Kalvarienberge #
Untrennbar mit dem Kreuzweg verbunden, manchmal synonym verwendet, ist der Kalvarienberg. Ursprünglich als Bezeichnung des Kreuzigungsortes Jesu nach dem lateinischen Wort Calvaria (Schädelstätte) gebraucht, nannte man im Spätmittelalter und Barock narrative Kreuzigungsdarstellungen in Malerei und Plastik "Kalvarienberg". Architektonisch gestaltete Nachbildungen - "Heiliger Berg" oder "Neues Jerusalem" - umfassen Kreuzwegstationen am Beginn des Weges, beim Aufstieg und auf dem Gipfel. Hauptthema ist die Hinrichtung Christi, in erweiterter Form die Passionsgeschichte bis zur Grablegung. Den Höhepunkt bildet das Kruzifix - oder drei Kreuze - umgeben von Maria, Johannes und Maria Magdalena. Manchmal erhebt sich diese Gruppe auf der Plattform von Rundbauten, die im Inneren die Ölbergszene und die Grabkammer enthalten.
Ein markantes Beispiel in Österreich ist der um 1700 errichtete Kalvarienberg in Maria Lanzendorf (Niederösterreich). Ein Kreuzweg führte von Wien-Wieden über Favoriten zum Kalvarienberg. Die zweite Station (Wien 10, Ecke Scheunenstraße und Georg-Wiesmayer-Gasse) besteht noch als Kapelle. Der Schöpfer des Lanzendorfer Kalvarienbergs war Felix Niering, ein Fachmann für Gewölbebau und Laienbruder der Franziskaner. Nach Jerusalemer Vorbildern legte er einen künstlichen Hügel an, in und auf dem die wichtigsten Stationen mit Figuren zu finden sind: Abendmahlskapelle, Ölberg, Haus des Pilatus, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzigung, dazu eine Heilige Stiege und im Garten eine Auferstehungskapelle.
Später (1701-1707) baute Niering nach dem gleichen Muster den Eisenstädter Kalvarienberg im Burgenland. Dieser hat 20 Stationen, da der Bauherr, Fürst Paul Esterházy, als gläubiger Marienverehrer zusätzlich Szenen aus dem Marienleben darstellen ließ.
Der Kalvarienberg von Heiligenkreuz in Niederösterreich zeichnet sich durch Figuren von Giovanni Giuliani (1664-1744) aus. Der aus Venedig stammende Bildhauer brachte die italienische Barockunst nach Österreich. Obwohl er für die Palais von Prinz Eugen und Johann Adam Fürst Liechtenstein tätig war, geriet er in finanzielle Schwierigkeiten. Deshalb schloss er sich 1711 dem Stift Heiligenkreuz an und arbeitete unentgeltlich für das Kloster.
Kirchschlag in der Buckligen Welt (Niederösterreich) ist für seine Passionsspiele bekannt. Hinter der Halle beginnt der barocke Kreuzweg (1730-1733). Er besteht aus elf Kapellen mit bemalten Holzreliefs, die 12. Station bildet die Kirche mit der Kreuzigungsgruppe. Sie ist auch das Ziel der Palmprozession.
Das Kalvarienberg-Ensemble beim Stift Lilienfeld ist eines der größten und eindrucksvollsten in Österreich. Auf einem bizarren Felsen angelegt, nützt es die landschaftlichen Gegebenheiten. 1677 geweiht, war das Vorbild die Scala Santa in Rom. Über Treppen gelangt man auf mittlerer Ebene zur Grab-Christi-Kapelle und weiter zum höchsten Punkt mit der Kreuzigungsgruppe. 20 Figuren finden sich auf Sockeln bzw. den Stiegenbrüstungen. Der Lilienfelder Kalvarienberg war ein Anziehungspunkt für die Wallfahrer, die auf der Via Sacra nach Mariazell pilgerten. Später zwischen Bahngleisen und Krankenhaus eingezwängt, war die Anlage jahrzehntelang verwahrlost und schien vergessen. In vierjähriger Arbeit wurde sie restauriert und im Oktober 2023 vom Apostolische Nuntius Pedro López Quintana gesegnet. Die Kosten des Projekts, 600.000 Euro, haben das Land Niederösterreich, das Bundesdenkmalamt und Spender vom Stift Lilienfeld aufgebracht. Bei der Sanierung der gesamten Anlage hat man die Stiegen fundamentiertvund die Brüstungen mit einer Holzschindelabdeckung versehen. Die Grab-Christi-Kapelle erhielt neuen Verputz, Färbelung und ein repariertes Dach. Natursteinfiguren und Metallgitter wurden restauriert.
Im konfessionellen Zeitalter entstand der Kalvarienberg in Wien-Hernals. Der für den heutigen 17. Wiener Gemeindebezirk namengebende Vorort hatte sein Zentrum von Anfang an in der Gegend St. Bartholomäus-Platz/ Kalvarienberggasse. Die seit 1135 nachweisbaren "Herren von der Als" waren Ministerialen der österreichischen Herzöge, ihr Hof stand auf einer Anhöhe gegen Süden, der Hügel war mit Wassergraben und Ringmauer umgeben. Vom 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts bildete der Weinbau die Haupterwerbsquelle der Bewohner. Nach dem Aussterben des alten Herrschergeschlechts wurde der Ort landesfürstlich und an verschiedene Herren (Roggendorf, Geyer von Osterburg, Jörger) verliehen.
Nachdem 1587 die Freiherren von Jörger Grundherren in Hernals geworden waren, entwickelte sich die 1609 eingerichtete evangelische Pfarre zu einem Zentrum der reformatorischen Bewegung. Ihre Anhänger kamen aus Wien und Umgebung zu den Gottesdiensten, man sprach vom "Auslaufen der Lutherischen" nach Hernals. Der Grundherr holte gelehrte und berühmte Prediger aus Deutschland, denen "unzählbare Mengen" - bis zu 20.000 Gläubige - zuhörten. Seit 1619 war Ferdinand II. (1578-1637) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Die protestantischen Stände verweigerten ihm die Erbhuldigung, solange er ihnen nicht die privilegierte Religionsfreiheit bestätigt hätte. Unter den "Rebellen" befand sich auch der Schlossherr von Hernals, Helmhardt von Jörger (1572-1631). 1620 wurden er und seine Mitstreiter öffentlich verurteilt und "mit Leib, Ehren, Hab und Gut" dem Landesherrn als verfallen erklärt. Ferdinand II. ließ Jörger zwar nicht hinrichten, doch verlor dieser seine Güter.
Schloss und Kirche in Hernals wurden im Namen des Kaisers eingezogen und dem Domkapitel von St. Stephan zuerkannt. Die Idee, gerade dort eine Heiliggrabkapelle zu errichten, kam von einem Jesuiten, dem aus Belgien stammenden Carl Mussard. Vom Stephansdom führte ein Passionsweg von sieben Stationen mit fast lebensgroßen Figuren nach Hernals. Die erste, auf Kosten des Stadtmagistrats angefertigte, Station (Christus am Ölberg) erhielt ihren Platz vor dem Schottentor. Die zweite (Christus vor Annas) besteht noch an der Alser Kirche, Ecke Schlösselgasse. Die dritte (Christus vor Kaiphas) befand sich in der Alser Straße, die vierte (Geißelung) beim Dreilauferhaus (Alser Straße 38), die fünfte (Dornenkrönung) in der Hernalser Hauptstraße, die sechste (Verurteilung) in der Haslingergasse, die Figuren der siebenten (Ecce homo) bzw. deren Kopien stehen auf dem Balkon über dem Eingang der Kalvarienbergkirche. An der Eröffnung am Vorabend des Kirchweihtages (23. August 1639) nahmen Kaiser Ferdinand III. (1608-1657), sein Bruder, der Bischof und Feldherr Erzherzog Leopold Wilhelm (1614-1662), der ganze Hofstaat und Stadtrat, sowie "ungezählte Volksscharen" teil. Kleriker des ungarischen Priesterseminars (Pazmaneum) trugen die Figuren und stellten sie in die Stationskapellen. Jede wurde geweiht, schließlich legte der Kaiser den Schlussstein zur Heiligrabkapelle. (Bild unten)
1767 erschien die "Historische Beschreibung…" Wiens, verfasst von P. Mathias Fuhrmann, Provinzial des Paulinerordens, der 1720 die Seelsorge am Kalvarienberg übernommen hatte. Er betont, dass der Magistrat nach einem Augenschein der Errichtung der Kreuzwegkapellen zugestimmt hatte, weil "die mehr ermelten Stationes an den außgezeichneten Plätzen, weder der öffentlichen Strasse, noch denen Wasserleitungen einige Hinderung, oder Schaden bringen würden." Das vierbändige Werk enthält auch mehrere Kupferstiche des Kalvarienbergs und der Heiliggrabkapelle.
Generationenlang war Hernals das Ziel von Wallfahrten, die beim Stephansdom, der Minoritenkirche, der Universität oder St. Ulrich ihren Ausgang nahmen. Die fromme Kaiserinwitwe Eleonora (1630-1686) soll dreißigmal nach Hernals gepilgert sein. Kaiser und Bischof ließen die Kirche großzügig ausstatten, auch die Pilger spendeten für Orgel und Altäre. Papst Urban VIII. verlieh den andächtigen Besuchern anno 1641 einen vollkommenen Ablass.
Die Zweiten Osmanische Belagerung Wiens (1683) führte zur Zerstörung des Kreuzwegs und der Heliggrabkapelle. Danach engagierte sich die "Bruderschaft der 72 Jünger Christi" für die Wiederherstellung. Die wohlhabenden Bürger wandten sich deshalb anno 1709 an das Domkapitel. Dieses schenkte ihnen den Platz neben der Kirche, damit sie auf ihre Kosten einen Kalvarienberg errichten konnten. Die Baukosten sollen sich auf 22.000 Gulden (nach anderen Quellen auf das Vierfache) belaufen haben. Die 14 Stationen folgten nicht dem klassischen Schema, sondern stellten (wie die jetzigen) die sieben Hauptsünden und die sieben Tugenden dar.
Die ersten Wallfahrten fanden 1714 statt, Papst Benedikt XIV. (1675-1758) verlieh den Teilnehmern der (bis 1759 stattfindenden) Karfreitagsprozessionen Ablässe. Sechs Priester des Domkapitels waren täglich mit Beichthören und Predigen beschäftigt. Es waren aber wieder die Jesuiten, die die Wallfahrten förderten und dazu Andachtsbücher herausgaben.
Schon 1710, vor der Eröffnung erschien die erste Auflage ihrer "Weck- und Zeig-Uhr". 1720 übernahm der Paulinerorden die Seelsorge, zwei Jahre später bezogen fünf seiner Mönche ein bescheidenes Quartier in Hernals. 1747 erfolgte dann die Grundsteinlegung des Paulinerklosters (Kalvarienberggasse 28, später Offizierstöchter-Institut bzw. Lehrerinnenbildungsanstalt).
Nach zwei Generationen hatte die Anlage durch Witterungseinflüsse gelitten, Regenwasser und Erde schädigten das Kircheninnere. 1766-1769 errichtete Josef Ritter, vermutlich nach Plänen des Hofbaudirektors Thaddäus Karner, eine neue Kalvarienbergkirche. Daneben befand sich die Pfarrkirche zum hl. Bartholomäus, in schlechtem Zustand. Im Zuge der Josephinischen Reformen (1783) wurden der Paulinerorden aufgehoben und die Bartholomäuskirche abgetragen. Patronat und Pfarre gingen auf die Kalvarienbergkirche über, die aus dem Material des alten Gotteshauses einen neuen Turm erhielt.
Ende des 19. Jahrhunderts war auch diese Kirche durch das vom "Berg" eindringende Wasser renovierungsbedürftig geworden. 1892-1894 erfolgte der Umbau nach Plänen von Richard Jordan (1847-1922). Der Planer, ein Schüler des Dombaumeisters Friedrich Schmidt, zählt zu den bekanntesten Kirchenarchitekten des Späthistorismus. Er entwarf mehr als 20 Sakralbauten in Österreich und den Nachbarländern. Jordan vergrößerte das Gotteshaus, ließ den Berg abtragen und ordnete die zweimal sieben bunt bemalten Reliefs in einem gedeckten Gang um die Kirche an. Zwei Stiegen führen zur Kreuzigungsgruppe, die sich unter einer Kuppel erhebt.
Hernals bildete schon vor der Errichtung des Kalvarienbergs ein beliebtes Ausflugsziel. Zur Maria Theresianischen Zeit schrieb der Berliner Journalist Julius Friedrich Knüppeln: "In der Charwoche ist die Straße mit Menschen aus den niederen Ständen angefüllt, die theils die Gewohnheit, weil es ihre Väter thaten, theils der Aberglaube, sich dadurch ein Verdienst zu erwerben, sehr oft aber auch die Gelegenheit, gegen das fünfte und sechste Gebot zu sündigen, nach Hernals führt." Aus Gründen der Moral ließ die Kaiserin die Segensandacht, die um 19 Uhr (in der Dämmerung) begann, auf 16 Uhr vorverlegen.
Als Souvenir brachten die Wiener den Kindern als Spielzeug einen "Baumkraxler" mit. Dieser, 1815 als "Männerchen mit Schiebstecken" bezeichnet, sollte an den Zöllner Zachäus erinnern, der auf einen Baum stieg, um Jesus bei seinem Einzug in Jericho besser sehen zu können (Lk 19,1-10)
Kalvarienberge in Österreich (Auswahl) #
Burgenland:
Bergkirche in Eisenstadt, 1701; Frauenkirchen, 1759; Lockenhaus, 1678 / 1852; Neusiedl am See, 1871; Pinkafeld, um 1748
Niederösterreich:
Aggsbach Dorf; Bisamberg, 1696; Eggenburg 1725-1729; Falkenstein, 1670-1680/ 1854; Heiligenkreuz, 1731-1748, Hollenstein an der Ybbs, 1759; Kirchberg am Wechsel, Kirchschlag B.W., 1714; Lilienfeld, 1675; Marbach an der Donau; Maria-Lanzendorf, 1699-1709; Pillersdorf, 1730; Retz, 1727; Zwettl
Oberösterreich:
Aigen im Mühlkreis, um 1650; Freistadt, 14. Jahrhundert / 1842; Gosau, 1775; Kremsmünster, 1637; St. Martin im Innkreis; Schwertberg, 1689
Salzburg:
Maria Bühel / Oberndorf, 1720; Maria Plain, 1686-1692
Steiermark:
Bruck an der Mur; Deutschfeistritz, 1695; Graz, 1606; Leoben, 1687/1845; St. Margarethen bei Knittelfeld; St. Radegund bei Graz, um 1770
Kärnten:
St. Paul im Lavanttal; St. Stefan im Gailtal, 1766-1771
Tirol:
Arzl/Innsbruck, 1664/1770; Kufstein; Thaur
Wien:
Hernals, 1639/1714
Quellen:
Dehio-Handbücher
E. K. Blümml und G. Gugitz: Der Hernalser Kalvarienberg. In: Von Leuten und Zeiten im alten Wien. Wien 1922
Alfred J. Ellinger: Das Bilderbuch vom Hernalser Kalvarienberg. Wien o. J.
Festschrift zur Wiedereröffnung der Kalvarienbergkirche. Wien 2000
M. Fuhrmann: Historische Beschreibung… Wien 1767, 2. Teil, 2. Band
G. Gugitz: Das Jahr und seine Feste. Wien 1949
E. Kratzmann: Kalvarienberg in Hernals. In: Hernals. Ein Heimatbuch für den 17. Wiener Gemeindebezirk, hg. von den Hernalser Lehrern. Wien 1924
Lexikon Christlicher Ikonographie. Freiburg/Br. 1968
Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg/Br. 1993
Weck- und Zeig-Uhr Der Heiligsten Stunden deß Jahr. Wien 1710.
Siehe auch:
Essays Passion und Emotion
1 Kreuzwege
2 Kalvarienberge
3 Heiliges Grab
ABC Hernalser Kalvarienberg
Heimatlexikon
Grazer Kalvarienberg
Bretagne