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Glaubenskrieg in Hernals#

Die Geschichte von Reformation und Gegenreformation in Österreich ist untrennbar mit dem Geschick der Familie Jörger verbunden, an welche in Wien eine Straße und ein Bad erinnern. - Eine Spurensuche.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 23./24. August 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Arthur Fürnhammer


Ein Wandgemälde in der Jörgerstraße
Ein Wandgemälde in der Jörgerstraße erinnert an den Namenspatron.
© Foto: Arthur Fürnhammer

Die Wiener verdanken dem oberösterreichischen Adelsgeschlecht der Jörger nicht nur die Jörgerstraße, das nach ihnen benannte Jörgerbad - es wurde heuer 100 Jahre alt - und die Einführung der Straßenbeleuchtung im Jahre 1688. Die Jörger waren auch einst die Herren an der Als, zugleich eifrige Förderer des Protestantismus und damit ursächlich für eine Reihe von Maßnahmen der Gegenreformation, deren Spuren im Stadtbild teilweise noch heute zu sehen sind. Wer also waren die Jörger?

Die Geschichte von Reforma- tion und Gegenreformation in Österreich ist untrennbar mit dem Geschick dieser Familie verbunden. Das später so einflussreiche Adelsgeschlecht war ursprünglich bäuerlicher Herkunft und hatte seine Wurzeln in Still und St. Georgen - daher der Name "Jörger" - im Bezirk Grieskirchen, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Die Jörger wurden Vasallen der Starhemberger und stiegen durch geschicktes Taktieren und kluge Finanzpolitik innerhalb zweier Jahrhunderte in den Kreis der mächtigsten Adeligen im Land ob der Enns auf.

Wolfgang Jörger war mit Kaiser Maximilian I. befreundet und diente diesem von 1513 bis 1521 als Landeshauptmann. Er erwarb die Herrschaft Tollet bei Grieskirchen, die fortan zum Stammsitz der Familie wurde. Zwei Jahre vor seinem Ableben entsandte er seinen ältesten Sohn Christoph im Rahmen einer adeligen Bildungsreise, der "Kavalierstour", an den sächsischen Hof, wo es zur Begegnung mit Luther kam. Mit weitreichenden Folgen. Denn der bis dahin streng katholische Christoph erlebte einen Gesinnungswechsel und war bald von dem Wunsch erfüllt, das Reformationswerk in seiner Heimat fortzusetzen.

Anhänger Luthers#

Auf Bitten Christophs wurde Michael Stiefel, einer von Luthers engsten Getreuen, zu den Jörgern entsandt. Er traf 1525 als erster Prädikant (evangelischer Prediger) einer adeligen Familie in Österreich auf Schloss Tollet ein und gewann bald die gesamte Familie Jörger für die Lehre Luthers. Nach der Rückkehr von Stiefel nach Wittenberg trat Christophs Mutter Dorothea Jörger in einen Briefkontakt mit Martin Luther, der 20 Jahre dauern sollte. 13 Briefe des Reformators an Dorothea sind erhalten.

Unter Dorotheas Nachkommen wurden die "Jörger von Tollet" in den Freiherrenstand berufen. Sie erweiterten ihren Besitzstand mit dem Erwerb von Ländereien bis nach Böhmen, holten weitere Prädikanten ins Land und machten ihre Burgen und Schlösser zu Bollwerken des Protestantismus.

Unter Helmhardt Jörger kam die Familie auch für 33 Jahre in Besitz der Herrschaft Hernals. Schon unter den Vorbesitzern, der Familie Geyer, hatte sich Hernals zu einem protestantischen Zentrum entwickelt. Die Freiherren von Jörger aber stellten sich noch mehr in den Dienst der neuen Religion und bauten Hernals zu einer Bastion des Luthertums aus. In der Pfarrkirche von Hernals, bald als "Jörgerkirche" bekannt, empfingen die protestantisch gesinnten Bürger Wiens das Abendmahl, hatten ihre Hochzeiten und Taufen. Ende der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts erreichte der Protestantismus in Wien seinen Höhepunkt.

Mit den katholischen Habsburgern standen die Jörger lange Zeit dank ihrer Finanzkraft auf gutem Fuß. Gegenwind erfuhren sie erstmals von Kaiser Rudolf II., der unter anderem dafür sorgte, dass ausgewählte Prädikanten das Land verlassen mussten. Die Jörger versuchten, offen Widerstand zu leisten, jedoch ohne Erfolg. Unter Rudolfs Nachfolger Ferdinand II. zeigte sich schließlich, dass kein Geschlecht so beharrlich und unter Einsatz aller Kräfte für die Ausbreitung und Einhaltung des Protestantismus in Österreich kämpfte wie die Jörger von Tollet.

Dem tiefgläubigen Katholiken Ferdinand II. war jedes Mittel zur Bekehrung der Andersgläubigen recht. Lutherische Prädikanten und Schulmeister wurden ausgewiesen, protestantische Literatur dem Feuer übergeben, adeligen Patronatsherren befohlen, ihre Pfarren innerhalb kürzester Zeit mit katholischen Priestern zu besetzen. Vor allem aber musste das "Luthernest Hernals ausgeräuchert" werden. Ein Anlass kam Ferdinand II. dabei zu Hilfe.

Die landesfürstliche Huldigung am 13. Juli 1620 fand nicht in dem Ausmaß und mit der Beteiligung statt, wie sie der Kaiser erwartet hatte. Die protestantischen Stände rebellierten und verweigerten mit Verweis auf die ihnen zustehende Religionsfreiheit die Erbhuldigung. Darauf kam es zu drastischen Vergeltungsmaßnahmen, von denen die meisten Familienmitglieder der Jörger direkt betroffen waren und die in weiterer Folge deren Ende bedeuteten.

Diese Kreuzwegstation in der Alserstraße
Diese Kreuzwegstation in der Alserstraße (Ecke Schlösselgasse) ist die letzte erhaltene, die an die einstigen Wallfahrten nach Hernals erinnert.
© Foto: Arthur Fürnhammer

Hans V. Jörger, der Schloss Tollet zwischen 1601 und 1611 im Stil der Renaissance neu erbauen ließ, lehnte die Huldigung Ferdinands ab, wurde wegen Verschwörung mit den rebellierenden Böhmischen Ständen angeklagt, konnte sein Leben zwar durch ein Bittgesuch retten, verlor aber sein Stammschloss Tollet. Karl von Jörger, einer der Rädelsführer im Aufstand der Stände gegen Kaiser Ferdinand II., wurde gefangengenommen und starb 1623 im Verlies der Veste Oberhaus bei Passau an den Folgen der Folterungen. Karl war nicht der einzige Jörger, der für seinen Glauben das Leben verlor. Andere wurden des Landes verwiesen und verloren sämtlichen Besitz.

Kreuzweg nach Hernals#

Zu jenen Adeligen, die sich der Huldigung des Kaisers entzogen hatten, gehörte auch Helmhardt von Jörger, der Besitzer von Hernals. Er wurde zum Tode verurteilt, drei Jahre später aber "durch kayserliche Clemenz pardoniert". Hernals fiel an den Kaiser, der es dem Domkapitel St. Stephan zusprach.

Kaum rekatholisiert, fanden in der Hernalser Pfarrkirche von Jesuiten gehaltene Predigten statt. Der Zustrom zu den Messen war groß. Die Jesuiten hatten dennoch Zweifel, ob alle Messgeher im Innersten dem Protestantismus abgeschworen hatten, und planten daher, einen Kreuzweg von der Stadt nach Hernals zu errichten, in jene Vorstadt, in der sich der "wahre Hort und Schutz der ketzerischen Lehre" befunden hatte. Gerade dort sollte für alle Zeiten ein Machtzeichen der siegreichen Gegenreformation erstehen.

Am Ende des Kreuzwegs mit seinen sieben Stationen sollte eine Heilig-Grab-Kirche nach Vorbild der Jerusalemer Grabeskirche gebaut werden. Die Jesuiten hatten außerdem festgestellt, dass der Passionsweg, beginnend beim Stephansdom bis zu der zu errichtenden Grabkapelle, genau der Länge der "via dolorosa" in Jerusalem entsprach. Zugleich war es jene Strecke, die von den protestantischen Wienern beim "Auslaufen" zurückgelegt worden war.

Kaiser Ferdinand II. sanktionierte den Beschluss und versprach seine Teilnahme an den Einweihungsfeierlichkeiten. So kam es, dass in den frühen Morgenstunden des 23. August 1639 Tausende die Straßen zwischen der Stadt und Hernals säumten. Maria Kinz beschreibt die Prozession in ihrem Heimatbuch "Liebenswertes Hernals" (Wien, 1986): "Es muss ein imposanter Zug gewesen sein, der vom Stephansdom aus über den Graben, den Hof und die Freyung zum Schottentor zog. Voran schritt die Geistlichkeit von Wien in ihren goldstrotzenden Ornaten, dann folgten die Zöglinge vornehmer Institute mit Bildern und Fahnen. Es kamen die Ratsherren, Bürger und Bruderschaften mit brennenden Wachslichtern in den Händen, hierauf der Hofstaat, der Erzbischof mit dem Allerheiligsten, zum Schluss der Kaiser, durch die Schweizer Garde vom nachströmenden Volk abgeschirmt. Außerhalb des Schottentores wurde zum ersten mal haltgemacht. Der Kaiser kniete auf einem von zwei Edelknaben bereitgehaltenen Teppich nieder, und mit ihm sank das Gefolge und die unübersehbare Menschenmenge in die Knie, während der Bischof die Weihe der kleinen Kapelle vornahm. Dieses Zeremoniell wiederholte sich sechs mal."

Bei der Heilig-Grab-Kirche, die erst um die Mittagszeit erreicht wurde, hörte der Kaiser die Festpredigt, wohnte einer Messe sowie dem Hochamt in der Pfarrkirche bei und kehrte daraufhin inmitten des Zuges zu Fuß in die Stadt zurück. Später wurden die Prozessionen in die Karwoche verlegt und verwandelten sich, der Karfreitagsstimmung entsprechend, in Bußgänge. Der neue Wallfahrtsort zog jedoch mit der Zeit auch immer mehr Verbrecher und Prostituierte an, worauf die offizielle Wallfahrten nach 35 Jahren eingestellt wurden. Wenig später belagerten die Türken Wien und brannten die Vorstädte nieder, wobei ein Großteil des Kreuzwegs sowie die Grabkirche zerstört wurden.

Kalvarienberg-Kirtag#

Rund 25 Jahre später, als man sich von den Schrecken und Nöten der Belagerung erholt hatte, wurde auf Initiative einiger Bürger an Stelle des Heiligen Grabes ein Kalvarienberg errichtet. Dabei wurde ein riesiger Hügel aufgeschüttet, der im Inneren eine Kirche barg. Schnell zeigte sich aber, dass es aufgrund der starken Feuchtigkeit unmöglich war, darin Messen zu lesen, weshalb die Kirche nach außen verlegt wurde.

Bald bürgerten sich in Anknüpfung an frühere Traditionen erneut Wallfahrten nach Hernals ein, diesmal mit der Kalvarienbergkirche als Ziel. Rund um den Kalvarienberg entwickelte sich eine Budenstadt, in der Andenken, Leckereien und Kinderspielzeug verkauft wurden - ein Vorläufer des Hernalser Kirtags, der auch heute noch rund um die im 19. Jahrhundert neu gebaute Kalvarienbergkirche abgehalten wird.

An den alten Kreuzweg erinnert nur mehr wenig. Eine Station hat sich erhalten, und zwar an der Ecke Schlösselgasse/Alserstraße bei der heute dort befindlichen Kirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Die Jörgerstraße, die beim ehemaligen Hernalser Schloss in die Kalvarienberggasse mündet, ist im Übrigen nicht etwa nach den protestantischen Jörgern benannt. Denn nicht alle Mitglieder der Familie verließen damals das Land. Es gab auch einige wenige, die es vorzogen, zu konvertieren anstatt Hab und Gut aufzugeben und zu emigrieren. Unter diesen befand sich Johann Quintin Graf Jörger (1624-1705), der glänzende Karriere am Hof machte. Als Statthalter von Österreich unter der Enns führte er 1988 die erste Straßenbeleuchtung in Wien ein. Zu seinen Ehren wurde im Jahre 1894 jene Straße, an der Jahrhunderte lang nach Hernals gepilgert wurde, "Jörgerstraße" benannt. 1772 starb das Geschlecht der Jörger aus.

Arthur Fürnhammer, geboren 1972, lebt als freier Autor und Journalist in Wien. 2013 erschienen die Folgen seines "Tschocherl-Reports" als Buch im Löcker Verlag, außerdem bei G&G ein Donaubuch für Kinder.

Wiener Zeitung, Sa./So., 23./24. August 2014