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Möge die Macht mit dir sein#

Die Esoterik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Experten warnen vor dem Hype um Engelsessenzen, Chakren und Co.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 11. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Matthias Winterer


Das Pendel, esoterische Methode
Das Pendel entscheidet über Schicksale und kann so viele in die Abhängigkeit esoterischer Methoden treiben.
© Waltraud Grubitzsch/dpa

Wien. Martins Sprachduktus ist langsam, aber bestimmt. Er wirkt, als wäre er in einem Rauschzustand. Rund 20 der hunderten Besucher der Wiener Esoteriktage in der Stadthalle hören ihm gespannt zu. Ruhig erklärt er, wie der Kugelschreiber in seiner rechten Hand funktioniert. Der rosarote Plastikstift sei mit magischen Kristallen aus Bermuda gefüllt. Sie würden dafür sorgen, dass alles Geschriebene in Erfüllung gehe. Ein besonders energetisches Schreibwerkzeug mit mystischen Fähigkeiten also. Sein Publikum ist überzeugt. Der Stift wirkt. Begierig zücken erwachsene Menschen ihre Geldtasche und legen die 80 Euro hin. Martin ist zufrieden. Doch auch seine Mitbewerber sind nicht ohne. Sie verkaufen Planetenessenzen und Aurasprays für die Seele. Eine Dame kündigt an, sich in die "Engelsfrequenz" einzustimmen und Kontakte mit Engeln herzustellen. Deren Energien könne man dann - gegen Bargeld - auch spüren. Was in den 1990er Jahren nur in einem kleinen Anhängerkreis praktiziert wurde, ist nun zur Alltäglichkeit durchgedrungen. Die Esoterik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

15.000 behandelnde Energetiker sind in Österreich angemeldet. Wünschelrutengänger loten das Parlament nach Störfeldern aus. Der Pseudowissenschafter Johannes Grander - dessen Verfahren zur "Belebung von Wasser" jeden Hydrologen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt - wird von der Republik mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft ausgezeichnet. Schulmediziner verschreiben längst homöopathische Arzneimittel, ohne jeglichen wissenschaftlichen Wirksamkeits-Beweis. An der Medizinuniversität wird die Homöopathie in Vorlesungen beworben.

Engelsflüsterer? Wünschelrutengänger? Der spirituelle Markt verzeichnete in Deutschland im Jahr 2012 rund 30 Milliarden Euro Umsatz. Die Tendenz ist steigend. Doch warum glauben immer mehr Menschen daran? Wie konnten esoterische Methoden die Wissenschaft unterwandern und sogar Einzug halten in Institutionen wie Universitäten - Orte der Vernunft und Rationalität?

Das Wort Esoterik kommt aus dem Griechischen und bedeutet "das Innere". Ursprünglich war sie nur einem kleinen inneren Zirkel zugänglich. Heute ist die Esoterik zum Sammelbegriff für allerlei Spirituelles, gar Okkultes, verkommen. Sie reicht von harmlosen Feng-Shui-Konzepten über das Handauflegen und Engelsessenzen bis hin zu den homöopathischen Kügelchen, die schon jedes Kind gegen Nervosität und Unwohlsein schluckt.

Der Einzelne kann das Schicksal beeinflussen#

Esoterik wird oft nicht mehr als solche erkannt. Sie ist ein unüberschaubarer Krautwuchs, in dem jeder alles behaupten kann, ohne Belege zu liefern. Der Konsument kann sich aus einer breit gefächerten Palette sein persönliches Mittel aussuchen, das ihm als Individuum helfen soll.

Die Wissenschaftsjournalistin Krista Federspiel erklärt sich den Siegeszug der Parawissenschaften mit einer allgemeinen Ohnmacht. "Wir werden mit Nachrichten über Hunger, Verderben, Verbrechen und Krieg regelrecht bombardiert. In der realen Welt bin ich ein Niemand, der nichts verändern kann. In der esoterischen Welt - in der ein Beleg oder Fakten keine Bedeutung haben, sondern nur die Fantasie - werde ich wieder zum Handelnden."

"Mit magischen Ritualen kann man scheinbar das Schicksal beeinflussen", erklärt sie. Außerdem würden spirituelle Anbieter die Sehnsucht nach dem Himmlischen hervorragend stillen. "Sie werfen mit Begriffen wie Quanten oder Chakren um sich. Kein Mensch weiß, was Quanten sind. So geheimnisvolle Begriffe kann man wunderbar verwenden."

Diese Konzentration auf das eigene Ich ist für den Psychologen Johannes Fischler eine der Gefahren der Esoterik. In seinem Buch "New Cage - Esoterik 2.0" beschreibt er die asozialen Mechanismen hinter den Glaubenskonzepten. Der Mensch und seine Schwächen würden in der Esoterik immer im Vordergrund stehen. Es geht nicht um gesellschaftspolitische Lösungsansätze, sondern nur um das eigene Ich. In der Logik der Esoterik habe alles, was einem widerfährt, den Ursprung im eigenen Geist - wer positiv denkt, dem widerfährt Positives, und Negatives dem, der negativ denkt. In der Psychologie wird dies "Blaming the Victim" genannt. In der Logik dieser Argumentation werden Vergewaltigungsopfer beschuldigt, zu kurze Röcke getragen zu haben.

Spirale der Abhängigkeit#

In Extremfällen endet die Dynamik, die mit harmlosen Pendeln und magischen Kugelschreibern begann, im völligen Verlust des Realitätsbezugs. Partnerschaften lösen sich auf, viele werden arbeitslos. Mit viel Glück wenden sich die Angehörigen dann an die Sektenberatungsstelle.

"Ein Großteil der Anfragen sind dem Bereich der Esoterik zuzuordnen, wobei hier zwei Aspekte eine Rolle spielen können. Zum einen sind es Menschen, die ihre Autonomie verlieren und in eine Abhängigkeit geraten, zum anderen kann es gefährlich werden, wenn etwa eine wirksame medizinische Behandlung zugunsten esoterischer Heilsversprechungen unterlassen wird", sagt German Müller von der Bundesstelle für Sektenfragen. Die Spirale in die Abhängigkeit verläuft meist nach einem ähnlichen Schema. "Man wird zu einem Event in einem Hotel eingeladen, wo verschiedene Mittel verkauft und Wege zum Licht versprochen werden. Es wird eine Gemeinschaft vorgespielt. Wenn man dann noch ein Buch kauft oder noch einen Kurs bucht, tritt man immer weiter in die Gedankenwelt dieser Menschen ein. Das entwickelt sich zum Gruppendruck. Man muss weitermachen, um ein höheres Bewusstseinsstadium zu erreichen. Wenn man sich in solchen Vorstellungen verrannt hat, ist es wahnsinnig schwierig, wieder auszusteigen", erklärt Federspiel.

Martin hat noch viele Kugelschreiber verkauft. Ob sich nun die Wünsche der Menschen erfüllen werden, bleibt abzuwarten.

Wiener Zeitung, Dienstag, 11. November 2014