Das Geschäft mit dem Unsichtbaren #
Energetische Schutzringe, Gurus und „Lichtmeister“: Der bunte Markt der Esoterik setzt jährlich Milliarden um. Radikale Medizinfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und rechtsextreme Einflüsse nehmen unterdessen zu. #
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (19. Juli 2018)
Von
Sarah Kleiner
Geheimnisvolle Zelte, in denen Wahrsagerinnen die Zukunft voraussagen, sagenumwobene Handleser, Menschen, die mit Toten kommunizieren und futuristisch anmutende Gerätschaften zur Analyse von Körperschwingungen: Bei der „Spiritualität und Heilen“- Messe lässt sich die Diversität des heimischen Esoterikmarktes ansatzweise erkennen. Eine Iris-, Zungen- oder Pulsdiagnose bekommt man für 20 Euro, eine schamanische Reinigung mit Zitrone und Ei für 25. Es gibt Edelsteine und Schmuck zu kaufen, unterschiedlichste Pendel, angeblich heilende Duftöle, eine große Auswahl an Büchern, Auraessenzen, Glücksbringern und Tarotkarten, energetisiertes Wasser, Schamanentrommeln und vieles mehr. Den einen hier dient die Esoterik als unkomplizierte Einkommensquelle, den anderen als spiritueller Anker und Weg in die „geistige Heilung“. Nicht vergessen darf man bei der guten Stimmung in der Wiener Stadthalle jene, die die Esoterik ihr letztes Hemd oder sogar das Leben kostete.
Suche nach neuen Jüngern #
Geschätzt zwei Milliarden Euro werden jedes Jahr mit esoterischen Produkten umgesetzt, spezifische Erhebungen des Marktvolumens der heimischen Esoterik gibt es nicht. Bei einem Jahresumsatz von 20 bis 25 Milliarden Euro in Deutschland geht man von einem Zehntel des Umsatzes hier in Österreich aus. Und der seit Jahrzehnten anhaltende Siegeszug der Esoterik soll so schnell nicht abreißen, bis 2020 soll der deutsche Markt auf bis zu 35 Milliarden Euro Jahresumsatz ansteigen. Hindernis für eine zuverlässige Marktanalyse ist, dass man das Feld der Esoterik nicht klar abstecken kann. Wellness, Gesundheit, Religion, Selbsthilfe, Astrologie, Schamanismus, Zauberei – „die Esoterik“ verschwimmt zu einem Gemisch aus Weltanschauung, Alternativmedizin und Hokuspokus.
„Es ist unvorstellbar, wie groß dieser Markt ist, vor allem weil er zu einem großen Teil im Dunkeln liegt“, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen. „Der Esoterikmarkt ist eine Schattenwirtschaft, in der viel über Schwarzgeld und Energieausgleich abgewickelt wird,“ so Schiesser. 17.500 gewerblich gemeldete – der Esoterik zuzuschreibende – „Humanenergetiker“ gibt es zur Zeit in Österreich, fünf bis acht Prozent dieser geben laut WKO an, hauptberuflich davon zu leben. Um einen Gewerbeschein als Energetiker zu lösen, braucht es keine Vorkenntnisse. Wie viele Energetiker ihre Dienste allerdings ohne Gewerbeschein anbieten, steht nicht fest. Größte Einkommensquelle für viele Praktizierende ist die Ausbildung neuer Esoterik-Jünger. Es zeichnet sich dabei das Bild lauter kleiner Pyramiden, eines deregulierten und unüberschaubaren Netzwerks aus Gurus und „Lichtmeistern“, die ihr „Wissen“ an die (noch) Unwissenden weitergeben, damit die dann wieder neue Jünger ausbilden.
„Die Geldbeträge, die von Kundenseite fließen, sind enorm, da gibt es nach oben hin keine Grenze,“ sagt Schiesser. „Ich habe auch schon von 300.000 Euro gehört, die an einen einzigen Heiler bezahlt wurden.“ Immer mehr Anfragen zum Thema Esoterik erreichen die Experten der Bundesstelle für Sektenfragen. Besonders die Medizinfeindlichkeit in der Szene sei radikaler geworden. Mehr und mehr Leute lehnen die Schulmedizin konsequent ab, verteufeln Medikamente pauschal als Pharma-Terror und retten sich in die Heilsversprechen der Esoterik. Die gesellschaftliche Wahrnehmung esoterischer Methoden als Alternativmedizin schreitet voran – und ist besonders fatal. Von Zeit zu Zeit tauchen Fälle in der medialen Öffentlichkeit auf, wo esoterische „Beratung“ Todesopfer forderte. Krebskranke, die Geschwüre mit positivem Denken bezwingen wollen. Energetiker, die die Menge der einzunehmenden Herzmedikamente für ihre Kunden auspendeln. Menschen, die auf der Jagd nach spiritueller Erleuchtung versuchen, sich von Licht zu ernähren – und verhungern. Im Schlepptau hat die Esoterik die Scharlatane, Quacksalber und Betrüger, die ohne jegliches medizinisches Wissen Krankheiten „behandeln“ und die Not und Verzweiflung Erkrankter ausnutzen.
Standesregeln für Energetiker #
„Energetiker dürfen Menschen mit ihren Methoden lediglich zusätzlich begleiten, sie dürfen keine Heilung anbieten“, sagt Michael Stingeder, Berufsgruppensprecher der Humanenergetiker in der Wirtschaftskammer, und bezieht sich damit auf Esodie 2014 in Kraft getretenen Standesregeln der Humanenergetiker. „Nur weil sich jemand als Energetiker bezeichnet, heißt das noch lange nicht, dass seine Arbeit wirklich unserem Berufsbild entspricht“, so Stingeder. Die WKO weiß um die „schwarzen Schafe“ in der Branche Bescheid. Gewerbescheine können im Bedarfsfall zwar entzogen werden, für die Exekution ist allerdings nicht die WKO zuständig. „Wir können unsere Mitglieder nur darauf hinweisen, dass wir einen gewissen ethischen Rahmen vertreten“, sagt Michael Stingeder. „Wenn man diesen Rahmen verlässt, muss man mit Konsequenzen rechnen. Wir können diese aber nicht einfordern“, sagt er. Stingeder ruft verärgerte Konsumenten dazu auf, Energetiker zu melden, die Heilung für psychische und körperliche Erkrankungen anbieten. Weitere Schritte müssten dann aber andere Stellen einleiten, wie zum Beispiel die Bezirkshauptmannschaften oder fallspezifisch Berufsvertretungen wie die Ärztekammer oder der Psychotherapeutenverband. Die Bronze-, Silber- und Goldsiegel, die die WKO seit zwei Jahren besonders engagierten Energetikern verleiht, sollen zwar eine Qualitätssicherung darstellen, sind aber nicht mehr als eine Formalität, die man zum Großteil von zu Hause aus erledigen kann.
„In Wirklichkeit gibt es kaum eine Chance, die Qualität der esoterischen oder energetischen Methoden zu kontrollieren“, so Schiesser. Wie soll man nach objektiven Standards die Qualität einer Aurareinigung bewerten? Was laut Schiesser auf jeden Fall für Konsumenten eingerichtet werden müsse, sei ein umfangreicheres Beschwerdemanagement. Momentan können sich Betroffene fast nur an die Bundesstelle für Sektenfragen wenden. Die „ESO Info“ in Graz, die sich besonders auf die Beratung von Jugendlichen konzentrierte, wurde mit Ende vergangenen Jahres eingestellt. „Das ist eine Branche, die zwar ganz normal verwaltet und besteuert wird, die Privilegien einer Vertretung in der Wirtschaftskammer genießt, die aber eine viel größere potentielle Gefährdung für die Bevölkerung darstellt“, sagt Ulrike Schiesser. Neben Realitätsverweigerung und Passivität würde die Esoterik nicht zuletzt durch die Verehrung von Gurus, spirituellen Meistern und jedweden höheren Instanzen einen Führerglauben fördern, der in einer Demokratie nichts zu suchen habe.
Schüren von Abhängigkeiten #
„Von dem Guru-Glauben in der Branche müssen wir uns entfernen“, sagt Stingeder. „Wenn Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Energetiker und Konsument geschürt werden, dann sind die Vorwürfe vonseiten der Kritiker berechtigt.“ Die Antwort darauf sei Aufklärungsarbeit. „Das ist ein Bewusstwerdungsprozess in den eigenen Reihen, aber auch bei den Klienten“, so Stingeder. Im Juni startete die WKO – angeblich auch zu diesem Zwecke – eine Werbekampagne mit dem Slogan „Finde deine Energie“. Auf die genannten Kritikpunkte an der Esoterikbranche wird darin allerdings nicht eingegangen.
Dass Standesregeln, eine Werbekampagne und gutgemeinte Aufrufe ausreichen, um den Machenschaften der Betrüger und der Ausbreitung des Irrationalen Einhalt zu gebieten, ist unwahrscheinlich. Hinzu kommt: „Die Esoterik hat sich verändert in den letzten zehn Jahren. Sie erlebt starke verschwörungstheoretische Einflüsse und rechtsextreme Strömungen nehmen zu – das aber sehr subtil und sehr unauffällig“, sagt Ulrike Schiesser. Kontinuierlich wuchs die Esoterik-Szene nicht nur zu einem beachtlichen Wirtschaftszweig an, sie erschuf auch eine Parallelgesellschaft. Heute ist das Paranormale und Übersinnliche, das Mystische und Nicht-Sichtbare, das „Feinstoffliche“ wichtiger Lebensinhalt hunderttausender Menschen in Österreich. Was das für die Gesellschaft bedeuten kann, zeigte sich schon einmal in der österreichischen Geschichte.