grundlegende Fähigkeit auf dem Spiel, wie wir mit fühlendem Leben umgehen, sondern unsere Fähigkeit, wie wir mit Teilen unserer eigenen (tierischen) Natur umgehen. Es herrscht nicht nur Krieg zwischen uns und ihnen, sondern zwischen uns und uns." Als Jonathan Safran Foer Vater wird, beginnt er, über das Essen von Tieren nachzudenken.
Der New Yorker schreibt ein Buch darüber, bricht für die Recherche in Tierfarmen ein, besucht Gnadenhöfe und befragt Experten. Die Antworten, die er erhält, sind ernüchternd – sie erzählen von Geflügelpest, Überfischung und Rindern, denen bei vollem Bewusstsein Luft- und Speiseröhren aus den aufgeschlitzten Kehlen gerissen werden.
Der Philosoph Foer schreibt über den Mensch im Tier und das Tier im Menschen, durch verstörende Fakten und lebendige Beschreibungen zeichnet er ein Plädoyer für die Macht der Konsumenten. "Ich habe meine Wahl getroffen, ich will vegetarisch leben", sagt er am Ende des Buchs.
Drastischer Preisdruck und verbrecherische Grausamkeit#
Die "Grillhähnchen-Pfanne um 2,99 Euro", die sie gern und regelmäßig kaufte, veranlasste Karen Duve zum Umdenken. "2,99 Euro für ein ganzes Huhn lässt auf verbrecherische Grausamkeit schließen", meint die Mitbewohnerin der deutschen Journalistin und führt Duve in die Szene der Bioläden und Veganershops ein. Duve testet jeweils zwei Monate Lebensmodelle aus: Sie ernährt sich biologisch, vegetarisch, vegan und frutarisch – und verabschiedet sich in ihrer veganen Phase auch von Lederschuhen und Daunendecken, später vom Asthma-Spray, der an Tieren getestet wurde. Auch sie zieht ihre Schlüsse aus den Recherchen über Massentierhaltung und Schlachtmethoden: "Manchmal wünschte ich, das Ganze wäre bloß ein Albtraum, und ich könnte daraus erwachen und ein Hackbraten wäre wieder ein Hackbraten, ein Grillfest ein großes Vergnügen und ich könnte in eine Bratwurst beißen, ohne dass an finsteren Orten wochen- und monatelang gelitten wird."
Die Bücher "Tiere essen" und "Anständig essen" wurden zu Bestsellern und Jonathan Safran Foer und Karen Duve zu Galionsfiguren des neuen Vegetarismus – des Trends für alle, die zwischen Lebensmittelskandalen und Klimakatastrophen versucht, sich verantwortungsvoll zu ernähren.
Felix Mitterers "Superhenne Hanna" zeigte schon den Kindern der 70er-Jahre die Zustände in Legebatterien, dennoch waren Vegetarier oder Veganer damals noch Exoten. Als Latzhosen-tragende Körneresser wurden sie eher belächelt, als Vegetarier-Teller in Restaurants gab es meist nicht viel mehr als gebackene Champignons oder Dinkellaibchen. Heute ist das Angebot größer, und die Motivation für Vegetarismus ist komplexer geworden – es geht nicht mehr nur um Tierschutz, sondern um die eigene Gesundheit, um CO2-Fußabdrücke und um Geschmack.
Den Geschmack von Gemüse hat auch die Gastronomie entdeckt, und so wurde die Haubenküche auch zu einem Wegbereiter des Trends. Die Beilage wird zum Star, "Fleisch hat sein Charisma verloren", sagt Hanni Rützler, Ernährungswissenschafterin und Trendforscherin. "Gemüse hat in der Gourmetküche einen neuen Stellenwert." Alte Sorten werden wiederentdeckt, Jamie Oliver etwa machte aus der vergessenen Pastinake das neue Trendgemüse. Der Pariser Haubenkoch Alain Passard erkochte für sein Restaurant "L’Arpège" mit fleischloser Küche drei Michelin-Sterne und macht aus Zwiebeln, Erdäpfeln und Kohl exotische Kreationen. Zwar haben Nobellokale das Gemüse wiederentdeckt, Vegetarismus sei aber kein reiner Gourmettrend, sagt Hanni Rützler: "Der Stellenwert von Gemüse wird auch in die Wirtshauskultur hinuntertröpfeln. Fleischlose und fleischarme Küche hat es heute leichter, sie ist durch die asiatische und italienische Küche vielfach ethnisch inspiriert."
Hoher Stellenwert des unmoralischen Huhns#
"Die Zukunft isst vegetarisch", schreiben Hanni Rützler und Wolfgang Reiter im Buch "Food Change", in dem sie einen Vorgeschmack auf die Ernährung der Zukunft geben. "Besser statt mehr" heißt da ein anderer Trend, oder wie Starkoch Eckart Witzigmann es ausdrückt: "Lieber gar kein Huhn als irgendein Huhn."
Der hohe Stellenwert von Fleisch ist in unserer Kultur noch nicht lange vorhanden, das frühere Luxusprodukt wurde erst durch die Industrialisierung der Tierhaltung und durch Futterimporte in den 60er- und 70er-Jahren zum Alltagsgut. Und findet sich in weiterer Folge mittlerweile als Grillhuhn für 2,99 Euro im Supermarkt. "Wenn Fleisch günstiger ist als Gemüse, finde ich das unappetitlich", sagt Hanni Rützler. "Das ist ein Lebewesen, es braucht Zeit zum Wachsen. Man merkt auch den Unterschied, ein Freilandhendl hat Eigengeschmack, ein schnell gewachsenes Billighuhn nicht." "Unmoralische Preise" verändern langsam auch das Bewusstsein der Konsumenten, bestimmte Käuferschichten sind bereit, mehr für gute Qualität auszugeben. "Natürlich wird es schwieriger mit einem Huhn für zehn Euro, wenn man eine ganze Familie ernähren muss", räumt Rützler ein.
Vegetarismus hat historisch verschiedene Argumentationen. Die Motivationen der heutigen Vegetarier sind eher auf sie selbst konzentriert, "es geht um Gesundheit, Geschmack, Genuss und Gewissen", sagt Rützler. Das Klima spielt eine untergeordnete Rolle: "Die Bedeutung des Klimas in der Debatte ist so komplex und abstrakt, dass es nicht in die emotionale Kaufentscheidung eindringt." Vegetarismus hat jedenfalls nicht mehr mit Kargheit und Verzicht zu tun, sondern mit "bewusstem Genuss", erklärt Rützler. Zahlen zu Vegetarismus in Österreich gebe es keine, Erfahrungsberichte in Schulen zeigen jedoch, dass Fleischverzicht bei Kindern und Jugendlichen immer stärker wird. "Hier wächst eine Spaghettigeneration heran", sagt Rützler. "Das Fleisch im Supermarkt ist so abstrakt präsentiert, dass viele Kinder irgendwann draufkommen, dass das Tier auf ihrem Teller ein Schwein ist. Das ist oft ein großer Schock. Die Frage, ob man Tiere überhaupt töten darf, betrifft Kinder sehr."
Verwertung von der Nase bis zum Schwanz#
Es ist schwierig, nicht den Appetit zu verlieren, wenn man Bücher wie jene von Foer und Duve liest. "Sie zeigen die unappetitliche Seite des Lebensmittelüberflusses und des Preiskampfes. Wir Konsumenten können mit unserer Entscheidung aber viel beeinflussen", sagt Rützler. Diese Entscheidungen werden aber zunehmend schwieriger. "Im Moment ist es sicher am konsequentesten, biologische Produkte zu verwenden", sagt Rützler. Wie Karen Duve werden viele Vegetarier irgendwann Flexitarier, sie essen ab und zu Fisch oder Fleisch biologischer Herkunft. Restaurantkonzepte reagieren auf das Bedürfnis der Konsumenten, es trotz Fleischkonsum wenigstens ein bisschen richtig machen zu wollen.
Das Stockholmer Szenelokal "Djuret" ("Das Tier") serviert ein Tier nach dem anderen – erst wenn alle verwertbaren Teile eines Tieres verspeist wurden, kommt das nächste an die Reihe. "Wir halten das für den nachhaltigsten Weg, ein geschlachtetes Tier zu verarbeiten." "Nose-to-tail-eating" heißt dieser Trend, der aus England kommt und verhindern soll, dass nur die Gustostückerln eines Tieres den Weg auf die Speisekarte finden. Das New Yorker Steakhouse "Marlow and Sons" wiederum verkauft zum gegrillten Fleisch auch Taschen und Gürtel aus der Haut der Tiere, das Tier werde so "bewahrt und geehrt", sagt die Besitzerin. Chocolatier Josef Zotter eröffnet einen "Essbaren Tiergarten", die dort lebenden Tiere können auch verspeist werden, so soll mehr Bewusstsein für das Essen von Tieren geschaffen werden. Vielleicht wird vor den Gehegen auch der Vegetarier Franz Kafka zitiert: "Nun kann ich euch in Frieden betrachten, ich esse euch nicht mehr", sagte er zu Fischen in einem Aquarium.
Bücher zum Thema:#
- Jonathan Safran Foer: "Tiere essen" (Kiepenheuer & Witsch)
- Karen Duve: "Anständig essen" (Galiani Berlin)